Beschränkt verschränkt

Das Funktionsprinzip eines Quantencomputers basiert auf einer wesentlichen Eigenschaft von Quantenzuständen: der Verschränkung. Neue Experimente zeigen, dass auf diese leider noch weniger Verlass ist als gedacht.

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Wenn es nicht so kompliziert wäre, könnte es so einfach sein: Man nehme eine Reihe miteinander verschränkter Quantenbits, führe eine mathematische Operation an diesen aus - und erhält in einem einzigen Schritt nicht nur ein Ergebnis, sondern gleich die Gesamtheit aller möglichen Resultate. Klar, dass dieser so genannte Quantencomputer quasi der Heilige Gral der damit befassten Physiker ist. Nur, leider, steckt der Teufel im Detail. So ist es zum Beispiel ziemlich diffizil, all die schönen Ergebnisse auch auszulesen, ohne sie dabei zu zerstören (vgl. Zerstörungsfreies Betrachten). Vorausgesetzt, es ist schon mal gelungen, einer Reihe winziger Grundeinheiten (die Auswahl ist da mittlerweile sehr breit), die wesentliche Eigenschaft einer Gruppe Mädchen im Grundschulalter aufzuprägen: Wenn eines aufs Klo muss, müssen alle zur Toilette - sprich: was dem einen Quantenbit widerfährt, passiert auch allen anderen.

Kompletter Versuchsaufbau des Experiments der Forschergruppe (Bild: Luiz Davidovich)

Diese so genannte Verschränkung ist denn auch das Grundprinzip des Quantencomputers (und gleichzeitig die Grundhoffnung der Quantenkommunikation), weil sich verschränkte Zustände im Prinzip auch über größere Entfernungen erhalten). Sie stellt einen ziemlich heiklen Zustand dar, der durch Wechselwirkungen mit der Umgebung gern mal verloren geht. Allerdings ging bisher die Wissenschaft davon aus, dass sich die Verschränkung nur von hinnen begibt - man spricht hier von asymptotischer Dekohärenz.

Dementsprechend konnte man längst Korrekturalgorithmen entwickeln, die schon bei geringster Dekohärenz eingreifen. Diese sind allerdings chancenlos, wenn die Verschränkung von jetzt auf gleich verschwindet. Dass die Forscher über diesen Mechanismus so erstaunt sind, ist eigentlich verwunderlich: Zwischen großen Körpern ist das nämlich Alltag. Je größer Objekte sind, desto schneller läuft die Dekohärenz ab. Anderenfalls müssten wir im Alltag auch mit vielen seltsamen Effekten kämpfen, die im Quantenreich normal sind.

Die Hoffnung, dass das im Kleinen völlig anders ist, war jedenfalls trügerisch. Denn eine Forschergruppe der Universität von Rio de Janeiro zeigt in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science einen Effekt, den sie "Sudden Death of Entanglement" nennt, plötzlichen Verschränkungstod. Den Effekt, der theoretisch bereits vorhergesagt wurde, demonstrierten die Wissenschaftler auf optischem Wege, an zwei photonischen Q-Bits. Dabei handelte es sich um zwei Photonen, die in der Eigenschaft der Polarisation miteinander verschränkt waren. Interessanterweise gelang es den Wissenschaftlern, mit demselben Versuchsaufbau und den gleichen "Testteilnehmern" mal asymptotische Dekohärenz und dann wieder "Sudden Death" zu erzeugen

Schematische Darstellung des "Sudden Death of Entanglement"-Phänomens (Bild: Luiz Davidovich)

Die Forscher sind mit ihrem Experiment auch der Frage näher gerückt, wie Dekohärenz überhaupt entsteht. Ein grundlegendes Modell ging zunächst davon aus, dass jedes Q-Bit für sich einen Zerfallsprozess durchmacht (der in der Regel asymptotischer Natur ist) - im Ergebnis muss dann auch die Kohärenz zweier Q-Bits mit der Zeit verschwinden. Der Versuch der brasilianischen Forscher zeigt nun, dass die Dynamik der Dekohärenz definitiv auch andere Seiten hat - die man bei der Konstruktion von Quantencomputern (vor allem von Fehlerkorrektur-Mechanismen) in die Betrachtung mit einbeziehen muss.