Bessere kognitive Fähigkeiten und geringere Verhaltensprobleme

Vom Vorteil Kind älterer Eltern zu sein, die regelmäßig frühstücken und einen Hochschulabschluss haben

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Es gibt wieder einmal eine Erziehungsstudie aus Großbritannien, die für Schlagzeilen sorgt: die Millennium Cohort Study, deren griffigsten Ergebnisse sich gestern häppchenweise verstreut in mehreren englischsprachigen Publikationen finden ließen.

„Kinder, die das Frühstück auslassen, werden mit doppelt so großer Wahrscheinlichkeit fettleibig“, titelte die indische Zeitung The Hindu mit einem Studienergebnis; „Kinder von unverheirateten Paaren haben ein doppelt so großes Risiko, dass sich ihre Eltern trennen und sie darunter leiden“, warnt eine Schlagzeile der britischen Boulevardzeitung Daily Mail und über den Titel des Guardian-Artikels zur Untersuchung der Milleniums-Kohorte dürfen sich insbesondere auch Bewohner der deutschen Fruchtbarkeitsviertel Prenzlauer Berg (Berlin) und Glockenbach (München) freuen: „Wie man seinem Kind einen besseren Start ins Leben verschafft: Verzögerte Elternschaft“.

Kinder von Eltern, die eine höhere Schulbildung haben und die beide berufstätig sind, zeigen bessere kognitive Fähigkeiten und haben anscheinend geringere Verhaltensprobleme, hat die Langzeit-Studie herausgefunden, die laut Guardian auf Tiefeninterviews einer bemerkenswert großen Grundgesamtheit von 15.0000 Familien gründet und damit ein „intimes Porträt“ des gegenwärtigen Familienlebens zeichnet.

Etwas nüchterner gibt die Webseite des zuständigen Zentrums für Longitudinal Studien in London (Centre for Longitudinal Studies - CLS) Auskunft. Demnach will die Untersuchung die Entwicklung von Kindern, die im neuen Jahrtausend geboren wurden, längerfristig verfolgen. In einer ersten Bestandsaufnahme zwischen Juni 2001 und Januar 2003 wurden ein Jahr lang Informationen über 18.818 in Großbritannien geborene Babys gesammelt. Daran schloss sich eine Untersuchung von Dreijährigen an, die von September 2003 bis April 2005 dauerte. Eine dritte Erhebung folgte Anfang 2006 bis Anfang 2007, als die Kinder mit der Grundschule anfingen.

Doch zeigt sich auch bei dieser Studie, die mit solchem Aufwand, Zahlen und Kohorten glänzt, das Pauschal-Selbstverständliche mancher wissenschaftlicher Ergebnisse, wie dies etwa auch die Direktorin Heather Joshi in ihrem Kommentar wiedergibt:

Eltern, die eine gute Ausbildung haben, sind besser dran, sie leben an hübscheren Orten, haben ein besseres Zuhause und sind älter. Die am meisten benachteiligten Familien haben keinen Vater, der zuhause wohnt; die Mutter hat keine Ausbildung und sie ist jünger. Wenn man mit dem Elternsein wartet, bis man 30 ist, scheint das mit einer Reihe von Vorteilen verknüpft zu sein.

Anekdotische Einsicht mag die wissenschaftliche These vom gesünderen Nachwuchs älterer Eltern bestätigen, wie ein Exempel aus der Münchener Umgebung zeigt, wo sich kletterende drei- bis vierjährige Kinder regelmäßig von einer größeren Schar unsicher herumtanzender Elternteile zwischen 35 und 40 bewacht sehen, wenn sie auch nur den ersten, niedrigen Ast eines Baumes anvisieren.

Oder eben auch nicht, wie ein anderer aktueller Fall aus München zeigt, wo eine Anwältin, um die „Persönlichkeitsrechte ihrer (anderthalbjährigen) Tochter zu wahren“, das Mädchen ohne Kleidung auf dem Fahrrad mitnahm – bei 11° Außentemperatur. Was weitere wissenschaftliche Untersuchungen mit der Frage bereichern könnte, ob Milleniumskinder und Milleniumseltern sich einander bewusstseinsmäßig enger annähern als alle Eltern-Kinder-Generationen zuvor? Insofern die Eltern immer kindischer und die Kinder immer früher mit Ansprüchen konfrontiert werden, die eher zu Erwachsenen passen. Eine Anderthalbjährige kann keine Verantwortung für ihre trotzigen Sätze übernehmen. Dass ältere Eltern vor der ubiquitären Infantilisierung, die alles gleich und einfach begreifen will, besser geschützt sind, kann nicht unbedingt vorausgesetzt werden.

Im Übrigen wartet die britische Studie auch mit einem etwas überraschenderen Ergebnis auf: So erfährt man, dass die Hälfte der Eltern von Fünfjährigen ihre Zöglinge geohrfeigt haben. Dass 60% der britischen Eltern ihre Kinder täglich schimpfen, wird den deutschen Bewohner eines hellhörigen Wohnhauses dagegen nicht erstaunen. Dass das laute Geschimpfe mit einer größeren Wahrscheinlichkeit von einer jungen Mutter stammt, die einem Beruf nachgeht und dadurch größerem Stress unterworfen ist, gehört eher zu jenem Spektrum wissenschaftlicher Erkenntnis, welches dem italienischen Restaurantbesitzer Recht gibt, der all seine Gäste Professor nennt.

Apropos gutgelauntes Übertreiben: 69 Prozent der Väter der britischen Studie behaupten von sich, dass sie besser sind als der Durchschnitt oder gar „sehr gute Väter“ - von den befragten Müttern zeigen nur 60% ähnliches Selbstbewusstsein. Ein Beweis für die segensreiche Wirkung des weit verbreiteten und ständig wiederholten Topos vom „abwesenden Vater“, der nicht nur zum Schreiben dicker Bücher 1 inspiriert, sondern auch die Maßstäbe und Ansprüche, die das Image vom guten Papa garantieren, angenehm weit nach unten verlagert: Ein Vater braucht sich – außer wenn er in besagten, oben genannten Fertilitätszentren wohnt, wo er genauerer Beobachtung ausgesetzt ist – heute nur die Jackentaschen mit Windeln vollzustopfen, Kinder im Arm derart ostentativ herumzutragen oder liebzuhaben, dass er von möglichst vielen Müttern gesehen wird (am besten im Kindergarten oder am Kinderspielplatz während der offiziellen Arbeitszeiten), um von allen Seiten Lob einzuheimsen. Mehr davon bekommen nur Kinder.