Bestrafbare Bots

Yahoo! entwickelt anthropomorphe Suchmaschinen

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Als in den 1980er Jahren die automatisierte Textverarbeitung in den Büros Einzug hielt, trat bald ein seltsames Phänomen zutage, das Psychologen später als den Chefsekretärinnen-Effekt bezeichneten: Auch wenn Arbeitsabläufe über Sekretärinnen länger dauerten, weigerten sich viele Kräfte, auf ihre Bürokraft zu verzichten und ihren Schriftverkehr selbst zu tätigen.

Anfangs wurde dies auf Berührungsängste älterer Mitarbeiter mit der Datenverarbeitungstechnologie zurückgeführt. Bei näheren Untersuchungen stellte man jedoch fest, dass auch jüngere und mit den Grundlagen elektronischer Datenverarbeitung vertraute Sachbearbeiter und Führungskräfte ungern auf ihre Sekretärinnen verzichteten. Ursache war zum einen ein Machtverlust in der Firmenhierarchie – eine Sekretärin war weiterhin ein Statussymbol – zum anderen gibt es aber auch ein menschliches Grundbedürfnis nach möglichst individuellen Befehlsempfängern. Es macht, so fanden die Psychologen heraus, mehr Spaß, einer Arbeitskraft eine Aufgabe zu delegieren als diese Aufgabe durch ein technisches und relativ unsichtbares Hilfsmittel zu erledigen.

Auf die Erkenntnis des Vorhandenseins dieser anthropologischen Konstante stützt sich ein neues Vorhaben von Yahoo!: Die Verbindung von effizienter und billiger Technologie mit allen menschlichen Bedürfnissen gerecht werdender Personalisierung. Die Entwicklung von Suchrobotern („Knowbots“) auf der Basis von bestehender Suchmaschinentechnologie, aber in personalisierter Form. Die wie Cartoon-Figuren gestalteten Test-Suchroboter „Bob“, „James“ und „Ramigani“ sind als Roboter, englische Butler und indischer Lakai gestaltet.

Die anthropomorphen Knowbots sollen nicht nur neue Marktsegmente erschließen, sondern auch Umsteiger von Google anlocken. Gerade Aufgaben wie der Kauf von Produkten mit Preisvergleich oder die Bestellung von Dienstleistungen, sind für viele Menschen angenehmer erledigt, wenn sie diese abends einem Lakaien auftragen, der sie am nächsten Morgen mit der erledigten Aufgabe überrascht, sich bedankt und verabschiedet. „Lassen sie ihr Geld für sich arbeiten“ war nicht zufällig einer der erfolgreichsten Slogans, mit denen Banken in den letzten Jahrzehnten für sich warben.

Business Anthropology

Die Diener sind, wie die Figuren aus einen 3-D-Shooter, aus Polygonen zusammengesetzt und können, wenn der Benutzer mit ihrer Leistung nicht zufrieden ist, mit einer Klatsche „bestraft" werden. Eine etwaige Unzufriedenheit des Benutzers wird so nicht auf das Unternehmen gelenkt, sondern kann in unschädlicher Weise an der elektronischen Figur (die auf die Bestrafung reagiert) abgebaut werden. Der Benutzer fühlt sich – unabhängig vom Suchergebnis – gut. Die elektronischen Arbeitskräfte wiederum lernen aus den Bestrafungsakten, immer genauer auf die individuellen Wünsche ihrer Herren einzugehen. Suchanfragen werden – wie auch bei Google üblich – personalisiert, nur dass beim Nutzer weniger das unangenehme Gefühl des Kontrollverlusts als das angenehme der Ausübung von Macht im Vordergrund steht.