Bewegliche Sonderbriefmarken

Filme auf dem Handy-Display stoßen noch auf Skepsis, Filmemacher loten schon einmal die ästhetischen Möglichkeiten der Geräte aus.

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Eines der Hauptargumente für UMTS war vor vier Jahren bei der Frequenzauktion die Videografie: Beweglichen Bildern auf bewegten Endgeräten wurde eine mediale Zukunft verheißen. Heute sieht das etwas anders aus. Skepsis ist eingezogen. Die Netzbetreiber dürften, ob der teueren Milliarden, noch lange mit ihrer einstigen Zukunftseuphorie hadern.

Auf der Münchner Systems erklärte O2-Chef Rudolf Gröger unlängst: "Wie müssen dem Kunden erklären, dass wir eine Lösung für ein Problem haben, das er noch nicht kennt." Gemeint waren die im Sommer eingeführten ersten UMTS-Applikationen, die von den Konsumenten nicht gerade überschwänglich begrüßt wurden. Blickt man auf die bisherigen Angebote und das technisch Machbare im Bereich Mobile Content, lassen sich die Vorbehalte der Kunden verstehen. Ob MMS-Video, GPRS-Videodownload oder Streaming-Video - die mobilen Offerte lassen nur bedingt einen Mehrwert erkennen.

Wettershow bei eplus

"Ab und zu braucht man Tomaten ohne Haut, zum Beispiel für feine Saucen oder Fischgerichte", erklärt eine junge Frau und zeigt das Häuten des Gemüses in leicht nachvollziehbaren Schritten. Das kurze Video ist beim Mobilfunk-Netzbetreiber eplus anzusehen und Bestandteil von dessen i-mode-Angebot - ein echter Lacher. Neben Kardinalszenen aus dem Maggi-Kochstudio umfasst das Video-Menü von eplus auch die schönsten Traumwagen im Videoclip, eine Wettershow mit Radarfilmen und Wetterflügen, aktuelle Kinotrailer sowie die Zeichentrickserie "Happy Tree Friends" - lustig-bunte Cartoonfiguren, deren Abenteuer stets gründlich schief gehen und meist im blutigen Chaos enden. Die Videos stehen als Download für i-mode-Handys zur Verfügung und können nach dem Herunterladen beliebig oft betrachtet werden. Allzu groß, abhängig vom Handy-Display, sind die Filmchen allerdings nicht. Ein Breitwand-Kinotrailer schrumpft locker auf die Größe einer Sonderbriefmarke und die Tipps von Maggis Koch-Mamsell schnarren etwas kieksig aus dem Hörer.

Bei den anderen Anbietern bietet sich ein vergleichbares Bild: Der Münchner Netzbetreiber O2 hat das "Tor des Tages" als MMS-Video im Angebot und schickt mit "Action Sports" Kurzfilme aus dem Extremsport ins Rennen. Betrachten lassen sich die kühnsten Luftsprünge beim Snowboarding - in Zeitlupe und zum Einstudieren. Wer es sinnlicher mag, wird mit "Erotic-Content" bedient, der an Nutzer ab 16 Jahren freigegeben ist. Bei T-Mobile kann der Kunde Modenschauen betrachten und "auf den Catwalks von New York, London, Madrid und Paris mitlaufen". Außerdem treiben die Kids von South Park ihr Unwesen und kurze "(T)Raumschiff Surprise"-Episoden erreichen in Mopsgeschwindigkeit den Kunden.

Vodafone bietet Videos lediglich in der Streaming-Variante für UMTS an. Bildtelefonie, "top-aktuelle News von N24" oder bunte Entertainment-Videos von MTV bilden dort das Angebot. O2 hat einen "mobilen Newsguide" im Breitband-Bouquet, der von der Tomorrow Focus AG aufbereitet wird, sowie einen von der Zeitschrift "Cinema" stammenden "Entertainment-Guide", ebenfalls mit Kinotrailer und Hintergrundberichten zu Stars und Sternchen. Die Inhalte erreichen die Netzbetreiber quasi versandfertig. Agenturen wie Cyoshi ("Happy Tree Friends" für eplus) oder Airmotion ("X-Sports" für O2) bereiten die Videos auf und passen sie den verschiedenen Mobiltelefonen an.

Eric Petajan hat für "Radio Face" den Preis für die beste Animation auf dem World's Smallest Film Festival in Los Angeles erhalten

In Berlin läuft seit Mai dieses Jahres ein Pilotversuch mit DVB-H-Fernsehen auf dem Handy. Auf mobilen Endgeräten wie etwa dem Nokia-Handy 7700 ist nun der Empfang von Fernsehprogrammen möglich. Das Fernsehbild kommt mit einer Datenrate von etwa 300 kBit/s auf das Handy, so dass sich im späteren Regelbetrieb über 30 Programme auf einen Kanal packen lassen. Trotz technischer Schwierigkeiten - teilweise war der Empfang in Wohnungen oder in engen Gassen nicht störungsfrei möglich - geben sich die Betreiber mit dem bisherigen Testverlauf zufrieden. Auch das Projekt BMCO (Broadcast Mobile Convergence), das eine mögliche Konvergenz vom digitalen terrestrischen Fernsehen DVB-T und seiner Mobilvariante DVB-H untersuchte, ist zufrieden stellend abgeschlossen worden. Hier ergab die begleitende Marktforschung, dass von den Testkunden besonders Nachrichten-, Sport- und Musikangebote genutzt worden sind.

Insgesamt lässt sich die augenblickliche Situation im Bereich von mobile Content, insbesondere bei der Videografie, nicht anders als wie ein Testlauf beschreiben. Seitens der Netzbetreiber wird vieles ausprobiert, auch bei den Tarifen, und erst die Zukunft wird zeigen, welche Angebote - falls überhaupt - der Kunde akzeptiert.

Um auszuloten, was auf den kleinen Geräten alles möglich ist, hatte bereits vor zwei Jahren das Filmfest im finnischen Tampere einen Micromovie Seminar durchgeführt. Inzwischen buhlen verschiedene Festivals um das filmische Kleinformat. 2003 wurden beim Hamburger Bitfilm-Festival erste "Micromovies" gezeigt. Veranstaltungen wie das World's Smallest Film Festival setzen gleich komplett auf mobilen Video-Content. Und Web-Plattformen wie Microcinema International macht ein Geschäft daraus.

Raul Olivares (Mexico): Mass Destruction. Nominiert für den Siemens Mobile Micromovie Award 2004

Beim Siemens Mobile Micromovie Award 2004, den das im November in Berlin stattfindende Festival Interfilm ausrichtet, sind insgesamt zwanzig internationale Kurzvideos nominiert worden. Die maximal 90 Sekunden langen Spots wurden zu mindestens fünfzig Prozent mit einem Kamerahandy gedreht und anschließend nachbearbeitet. Witzige Einfälle, bei denen das Handy die Perspektive einer Fliege einnimmt und auf Erkundungsflug geht, oder tiefsinnige Reflexionen über das Medium umfassen das Spektrum der Einreichungen. Auf der Website kann man sich die Videos anschauen und bewerten. Wie bei allen Festivals ist hier die wirtschaftliche Kooperation sehr eng. Siemens stellte sein neues S65 Kamerahandy zur Verfügung, das an die Teilnehmer geschickt wurde. Bei anderen Festivals sitzen auch Netzbetreiber und Content-Partner mit im Boot.

Bereits jetzt ist bei den mobilen Inhalten schon erkennbar, dass eine schlichte Zweitverwertung, etwa von Fernsehnachrichten, sich verbietet. Die Inhalte müssen den Gegebenheiten der Endgeräte angepasst werden, Downsizing allein genügt nicht. Auch weite Landschaftsaufnahmen von Kinotrailern machen mangels Detailreichtum auf dem Handy-Display ebenso wenig her wie ruckende Schnitte bei schnellen Musikclips. Und ob nun die Kochtipps von Maggie oder die von der Hamburger Agentur Bitfilm animierten Flirtvideos Robo-Lovers zukünftigen Erfolg auf den Mobilgeräten haben werden, kann derzeit noch dahin gestellt bleiben.

Robo Lover Sid, den man mit vorgefertigten oder selbst ausgedachten Flirtsprüchen als Video verschicken kann

Vermutlich muss sich um die Kurzvideos erst ein Kult wie um die Klingeltöne bilden, damit bestimmte Szenen auf dem eigenen Handy vorzuweisen ein Muss für jugendliche Zeitgenossen wird. Darauf freilich sind Netzbetreiber wie Content-Partner aus. Wann das sein wird, ist ungewiss und hängt sicherlich - siehe MMS - von den Preisen ab. Momentan differieren die Kosten noch stark: Während T-Mobile happige 1,99 Euro für eine 15-sekündige South-Park-Folge veranschlagt, sind vergleichbare Clips bei O2 für 99 Cents zu haben. Sicherlich ist da noch nicht das letzte Wort gesprochen. Beim UMTS-Streaming locken augenblicklich noch die Eröffnungsangebote der Netzbetreiber, vom kostenlosen Videostreaming bis Jahresfrist bis zur Videotelefonie zum Preis eines Sprachtelefonats.