Bieterschlacht um Krebspatienten

US-amerikanische Anwälte zahlen Höchstpreise für Suchmaschinenwerbung

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Das Mesotheliom ist eine seltene Lungenkrebserkrankung. Es tritt vor allem bei Menschen auf, die mit Asbest gearbeitet haben. Die Krankheit verläuft in aller Regel tödlich. Eine wirksame Therapie gibt es nicht. Mesotheliom bzw. Mesothelioma ist gleichzeitig das derzeit teuerste Wort im Web. US-amerikanischen Presseberichten zufolge zahlen amerikanische Anwaltsfirmen bis zu 90 Dollar und mehr pro Klick, um ihre Anzeige bei Suchmaschinen wie Google oder Yahoo bei Eingabe des Suchbegriffs "Mesothelioma" an prominenter Stelle anzeigen zu lassen. Das Internet ist schnell, und Eile ist geboten. Mesotheliom-Patienten sind für amerikanische Anwaltsfirmen zwar ein gutes Geschäft. Sie haben nach ihrer Diagnose aber nur noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von einem knappen Jahr. Wer an Mesotheliom-Patienten etwas verdienen will, muss sich beeilen. Man kann die Kuh nur melken, solange sie noch lebt.

Suchwortbezogene Werbeanzeigen bringen den Betreibern von Suchmaschinen gutes Geld. So zeigen die Geschäftszahlen, die Portalbetreiber Yahoo kürzlich der Öffentlichkeit präsentierte, dass die bezahlten Sucheinträge zu einem großen Teil für die sprunghaft gestiegenen Einnahmen des Internetportals verantwortlich sind. Suchmaschinenprimus Google veröffentlicht keine Geschäftsberichte. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass auch Google einen Großteil seiner Einnahmen aus seinem AdWords-Programm erzielt.

Das Prinzip beispielsweise der Googleschen AdWords-Werbung ist dabei so simpel wie erfolgreich. Wer werben möchte, "kauft" sich die Suchbegriffe, die für seine Firma relevant sind. Nur wenn ein User diese Suchbegriffe eingibt, erscheint die suchwortbezogene Anzeige auf der entsprechenden Suchergebnisliste - je nach Suchmaschine mehr oder weniger deutlich von den "neutralen" Suchergebnissen abgehoben. Bezahlen müssen Werbekunden nur dann, wenn ihre Anzeige auch angeklickt wurde.

Der Preis für eine Werbebuchung bzw. für ein Suchwort wird in einer Art Auktionsprozess festgelegt. Wer mehr bietet, dessen Anzeige wird in der Liste der Werbeanzeigen besser positioniert. Bei besonders gefragten Suchbegriffen steigen die Preise, die die Werbetreibenden für einen Klick zu zahlen bereit sind, zum Teil rapide an. Spitzenpreise von mehr als 90 Dollar pro Klick, wie sie jetzt für den Suchbegriff "Mesothelioma" gezahlt werden und eine solche Bieterschlacht um einen Suchbegriff hat es bisher jedoch noch nie gegeben.

Jährlich zweitausend neue Fälle

Mesotheliome gehören zu den seltenen Krebserkrankungen. Sie treten nur bei Menschen auf, die beruflich oder privat mit Asbest zu tun hatten. Betroffen sind in erster Linie Arbeiter, die in ihrem Beruf mit Asbest in Berührung kamen. Epidemiologische Studien haben ergeben, dass schon verhältnismäßig niedrige kumulative Asbestfaserstaubdosen diesen Krebs auslösen können. Gefährdet sind somit auch Personen, die mit der Arbeitskleidung von Asbestarbeitern in Kontakt geraten sind oder in der Nachbarschaft asbestverarbeitender Betriebe gelebt haben.

Der seltene Krebs bricht meist erst Jahrzehnte nach einer Asbestexposition aus. Der kausale Zusammenhang zwischen einer Asbestexposition und dem Entstehen von Mesotheliomen gilt als gesichert. In der Bundesrepublik ist das Mesotheliom als Berufskrankheit anerkannt - ebenso wie in den USA. Dort werden jährlich rund 2000 Fälle dieses Krebses diagnostiziert.

"Wir helfen Ihnen, Ihr Leben wieder zu finden"

Die meisten Patienten, bei denen ein Mesotheliom diagnostiziert wurde, informieren sich im Internet über ihre seltene Krankheit. Robert Taub, Direktor des Mesothelioma Centers an der New Yorker Columbia Universität, erklärt, dass seine Patienten spätestens drei bis vier Tage nach ihrer Diagnose das Web unter dem Stichwort "Mesothelioma" nach Informationen absuchen. Anwälte, deren Anzeigen auf den Suchergebnislisten an prominenter Stelle stehen, haben also gute Chancen, von einem der jährlich 2.000 neuen Mesotheliom-Patienten angeklickt zu werden.

Auf den Seiten der spendablen Anwaltsfirmen erwartet die Krebskranken eine wohldosierte Mischung aus Informationen und Links zu weiteren Informationsquellen sowie eine Telefonnummer und ein Online-Formular, damit der Krebspatient sofort Kontakt zu "seinem" Anwalt aufnehmen kann. "Krank durch Asbest?", fragt beispielsweise die texanische Rechtsanwaltsfirma Nicholas Abaza in ihrer Google-Anzeige. "Wir helfen Ihnen, Ihr Leben wieder zu finden und ihre Angehörigen zu schützen." - eine zynische Aussage angesichts der Tatsache, dass diese Krebserkrankung nicht heilbar ist.

Ein todsicheres Geschäft

Warum geben Anwälte mehr als neunzig Dollar für einen Klick auf ihre Mesotheliom-Anzeige aus? Die Antwort liegt auf der Hand. Krebskranke, bei denen ein Mesotheliom nachgewiesen wurde, können gegenüber ihren ehemaligen Arbeitgebern Schadensersatz geltend machen.

In Fällen, in denen es zu einer außergerichtlichen Einigung kommt, schlagen Anwälte durchschnittliche Schadensersatzsummen von gut einer Million Dollar heraus, wovon sie vierzig Prozent als Honorar einkassieren. Geht der Fall vor Gericht, so erhöht sich die Schadensersatzsumme noch einmal drastisch. In diesen Fällen werden die verklagten Firmen in aller Regel zu Schadensersatzzahlungen von durchschnittlich sechs Millionen Dollar verurteilt, wovon ein Großteil todsicher in die Taschen der flinken Rechtsanwälte wandert.

Minimaler Einsatz - todsicher hoher Lohn

Es gebe für einen Rechtsanwalt derzeit nichts Wertvolleres als einen Mesotheliom-Patienten, meint Christopher Hahn von der nichtkommerziellen Mesothelioma Applied Research Foundation im kalifornischen Santa Barbara - zumal der juristische Aufwand zur Abwicklung einer Schadensersatzklage minimal ist. Gutachten, die eine Asbestexposition als Auslöser dieser Krebsart nachweisen, sind nicht mehr nötig. Der Zusammenhang zwischen dem Einatmen von Asbestfasern und der Entstehung eines Mesotheliom ist allgemein anerkannt. Es muss lediglich die tatsächliche Asbestexposition des Krebskranken nachgewiesen. Aber auch das ist für die Anwälte in der Mehrzahl aller Fälle eine Routineaufgabe und entsprechend schnell zu erledigen.

Minimaler Einsatz - todsicher hoher Lohn, so lautet die Kosten-Nutzen-Rechnung der Anwälte, die bei Google und Co. mehr als 90 Dollar für einen einzigen Klick auf ihre Werbeanzeige ausgeben. Es könnte ja ein Mesotheliom-Patient drauf klicken...