Big Brother, Survivor und Panorama

Erkundungen über die Medienlandschaft in Bulgarien

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Niki Lauda ist am 21. September zum ersten Mal in Bulgarien. In Sofia wird ein Riesenfeuerwerk in die Luft geschossen, dann jagt die Fahrerlegende am frühen Abend mit einen Rennwagen mit gnadenlosem Motorenlärm über eine abgesperrte Stadtstraße vor dem grandios-modernen Kulturpalast; später tritt Lauda im Fernsehen beim bulgarischen Harald Schmidt auf. Bulgarien ist auf dem Weg in die EU und wird am 1. Januar 2007 wohl Mitglied werden – und das Fernsehen adaptiert schon jetzt die europäischen Medienformate.

An den Straßenrändern werben übergroße Plakate noch für den Start der dritten Big-Brother-Staffel (18. September) auf Nova TV, am 20. September startete der Privatsender und bulgarische Marktführer bTV die erste bulgarische Folge von Survivor. Wer die Sendungen nicht gesehen hatte, konnte das Wesentliche dann in der Zeitung nachlesen und anschauen: eine der BB-Insassen hatte kurz ihre Silikon-Brust sehen lassen. Parallel dazu startete das Bulgarische Nationale Fernsehen (BNT) die ersten Clips für die kommenden Präsidentschaftswahlen.

BNT war einst der bulgarische Staatssender. Der Sender wurde Ende der 1950er Jahre gegründet und galt – so Boyko Vassilev, heute Redakteur und Producer der BNT-Sendung „Panorama“ und „Chefredakteur Aktuelles“ – im Vergleich zu den Sendern der anderen sozialistischen Länder als „relativ frei“. Nicht zuletzt, weil Senderchef Iwan Slavkov nicht nur der Schwiegersohn von Ex-Diktator Todor Schiwkow (1954-1989) war, sondern auch ein „Bonvivant“.

1990 wurde BNT dem Parlament untergeordnet, seit 1997 wachen der Rat für Radio und Television und dann der Rat für elektronische Medien (REM) über den nationalen Sender. Konkurrenz gab es für BNT bis zum Jahre 2000 eigentlich nicht – und so schauten bis zu drei Millionen Zuschauer (Bulgarien hat etwa 7,8 Mio. Einwohner) den Sender. „Das war für uns ein Problem“, sagt Vassilev heute über diese bulgarische Besonderheit. „Wir hatten keine Konkurrenz und ohne Konkurrenz lebt man auch nicht gut.“

Der erste Konkurrent für BNT war der Privatsender bTV. Der Sender gehörte zu Rupert Murdochs Balkan News Corporation, sendete auf der Frequenz des zweiten Staatlichen Kanals – und erreichte bereits 2003 einen Marktanteil von 44 Prozent. Bis heute hat bTV seine führende Position behauptet. 2003 startete dann der dritte landesweite Sender Nova TV aus der Antena Gruppe des griechischen Medienunternehmers Minos Kyriakou – und erreichte noch im gleichen Jahr 9 Prozent Marktanteil. BNT aber war da schon auf etwa 23 Prozent gesunken - und auch Vassilev merkt das nachlassende Zuschauerinteresse bei seiner wöchentlichen Politiksendung „Panorama“ (Freitag, 20.45-21.45 Uhr). Das Magazin hat ein gemischtes Format, Reportagen, Live-Interviews, Live-Diskussionen – und ist weiterhin das erfolgreichste Politjournal.

Doch die Zeiten, in denen Politik die beste „Reality“ war, sind in Bulgarien vorbei. „Jetzt sind wir zufrieden, wenn wir eine Million Zuschauer haben“, sagt der 36-jährige, aber das kommt nicht mehr häufig vor. 700.000 bis 800.000 sind eher die Regel – und neuerdings muss er gleichzeitig mit Big Brother und Survivor konkurrieren. „Das ist kein leichter Konkurrenzkampf.“ Zum Unabhängigkeitstag am 22. September brachte „das meist gesehene publizistische Programm“ (Vassilev) ausgerechnet eine Reportage über bulgarische Dörfer, die inzwischen ganz in den Händen von Engländern sind.

BNT residiert in einem etwa zwanziggeschossigen Hochhaus des alten Staatsfernsehens im Zentrum von Sofia – und hat Außenstellen in Plovdiv, Varna, Russe und Blagoevgrad. BNT wird noch immer – indirekt – aus dem Staatsbudget subventioniert, zudem gibt es „sehr sehr hohe Werbeeinnahmen“. 2004 hatte der Sender ein Budget von 25 Millionen Euro, etwa 50 Prozent kamen vom Staat. Rundfunkgebühren (ursprünglich für 2007 geplant) gibt es in Bulgarien noch immer nicht, BNT ist daher (im westlichen Sinn) bisher kaum wirklich öffentlich-rechtlich organisiert, sondern zwischen Macht und Markt positioniert. „Bulgaria is set to join the EU in 2007“, kritisierte deshalb etwa das Open Society Institut in seinem Monitoring Report 2005, „but as yet there has been incomplete compliance with European Standards in the audiovisual sector.“ Dies gilt auch für die unklaren Besitzverhältnisse bei einigen privaten TV- und Hörfunksendern.

Nach der „langen und mühseligen Transformation vom staatlichen hin zum öffentlich-rechtlichen Sender“, sei – so berichtet Vassilev - seit fünf Jahren die „politische Zensur“ abgeschafft. Dafür gebe es andere Formen von Druck: „Es gibt Networking, es gibt ökonomischen Druck, es gibt natürlich auch Druck von den Zuschauern“ – und es gibt auch bei den Privatsendern politische Sendungen. Sie machten „gute politische Sendungen, freie politische Sendungen und sie machen diese in recht gut gesehenen Zeiten“. „Ich denke, sie machen guten Journalismus“. Und doch sieht er es „ein bisschen als Nachteil“ an, dass so viele junge Leute in den Journalismus gegangen sind: „kein Background, keine persönliche Erfahrung“. Das bulgarische Fernsehen ist außergewöhnlich jung. Die Generation der leitenden Medienleute ist heute gerade mal Mitte 30.

Das bulgarische Fernsehsystem beschränkt sich freilich nicht auf die drei nationalen Sender, die fast 85 Prozent (2005) des Marktes abdecken. Es gibt zudem einige regionale Sender (GTV, TB 7, CKAT, MCAT), ein Kabelfernsehsystem mit über einer Million Abonnenten (das aber 2003 nur 18 Prozent der ländlichen Regionen erreichte) und natürlich Satelliten-TV. Wie in anderen Ländern auch ist das Fernsehen das meistgenutzte Medium. Die aktuelle, fast 70-seitige Fernsehbeilage der Tageszeitung „Monitor“ listet das Programm von fast 60 Sendern auf (incl. Sat 1, VOX, RTL, Pro 7). Und wenn man sich nachts durch die Programme zappt, findet man selbst ein frei zugängliches Kopulations-Programm.

Anders als der Fernsehbereich entwickelte sich der Radiobereich offenbar entschieden dynamischer. Bereits 1992 starteten FM Plus und Express Radio 1993 Danik Radio. „Radio war ein absoluter Erfolg“, sagt TV-Mann Vassilev. „Privates Radio entstand relativ kurz nach der Wende, man bekam auch seriöse Programme.“ Am stärksten ist das öffentlich-rechtliche Bulgarische Nationale Radio (BNR) mit den Programmen Horizont, Hristo Botev (Kultur, Bildung) und fünf lokalen Wellen. Marktführer ist Horizont (2004: 25,9 %), dann folgen die private, landesweit empfangbare Welle Danik Radio (11,4%) sowie das (bulgarische) Balkan-Folk-Rock-Pop-Programm Vesselina Radio (9,3 %) und FM Plus (5,1 %). Daneben behaupten sich lokale Wellen wie die Klassikwellen FM Klassik oder Musikprogramme wie BG Radio oder Signal plus. In Sofia gibt es heute 33 Radio-Stationen, in ganz Bulgarien senden mehr als 250 private FM-Stationen.

Der WAZ-Gruppe gehören 80 Prozent des bulgarischen Zeitungsmarktes

Die privaten TV- und Radiosender sowie die Zeitungen finanzieren sich vor allem über den Anzeigenmarkt – und gerade bei den Zeitungen hat die WAZ-Gruppe eine enorm starke Stellung erreicht. Sie soll 80 Prozent des Zeitungsmarktes beherrschen, sagen die einen. „Sie ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung einer freien Presse“, sagt hingegen Sofias stellvertretender Bürgermeister für Finanzen und Wirtschaft, Minko Gerdjikov. Und auch Vassilev sieht es positiv: „Ich würde sagen, dass jede Außeninvestition positiv ist.“

Bereits Mitte der 1990er Jahre kaufte die WAZ den Verlag mit der auflagenstärksten Tageszeitung 24 Chasa (24 Stunden). Das bunte Tabloid-Blatt (verkaufte Auflage: ca. 100.000) hat heute etwa 40 Seiten. Bunte, ganzseitige Bierwerbung, drei Seiten Kleinanzeigen – schöne Nackte (wie vielfältig kritisiert) fehlen hingegen. Dafür widmet man sich auf einer ganzen Seite dem deutschen Schriftsteller Karl May; auch in Bulgarien verkaufen die Zeitungsverlage inzwischen preisgünstig Bücher und CDs – und selbst die Zeitungsverkäufer auf den Straßen bieten offensiv Zeitungen und CDs an.

1997 übernahm die WAZ-Gruppe auch die mit 150.000 Exemplaren meistverkauften Tageszeitung Trud (Arbeit). Zudem gehören – deutlich boulevardesker und deutlich nackter - die Wochenzeitung „168 Chasa“ (Auflage: ca. 80.000) und der Zeitschriftenverlag „Media“ zum Konzern.

„Die WAZ interessiert sich überhaupt nicht für die rein redaktionelle Arbeit“, sagt Vassilev. Wichtig sind noch die Wirtschaftszeitung „Kapital“, „eine sehr gute Investition“, sowie Dnevnik, die zum bulgarischen Ableger Economedia der Verlagsgruppe Handelsblatt gehören. Die anderen Zeitungen sind in bulgarischen Händen, eine der jüngsten Tageszeitungen ist „Monitor“ (1998). Auf deutsch gibt es auch das „Bulgarische Wirtschaftsblatt“. Insgesamt scheinen die bulgarischen Printmedien auf dem Markt angekommen zu sein. „Problematisch“, so berichtet Vassilev, „wäre es, wenn Zeitungen nur ausgegeben werden, um eine bestimmte Position zu vertreten. Aber auch diese Funktion geht zu Ende“.