Bilanz zwei Jahre nach der Ölpest

Heute vor genau zwei Jahren sank der mit 77.000 Tonnen Öl beladene Tanker Prestige vor der spanischen Küste

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Unglück bescherte den Küsten von Portugal bis Frankreich eine Ölpest unbekannten Ausmaßes. Tage zuvor hatte er, direkt vor der Küste Galiciens Alarm geschlagen, doch statt ihn an Land zu schleppen und auszupumpen, ließen die damals regierenden konservative Volkspartei ihn weit aufs Meer schleppen, wo er zerbrach. So konnte sich das austretende Öl erst weiträumig verteilen (Großdemonstration und Generalstreik).

Die Prestige am 19.11.2002

So verwundert es nicht, wenn die Bürgerbewegung Nunca Mais (Nie mehr) schon am letzten Samstag mit einer Demonstration in Santiago de Compostela an die Katastrophe erinnert hat. 300 Gruppen hatten aufgerufen und nach ihren Angaben versammelten sich erneut 50.000 Menschen. Ein Erfolg, auch wenn vor zwei Jahren mehrere Hunderttausend Menschen auf die Straße gingen Für sie ist der Tag des Notrufs entscheidend, vor allem danach sei verantwortungslos gehandelt worden. Die Demonstranten beklagten, dass die Verantwortlichen bisher nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Weder seien die Folgen beseitigt noch die Leidtragenden entschädigt worden.

Nunca Mais kritisiert, seit der Katastrophe seien weitere 26 Schiffe vor der Küste Galiciens in Not geraten. "Wir leben noch immer in einer Situation der Verteidigungslosigkeit", sagte der Sänger und Schriftsteller Xurxo Souto für Nunca Mais. Er spielte darauf an, dass Spanien, als Land mit der längsten Küste Europas, auch bis heute über keine Ölpumpschiffe oder über eine effiziente Seenotrettung verfügt. Damit richtete er sich auch gegen die neue sozialistische Regierung. Die ist seit März im Amt, "reproduziert aber die gleiche Trägheit", die sie damals als Opposition kritisiert habe. Investitionen, damit sich Galicien von dem Schock erhole, gäbe es nicht.

Bis auf die Demonstration ist es still geworden um die giftige Fracht, die man in Europa hätte als Sondermüll entsorgen müssen. Statt dessen verschiffte man das Öl als Energiebringer in Richtung Singapur. Bisher musste niemand, bis auf den griechischen Kapitän, vor Gericht erscheinen. Hier spielt das dunkle Geflecht eine Rolle, in dem sich die Verantwortlichen verstecken. Das 26 Jahre alte einwandige Schiff gehörte einer Firma in Liberia (Friedhof der Gifttanker). Es fuhr für eine griechische Reederei unter der Flagge der Bahamas mit einer rumänisch-philippinischen Besatzung. Das Öl transportierte es für die zur russischen Alfa Gruppe gehörenden Crown Resources, mit Sitz im Schweizer Steuerparadies Zug. Die Firma wurde flugs nach der Katastrophe "verkauft" und in Energy, Resources and Commodities Trading Company umbenannt.

Die "neue" Firma wird von den Schweizern kontrolliert, die bereits bei Crown die Mehrheit im Verwaltungsrat hatten, klagt der Schweizer Kantonsrat Josef Lang. Die juristische Aufklärung kommt aber auch nicht in Gang, weil das Gericht im Städtchen Corcubión überfordert ist. Da die Vorgängerregierung kein Interesse an der Aufklärung ihrer Verantwortlichkeit hat, wurden nicht nur Untersuchungskommissionen verhindert, sondern auch ein Gericht in einem 2000-Seelen Dorf mit den Ermittlungen beauftragt.

Doch auch an der Geheimniskrämerei hat sich seit dem Regierungswechsel zu den Sozialisten wenig geändert. Im Auftrag der Regierung will der spanische Ölmulti 16.000 Tonnen Öl aus dem in fast 4.000 Meter Tiefe liegendem Wrack ausgepumpt haben. Doch Repsol weigert sich beharrlich, Wissenschaftlern Proben davon zu übergeben. Dies hat für die Wissenschaftliche Koordinationskommission (CCC) letzte Woche deren Sprecherin Beatriz Morales angeprangert. Und auch die direkten Folgen der Ölpest sind noch sichtbar. Wurden die Strände meist oberflächlich gesäubert, finden sich tief im Sand oft dicke Ölschichten. Überall klebt das schwarze Gift noch an den Felsen, dort, wo ein vielfältiges Ökosystem existiert. Eine Studie der baskischen Regionalregierung sagt, etwa 3000 Tonnen Öl bedeckten noch allein die baskische Küste.

Das Gift lagert sich derweil in Meerestieren an. Die Professorin für Meeresbiologie Miren Cajaraville untersucht in einer interdisziplinären Studie Proben der gesamten Küste von Portugal bis Frankreich. Schon jetzt könnten Kohlenwasserstoffe erhöht in den Lebewesen festgestellt werden. Genaues könne sie noch nicht sagen, "doch es gibt klare Hinweise, dass die Gesundheit vieler Meeresorganismen geschädigt ist". Fische seien stark von Parasiten befallen, da ihr Immunsystem geschwächt sei. Auch wenn man die Tragweite erst in einigen Jahren sehen werde, prophezeit eine Studie der Fischereigemeinschaften in Galicien einen Rückgang der Fangquoten von etwa 30 Prozent.

Nicht einmal das bisher eingesammelte Öl wurde behandelt. Es wartet in Lagern darauf, dass die Regierung endlich Geld dafür bereit stellt. Geld haben auch die baskischen Fischer noch nicht gesehen. Sie hatten in einer einzigartigen Entscheidung den Fischfang eingestellt und monatelang Öl gefischt. Sie allein haben fast die Hälfte des ausgetretenen Öls eingesammelt, bevor es die Küste erreichen konnte.