Bild, Spiegel und Glotze

Ein Kanzler außer Dienst veröffentlicht seine "Entscheidungen" und brüskiert hauptsächlich seine eigene Partei

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Da sage noch einer, es gäbe zwischen Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Vorgänger keinen großen Unterschied. Eine Differenz ist evident: Merkel ist keine Medienkanzlerin. Sicher, sie sendet ihre wöchentlichen Video-Botschaften aufs Handy. Die kann man runterladen oder es eben auch lassen. So leicht konnte man Schröder aber nicht entkommen. Das wurde in dieser Woche deutlich, als der vor über einem Jahr in Rente geschickte Vollblutpolitiker plötzlich wieder da war. Als säße er noch immer im Bundeskanzleramt in Berlin-Mitte, bediente er Bild, Spiegel und Glotze. Die Lesereisen durch die Republik sollen ab Donnerstag folgen.

Ganz stillecht will er damit in der Berliner SPD-Zentrale vor dem Denkmal von Willi Brand beginnen. Ob darüber die Sozialdemokraten so glücklich sind? Denn sie sind es, die am meisten gestraft sind vom schnellen Revival ihres ehemaligen Vorsitzenden. Da mögen sich die Medien auch an kritischen Schröder-Äußerungen über den Regierungsstil seiner Nachfolgerin ergötzen. Die sind in erster Linie gar nicht in dem Buch, sondern in den Begleit-Interviews eingestreut und nun wirklich nicht überraschend. Oder hat jemand erwartet, der Machtmensch Schröder hätte es Merkel verziehen, dass sie ihn beerbt hat? Auch seine Sticheleien gegenüber seinen langjährigen Parteifeind Lafontaine sind höchstens psychologisch interessant. Wer so oft beteuert, wie egal ihm sein Konkurrent ist, macht unfreiwillig das Gegenteil deutlich. Das gilt auch umgekehrt. Wenn sich Lafontaine jetzt über das Honorar von 1 Million mokiert, die sich Schröder für sein Buch auszahlen ließ, spricht unter Umständen auch etwas Neid über den hohen Marktwert des Konkurrenten mit. Bekanntlich waren die Honorare, die Lafontaine für seine Bild-Kolumnen vor seinem Wiedereinstieg in die Politik kassiert hat, auch nicht gerade gering. Aber sie lagen sicher nicht im siebenstelligen Bereich.

Was bei dem ganzen Medienrummel eher unterging, ist das eingeschränkte Wahrnehmungsvermögen des Ex-Kanzlers. Der beschuldigt die Vorsitzenden der Gewerkschaften IG-Metall und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, durch ihre Opposition gegen die Agenda 2010 zu seinem Sturz beigetragen zu haben. Da strickt wohl jemand an einer neuen Dolchstoßlegende. In der Weimarer Republik beschuldigten Monarchisten und Nationalisten die Anhänger der Republik, vor allem die Sozialdemokraten, durch ihre Opposition gegen den 1.Weltkrieg, das Heer von hinten erdolcht zu haben und dadurch am Ausgang des Krieges verantwortlich zu sein. Nur hat die Mehrheit der Sozialdemokraten damals sowenig mit dem Widerstand gegen den Krieg zu tun gehabt, wie die Führung der Gewerkschaften heute mit dem Protest gegen Hartz IV. Es waren vielmehr breite außerparlamentarische Bewegungen, die im Sommer 2004 gegen die Agenda 2010 auf die Straße gegangen sind. Die Gewerkschaften wurden dort für ihre unklare Haltung heftig gescholten. Denn deren Führung sprach sich mitnichten dagegen aus, sondern plädierte für eine sozialere Variante der Gesetze.

Was steckt nun hinter den Angriffen gegen führende Gewerkschaften, die immerhin lange zu den Bündnispartnern der SPD zählten? Einmal sicherlich eine Verachtung von Massenbewegungen. Schröder kann sich scheinbar nicht vorstellen, dass eine breite Bewegung ohne die Lenkung von Großorganisationen und ihren Führungsfiguren entstanden ist. Doch der Machtmensch Schröder zielt sicherlich auch auf den künftigen Kurs seiner Partei. Gerade haben sich führende Sozialdemokraten im Zuge der Unterschichtendebatte von der Sozialpolitik des Kabinett Schröder zu distanzieren begonnen, ja sogar von der Lebenslüge Hartz IV gesprochen (Von der Unterschicht zum abgehängten Prekariat). Wenn die jetzt nicht ihrem Ex-Kanzler widersprechen, der daran eisern festhält, sind sie natürlich völlig unglaubwürdig. Dann kann sich die SPD aber auch künftige Wahlkämpfe ersparen, in denen sie die Union als Partei der sozialen Kälte demaskieren will. Auch das seit Jahren strapazierte Verhältnis zu den Gewerkschaften wird durch die Attacken des Ex-Kanzlers auf Frank Bsirske und Jürgen Peters nicht verbessert.

Weniger überraschend ist das Demokratieverständnis des Basta-Politikers. So kann er sich den Widerstand gegen Hartz IV nur damit erklären, dass wohl nicht genau zugehört worden sei, obwohl er doch den Sinn für die angeblich alternativenlosen Maßnahmen häufig erklärt habe. Offenbar kann er sich nicht vorstellen, dass viele Menschen dagegen protestierten, weil sie genau zugehört und sehr gut verstanden haben. Das gilt übrigens auch für Schröders neueste Wortmeldungen. Freuen können sich über die "Entscheidungen" des Medienkanzlers a.D. in erster Linie Union und Linkspartei. Das Nachsehen hat seine eigene Partei. Aber die kennt das ja aus sieben Schröder-Jahren zu genüge.