Billige Atomkraft? Wie Frankreichs EDF mit Rekordverlust umgeht

AKW haben so wenig Strom wie seit 1988 nicht mehr produziert. Regierung will an Sparbücher der Bürger heran, um kostspielige und fehleranfällige EPR-Reaktoren zu bauen.

Gerade hat der französische Stromriese EDF den längst erwarteten Rekordverlust bestätigt, da bricht das erwartete Milliardenloch im britischen Hinkley Point noch weiter auf – wie es aussieht, steigen die Kosten für den Bau neuer Atommeiler durch die EDF an allen Standorten des "European Pressurized Reactor" (EPR) auf eine geradezu unkontrollierbare Weise.

Da der chinesische Partner der EDF die Mehrkosten nicht schultern will, kommen neue Milliardenkosten auf die französischen Steuerzahler zu. Angesichts der Debakel des hoch verschuldeten Atomkonzerns wird die EDF gerade rückverstaatlicht.

96 Prozent der Aktien befinden sich nun wieder in staatlicher Hand. Auch den Rest möchte die Regierung aufkaufen und den Konzern dann von der Börse nehmen. Es steht allerdings noch die Entscheidung einer Klage unzufriedener EDF-Aktionäre aus, die mehr aus eigentlich wertlosen Aktien herausholen wollen.

Rekordverlust trotz Umsatzsteigerung

Gerade musste der zweitgrößte Stromproduzent weltweit für das vergangene Jahr einen offiziellen Rekordverlust von fast 18 Milliarden Euro einräumen (siehe auch: Frankreichs Pleitemeiler).

Dabei wurde der Umsatz wegen hoher Energiepreise sogar um 70 Prozent auf 143,5 Milliarden Euro gesteigert. Trotz allem rutscht der Konzern immer tiefer in die roten Zahlen. Auch offiziell registriert die EDF nun schon einen Schuldenberg im Umfang von 64,5 Milliarden Euro.

Interessant ist auch, wie im deutschen Blätterwald über die Vorgänge berichtet wird. So spricht das Handelsblatt zwar schon im Titel von einem "Rekordverlust" der EDF, zitiert dann aber den Konzernchef Luc Rémont so, dass "außergewöhnliche regulatorische Maßnahmen in 2022" dafür verantwortlich seien.

Das weist in die falsche Richtung. Denn Rémont hatte zunächst erklärt, dass die Ergebnisse des Jahres 2022 durch den "Rückgang unserer Stromproduktion" real "erheblich belastet" wurden, wozu Regulierungsmaßnahmen nur hinzukamen. Das berichtet auch der Stern korrekt; das Magazin streicht dies wie Rémont heraus.

Der wirkliche Kern der hohen Verluste

Allerdings wird in Artikeln auch erwähnt, dass die französischen Atomreaktoren "so wenig Strom wie seit 1988 nicht mehr" produziert haben, wo der wirkliche Kern der hohen Verluste liegt. Dass die Kosten für den EPR im französischen Flamanville weiter explodieren und die Ergebnisse ebenfalls belasten, verschweigt das Handelsblatt.

Das Problem spricht zwar der Stern an, aber er kaut nur die EDF-Angaben unkritisch wieder, wonach die Kosten von 12,7 auf nun 13,2 Milliarden gestiegen sein sollen. Dass der EPR eigentlich nur 3,3 Milliarden kosten sollte, erfährt man nirgendwo. Die Zahlen sind aber wieder von einem Unternehmen stark aufgehübscht, dem immer stärker auch in Frankreich die Glaubwürdigkeit abhandengekommen ist.

Der Rechnungshof hatte die Kosten schon 2015 auf 19,1 Milliarden Euro für einen Meiler beziffert, der eigentlich bereits seit zehn Jahren Strom liefern sollte, dessen Inbetriebnahme ständig verschoben wird.

"Trotz aller Herausforderungen konzentrierte sich EDF aktiv auf den Service und die Betreuung der Privat- und Geschäftskunden und unternahm alle Anstrengungen, um die beste Verfügbarkeit des Kraftwerksparks für die Winterperiode zu gewährleisten", erklärte der EDF-Chef deshalb zur Tatsache, dass die Regierung die EDF "verpflichtet" hatte, auch von starker Korrosion betroffene gefährliche Atommeiler wieder ans Netz zu bringen.

Damit sollten Verluste begrenzt und der erwartete Blackout oder Brownouts – rollierende Abschaltungen von Regionen – abgewendet werden.

"Himmel hilf, dass der Winter mild ausfällt"

Bisher haben sich die Stoßgebete aus Paris erfüllt, dass es ein möglichst milder Winter werden sollte, damit es nicht zum Desaster kommt. Allen ist klar, dass die Stromlücke zwischen einer verfügbaren Atomkraftwerksleistung von derzeit 43 Gigawatt und dem Peak beim Verbrauch von 102 GW bei einer Kältewelle durch die verbleibenden Kraftwerke und den Import nicht gedeckt werden können.

Der Ausfall der Atomkraftwerke, zeitweise konnten im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte aller Meiler nicht betrieben werden, schlägt sich deutlich in den Betriebsergebnissen der EDF nieder. Inzwischen kündigt sogar Rémont einen "beschleunigten Ausbau von erneuerbaren Energiequellen" an.

Sonst wird sich die Stromlücke angesichts des altersschwachen Atomparks nur weiter vergrößern. Erneuerbare sind die einzige Lösung, um der Entwicklung schnell, nachhaltig und billig zu begegnen.

Nur darüber lässt sich das angehen, was der EDF-Chef als "Priorität" bezeichnet. Denn er will die "die Finanzlage der EDF verbessern". Angesichts der Tatsache, dass der Konzern tief in die Atom-Sackgasse gesteuert wurde, handelt es sich bei seiner Aussage aber erneut um ein Stoßgebet. Das ist aber viel schwieriger umzusetzen, da der Klimawandel dem Land und der EDF dabei nicht hilft.

Die Dürre im Sommer

Der sorgt dafür, dass Atomkraftwerke im Sommer wegen Dürre abgeschaltet oder heruntergefahren werden mussten, was zu weiteren Einnahmeausfällen geführt hat.

Die Dürre hat aber das Land weiter im Griff. Wasser muss in etliche Gemeinden sogar im Winter mit Tanklastern gebracht werden, weil es seit vier Wochen praktisch nicht geregnet hat.

Nettoimporteur von Strom

Deshalb ist Frankreich gerade in dem Jahr zum Nettoimporteur von Strom geworden, als die Preise besonders hoch waren. 42 Jahre war Frankreich Strom-Exporteur, doch das ist Geschichte, wie Thomas Veyrenc vom Netzbetreiber RTE vergangene Woche erklärt hat. Die Atomkraftwerke haben nur noch 279 Terawattstunden (Twh) produziert, das waren 81.7 TWh weniger als im Vorjahr und 30 Prozent weniger als im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre.

Statt 73 Prozent, wie zwischen 2015 und 2019, wurde nur noch gut die Hälfte des Stroms über Atomkraft produziert. Es wurden 16,5 TWh importiert und davon entfielen 60 Prozent auf den Sommer. Noch im Vorjahr hatte Frankreich 43 TWh exportiert. Am frühen Montag musste das Land schon wieder vier Gigawatt importieren, trotz der milden Temperaturen.

Mit seinem Stromhunger hat die EDF auch die Strompreise für deutsche und andere europäische Verbraucher in Höhe getrieben. Hier wurde und werden viel Kohle und Gas verbrannt, um Frankreich vor dem Blackout zu retten.

Als Notreserve wurden für Frankreich die Laufzeiten für die drei altersschwachen Atomkraftwerke in Deutschland verlängert, deren Strom hier niemand braucht.

Hinkley Point: Streit um die Mehrkosten

Was in den aufgehübschten Zahlen der EDF auch fehlt, sind die explodierenden Kosten beim EPR-Neubau im britischen Hinkley Point.Telepolis hatte schon über die neuen Milliardenkosten berichtet, die auf die französischen Steuerzahler zukommen. Laut EDF sollen die Kosten nicht die britischen Steuerzahler zu tragen haben.

Allerdings wurde den britischen Verbrauchern in den Verträgen für die beiden EPR-Druckwasserreaktoren eine Preisgarantie von 92,5 Pfund pro Megawattstunde über 35 Jahre aufgedrückt, die zudem noch an die Inflation angepasst wird. Denn billig ist Atomstrom nicht, wie die "teuersten" Meiler weltweit schon jetzt zeigen.

Das Problem ist, dass der EPR Konstruktionsfehler aufweist, die nun am laufenden Bau behoben werden sollen. Die sind im chinesischen Taishan aufgetaucht, wo zwei EPR-Reaktoren zwischenzeitlich ans Netz gebracht wurden.

Doch der chinesische Partner der EDF beim Neubau in Hinkley Point will die Mehrkosten nicht mittragen. So titelte die Financial Times, dass "die EDF die Mehrkosten schultern" muss. Demnach habe die EDF mitgeteilt, dass die EDF davor gewarnt hat, dass sie am Ende einen größeren Teil der steigenden Kosten für das Atomkraftwerk Hinkley Point C schultern muss. Der chinesische Partner China General Nuclear (CGN) sei "möglicherweise nicht in der Lage", seinen Anteil an den Mehrkosten zu bezahlen.

Der britische Telegraph berichtet dagegen, dass CGN nicht bereit sei, die ausufernden Mehrkosten in Hinkley Point mitzutragen. Die CGN, die mit der EDF die EPR-Meiler in Taishan betreibt, weiß, was auf den Konzern angesichts des Pannen-Reaktors in Großbritannien zukommt.

Die Kosten für Hinkley Point sind nach Angaben der EDF inzwischen auf 32,7 Milliarden Pfund explodiert. Beim Start des Projekts waren 2016 noch 18 Milliarden veranschlagt worden. Dass es bei den knapp 33 Milliarden nicht bleiben wird, ist auch allen klar, wie alle bisherigen EPR-Baustellen gezeigt haben.

Die Mehrkosten bleiben also am Staatsbetrieb EDF und damit beim französischen Steuerzahler hängen. Dem wird derweil weiter über subventionierte Strompreise weisgemacht, dass Atomstrom billig sei, während die EDF immer tiefer im Schuldensumpf versinkt.

Telepolis-Lesern ist auch bekannt, dass der französische Präsident Emmanuel Macron und die Regierung weiter auf die teure Atomkraft setzt, was natürlich zentral mit der Atombombe und militärischen Fragen der Atommacht Frankreich zu tun hat.

So will die Regierung nun noch tiefer in das teure EPR-Abenteuer einsteigen und weitere sechs EPR-Reaktoren "schnell" bauen. Die würden dann aber bestenfalls in 20 Jahren die Stromlücke schließen, die angesichts altersschwacher Atommeiler immer größer klafft.

Als Notprogramm sollen derweil die Laufzeiten für Reaktoren, die für 40 Jahre konzipiert sind, sogar bis auf 80 Jahre verlängert werden.