Biohacker zwischen Gemeinwohl und Profit

Ausschnitt aus der Struktur von Humaninsulin, das als Zink-Komplex in spezialisierten Zellen der Bauchspeicheldrüse gespeichert wird. Bild: Bernd Schröder, nach Daten der Protein Data Bank

Im Labyrinth der Schöpfung - Streifzüge durch ein Biotop - Teil 2

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2015 gab es weltweit 415 Millionen an Diabetes erkrankte Menschen - Tendenz steigend. Betroffene ohne Zugang zu Insulin leiden unter den Komplikationen, die zu Blindheit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Amputationen, Nerven- und Nierenschäden und schließlich zum Tod führen können.

Heute ermöglicht die Insulin-Therapie den Patienten, mit der Krankheit umzugehen und die nachteiligen Auswirkungen eines erhöhten Blutzuckerspiegel zu begrenzen. Die ersten Insulinpräparate wurden aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern und Schweinen gewonnen, sie sind dem Humaninsulin ähnlich. Heute wird Insulin biotechnisch hergestellt - es ist das erste mit Hilfe der Gentechnik gewonnene Medikament.

Doch es gibt ein Problem: Obwohl Insulin seit 1923 als Medikament auf dem Markt ist, ist bisher trotz der großen Nachfrage, gerade in den ärmeren Gegenden der Welt, kein generisches Pendant erhältlich. Auch in den USA ist die Substanz teuer. Von den heute 21 Millionen Diabetes-Patienten in den USA nehmen sechs Millionen Insulin. Die damit verbundenen monatlichen Auslagen unversicherter Patienten betragen zwischen 120 und 400 US-Dollar.

Die Investitionskosten für ein neues Medikament liegen heute jenseits der Marke von einer Milliarde US-Dollar. Diese Kosten dienen als Begründung für die oftmals obszönen Preise neuer Medikamente, die zunächst außerhalb der Reichweite vieler Patienten liegen. Nach dem Ablauf des Patents werden diese durch generischen Wettbewerb deutlich preiswerter - eine Regel, die nicht auf das erste Wundermedikament des 20. Jahrhunderts anwendbar scheint: Insulin.

Eine Schwierigkeit generischer Pharma-Unternehmen: Im Gegensatz zu anderen pharmazeutisch wichtigen Molekülen sind Insuline als Biopharmaka deutlich komplizierter gebaut und schwieriger zu kopieren, die Zulassungsverfahren gelten als aufwendig. Darüber hinaus wird die Erforschung von Verbesserungen an Designer-Insulinen durch die komplexe Natur der aktuellen Standardprotokolle für die Insulinsynthese erschwert. Außerdem patentieren Pharma-Unternehmen kleine Änderungen an früheren Insulinen und nehmen diese früheren Versionen gleichzeitig vom Markt, anstatt sie denjenigen preiswert zugänglich zu machen, für die die modernen Präparate unerschwinglich sind.

Der Preiszettel des Insulins macht dabei nur einen Teil der mit diagnostizierter Diabetes in den USA verbundenen Gesamtkosten aus, die für 2012 mit 245 Milliarden US-Dollar beziffert wurden.

OpenAPS und Open Insulin

Der ungleiche Zugang zu medizinischer Versorgung hat Biohacker motiviert, in dieser Richtung zu erforschen, was mit ihren Mitteln machbar ist, um Betroffenen Hilfe leisten zu können - oft in der Form von Hilfe zur Selbsthilfe.

So nehmen technikbegeisterte Familien von Diabetikern unter OpenAPS die Dinge in die eigenen Hände und stellen ihre eigenen hausgemachten Insulinpumpen her, die automatisch die richtige Menge des Hormons als Reaktion auf den Blutzuckerspiegel dosieren können. Die Familienangehörigen bauen diese Geräte auf eigene Faust, kalibrieren und entstören sie, entwickeln die Software. Künstliche Bauchspeicheldrüsen sind seit Jahrzehnten in der Entwicklung, aber erst Verbesserungen der Sensorik für die Echtzeit-Glukoseüberwachung haben ihre Markteinführung in greifbare Nähe gerückt. Bei der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel FDA hat die Zulassung solcher Geräte höchste Priorität. Doch die Angehörigen von Diabetikern wollen nicht länger warten. Ende Januar 2017 waren bei der OpenAPS-Plattform weltweit bereits mehr als 200 Nutzer verschiedener Ausführungen bekannt. OpenAPS ist kein kommerzielles Produkt und wird nicht von der FDA reguliert.

Ein Team von Biohackern aus den Counter Culture Labs von Oakland in Kalifornien wiederum entwickelt ein Open-Source-Protokoll, um Insulin einfach und wirtschaftlich herzustellen - über eine genetische Veränderung von E. coli-Bakterien. Die Arbeit soll als Grundlage für eine generische Produktion des Medikaments und der weiteren Forschung an verbesserten Versionen von Insulin dienen.

Bändermodell der Proteinstruktur von Insulin glargin (Handelsname Lantus von Sanofi). Wie andere Verzögerungsinsuline wird es nach der Injektion langsamer und gleichmäßiger vom Körper aufgenommen; eine einmalige Gabe am Tag ist ausreichend. 2015 war der Patentschutz in den meisten Ländern erloschen. Bild: Bernd Schröder, nach Daten der Protein Data Bank

Die Biohacker der Counter Culture Labs wollen den generischen Pharmaunternehmen so bei der Forschung unter die Arme greifen. Sie wissen, dass das Vorhaben schwierig ist. Und im Erfolgsfalle wartet eine noch größere Herausforderung: die Zulassung zur Produktion, die durch die FDA erteilt wird.

Die Zulassungsverfahren und Überwachung von Biosimilaren, die Biopharmazeutika nachahmen, sind aufwendiger als die von klassischen Generika. 2016 hatte die FDA mit Basaglar das erste Insulin-Biosimilar in den USA zugelasse, von Lilly und Boehringer Ingelheim als Biosimilar von Insulin glargin entwickelt und in Europa als Abasaglar seit 2014 zugelassen. Ob das Produkt Diabetes-Patienten als eine tatsächlich preiswerte Alternative angeboten wird, bleibt abzuwarten. Beobachter rechnen zwar nicht mit Preisnachlässen von 80 - 90%, doch zumindest 30% werden erwartet.

Die Enthusiasten wollen mit ihrem Projekt auch eines zeigen: dass sie zu wissenschaftlicher Arbeit auf hohem Niveau fähig sind, mit einem Minimalbudget, und ohne an eins der Top-Labors der Welt angeschlossen zu sein.

Personal genomics: Stammbaum-Fieber und erbgutbasierte Shopping-Apps

Das Biohack-Biotop ist vernetzt und bietet Bedingungen für die Entwicklung und Verflechtung von Start-up-Unternehmen über Grenzen hinweg. Da sind die Gendesigner von Genome Compiler aus Tel Aviv, mit deren Software Gene angepasst werden können. Die am Bildschirm gerenderten DNA-Werkstücke werden dann von Spezialfirmen hergestellt. Wie von Twist Bioscience, einem anderen Start-up, das auf schnelle, qualitativ hochwertige DNA-Synthese spezialisiert ist. Twist Bioscience hat Genome Compiler 2016 übernommen.

Twist Bioscience stammt aus Mission Bay, San Franciscos "Biotech-Epizentrum". Der University of California San Francisco Mission Bay-Campus liegt am Gene Friend Way - nicht nach einem Genfreund, sondern nach einem Geschäftsmann und Philanthropen aus der Stadt so benannt. Das erste Forschungsgebäude wurde 2003 eröffnet, Mission Bay gilt heute als ein lebendiges Biotech-Zentrum.

Hier gibt es auch eine Niederlassung von Illumina, ein Biotech-Schwergewicht und Marktführer bei DNA-Sequenzierern. Während die erste Sequenzierung eines menschlichen Genoms noch mehr als zehn Jahre dauerte und drei Milliarden US-Dollar verschlang, gelingt das heute in wenigen Tagen, zu einem Preis von wenigen tausend US-Dollar. Das Unternehmen macht jährlich rund zweieinhalb Milliarden US-Dollar Umsatz, schätzungsweise 90% aller bisher verarbeiteten DNA-Daten wurden mit Illumina-Maschinen sequenziert.

Mit der Ausgliederung von Helix, der "personal genomics company", will das Unternehmen bei Kunden das Interesse am eigenen Erbgut wecken und in klingende Münze verwandeln. Zum Beispiel mit Geno 2.0 Next Generation, dem Update des Abstammungsprojekts von National Geographic, dass Ende 2016 über Helix lanciert wurde und seiner Kundschaft Stammbäume für die letzten 200.000 Jahre in Aussicht stellt.

Das Unternehmen will auf der Grundlage genetischer Informationen gemeinsam mit Labors, Kliniken und Handelsmarken neuartige Produkte kreieren, auf einem Markt, der in naher Zukunft zwei bis sieben Milliarden US-Dollar wert sein soll.

Bei Helix ist eine App-Store-ähnliche Plattform geplant, die die Verbraucher auf ihre genetischen Daten zugreifen lässt und zu entsprechend passenden Anwendungen lotst. Die DNA muss dafür nur einmal sequenziert werden, dann weisen die Apps den Weg durch das Konsumgestrüpp. Zum Beispiel zu trinkbarem Wein: der Weinempfehler Vinome verknüpft die genetische Information mit einem Geschmacksprofil und bietet dann die vermeintlich passenden Karaffen feil: DNA-Test und drei Flaschen Wein sind ab 149 US-Dollar zu haben.

CRISPR: Kampf um Pfründe und die Zukunft der Evolution

Aufgrund der rasanten Entwicklung beim Genome Editing werden neue Impulse für verschiedenste Anwendungen erwartet - auch in der Biohacker-Szene, in der zum Beispiel erste Kits für Heimanwendungen kursieren (Gentechnik für Alle). Und weit darüber hinaus: das Genschneide-Werkzeug CRISPR/Cas hat der Gentechnik wegen seines Innovationspotentials einen Boom beschert, der stellenweise hysterische Ausmaße angenommen hat.

Die Diskussion um CRISPR ist in der breiteren Öffentlichkeit angekommen, aus gutem Grund: Geschäftstüchtige Beteiligte berauschen sich an den neuen Möglichkeiten, zum Beispiel in der therapeutischen Genom-Editierung beim Menschen. CRISPR-basierte Unternehmen könnten schon bald einen Milliarden von Dollar schweren Zweig der Medizin bilden.

Dringlicher noch als die Klärung ethischer Grundsatzfragen rund um die Anwendung von CRISPR am Menschen scheint gegenwärtig das Feststellen der Eigentumsverhältnisse zu sein. Während ein Moratorium zur CRISPR-Nutzung am Menschen nicht zustande kam, ist der Kampf um die Urheberschaft und die Kontrolle einer gerade erst im Entstehen begriffenen Industrie in vollem Gange.

Der Streit um CRISPR beleuchtet exemplarisch die Nichteignung bisher ausgeübter Praktiken zum Schutze geistigen Eigentums vor dem Hintergrund der stattfindenden revolutionären Veränderungen in der Biologie, deren Folgen momentan unabsehbar sind. Patente können auf der einen Seite zur Blockierung gesellschaftlich erwünschter Ergebnisse führen, auf der anderen Seite kann eine ungehinderte Verbreitung des neuen Wissens zu Problemen auf ganz unterschiedlichen Ebenen führen. Im Falle von CRISPR sind das vor allem mögliche ökologische und ethische Konsequenzen.

Parallel zur Eigentumsfrage wird am rechtlichen Rahmen zur Nutzung der neuen Technologie gezimmert. In Deutschland will die Bundesregierung mit einer Änderung des Gentechnikgesetzes den Weg für CRISPR ebnen - über eine Neudefinition von dem, was gentechnisch veränderte Organismen eigentlich sind. Im begleitenden Diskurs bedient man sich bei schon von anderen Anlässen bekannten Argumenten, die sich in der Vergangenheit in schöner Regelmäßigkeit als Illusion erwiesen: zum Beispiel das Versprechen einer Verringerung der Pestizidbelastung in der Landwirtschaft. Doch der Blick in die Geschichte bringt die Herolde des Fortschritts kaum dazu, ihren Fanfaren nachdenklichere Weisen zu entlocken.

Die gemeinschaftlich genutzte Ressource in der sich abzeichnenden Bioökonomie der Zukunft sind genetische Codes, deren digitale Information kopiert, geteilt und editiert werden kann. Die Rückübersetzung der Codes in analoge Gegenstücke kann zu wertvollen physisch vorliegenden Produkten führen, ein nutzbares Gut: von der DNA über Proteine bis hin zu neuen Organismen.

Teile der Biohacker-Szene streben zur Austarierung des Innovationssystems einen globalen ethischen Minimalkonsens an, in den auch fundamentale Fragen zu Vorstellungen vom Leben an sich einfließen und der einen freien Zugang zur Technologie sowie Schutz vor ihrer Vereinnahmung durch Einzelinteressen gewährt. Beobachter plädieren für eine Neujustierung der Trennlinie zwischen veräußerbarer und nichtveräußerbarer Natur: Was genau sollte genetisch veränderbar sein dürfen und einem Zugriff durch Schutzrechte zugänglich gemacht werden? Wie lange sollten sie gelten, und würden sie eine Open-Source- und Open-Access-Nutzung erlauben? Sind Nutzungslizenzen denkbar, die die Einhaltung ethischer Standards erzwingen?

Ob an einem Biogemeingut angelehnte Lizenzmodelle eine Chance haben werden, bleibt abzuwarten. Wo von hohen Gewinnen geträumt wird, erlahmt erfahrungsgemäß der politische Wille zu einer wirksamen Regulierung durch die Gesellschaft, und die Sorge vor rücksichtslos profitorientierten oder gar missbräuchlichen Anwendungen tritt in den Hintergrund - ein menschlicher Wesenszug, der seit kurz nach der Urzeit fest im Humangenom verankert scheint.

Teil 1: Biohacker zwischen Spaß und Kommerz