Blair leiht NATO seinen obersten Mediengeneral

Unterbesetztes Pressebüro in Brüssel erhält Verstärkung von Downing Street Nr.10.

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London - Spätestens nach der Bombardierung eines Flüchtlings-Konvoys durch NATO-Flugzeuge in der Vorwoche entwickeln sich die Luftangriffe zum PR-Debakel für die Westmächte. Mit einer unglücklichen Veröffentlichungspolitik hatte die NATO sich dem Verdacht ausgesetzt, die öffentliche Meinung mit ähnlichen Methoden wie das Milosevic-Regime manipulieren zu wollen. Ein Video war herausgegeben und wieder zurückgezogen worden, desgleichen ein Tonband-Interview mit einem der angreifenden Piloten. Wie sich später herausstellte, stammten beide Dokumente nicht von den Flugzeugen, welche irrtümlich die Flüchtlinge angegriffen hatten, sondern von anderen Fliegern.

Damit es zu einer derartig verwirrten und widersprüchlichen Informationspolitik nicht mehr kommen kann, wurde Tony Blairs oberster Pressesprecher, Alistair Campbell, letzte Woche als Berater zum NATO-Hauptquartier nach Brüssel geschickt. Der Zusammenhang mit dem unglücklichen Bombardement wurde zwar verleugnet, doch die zeitliche Übereinstimmung ist kaum zu übersehen.

Campbell stellte als Erstes fest, daß NATO-Pressesprecher Jamie Shea mit nur drei Mitarbeitern und minimalem Budget den Anforderungen selbst beim besten Willen nicht gewachsen sein kann. Sein Personal soll nun vervierfacht werden, ein Teil der neuen Pressereferenten soll direkt aus den Chefetagen von NATO-Ländern, allen voran das Vereinigte Königreich, abgestellt werden.

Die somit verstärkte Pressestelle soll nun rasch auf "spin doctoring" im Stile von New Labour getrimmt werden. Ein Teil der rund 700 Journalisten, die ihr Camp rund um das NATO-Hauptquartier aufgeschlagen haben, ist einem Kommentar der Financial Times zufolge über die Neuerung gar nicht glücklich. Campbell steht bei der britischen Presse im Ruf, ein "harter Hund" zu sein, der Günstlinge mit gezielt durchsickernden Informationen nährt, während allzukritische Journalisten von solchen Hintergrundinformationen ausgeschlossen sind, wenn sie nicht gar mit persönlichen Anrufen (oder bei ihren Vorgesetzten) aus dem Downing Street Pressebüro konfrontiert werden, in denen die Pressestelle das Missfallen über ihre Berichterstattung unmissverständlich zum Ausdruck bringt.

Die NATO-Pressesprecher sollen ab nun für jedes tägliche Briefing eine "Story" vorbereiten, anstatt bloß mit einer Anzahl von Fakten über die Ereignisse am Boden zum Briefing zu kommen. Wenn die Faktenlage unklar ist, so wie im Falle des Bombardements des Flüchtlingskonvoys, solle man besser gar nichts sagen, als sich widersprechende Briefings abzugeben, die nur neue, unbeantwortbare Fragen aufwerfen.

Das Hauptanliegen der von Tony Blair unterstützten Campbell-Initiative ist, der Welt zu zeigen, daß die Allianz mit einer Stimme spricht und daß auch ein geschickt taktierender Milosevic keinen Keil in die geschlossenen Reihen treiben kann. Erste sichtbare Ergebnisse: Arrangiert von Downing Street legte US-Präsident Bill Clinton der britischen Öffentlichkeit seine Meinung in einem Artikel in der Sunday Times dar; Tony Blair sprach live in den CBS-News zur amerikanischen Bevölkerung und die Washington Post veröffentlichte ein langes Interview mit Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Ein weiteres wichtiges Anliegen soll sein, der Welt den Unterschied zwischen Milosevic-Propaganda und der Informationspolitik demokratischer Mächte zu zeigen. Der solchermaßen beratene Jamie Shea sagte der englischen Tageszeitung The Guardian, "Milosevic muß gar nichts rechtfertigen, wir aber müssen unsere Fakten überprüfen, Fehler korrigieren, wir müssen die Wahrheit sagen."

Was ist aber nun wirklich angesagt, Gleichschaltung der Westmedien oder Wahrheitsfindung, auch wenn die gefundene Wahrheit weh tut? In der britischen Presse dominieren derzeit immer noch Kriegsgetöse und moralische Rechtfertigungsakte. Die Stimmen der Zweifler mehren sich, doch der stärkste Feind der Berichterstattung, bei einem sich ohne politische Ergebnisse hinziehendem Luftkrieg, ist die Langeweile: Noch eine Brücke gesprengt, wieder einige tausend Flüchtlinge im Schnee. "Arme" Westmedien, solche Sorgen haben die/wir...