Bleibt Assads Stärke die Schwäche seiner Opponenten?

Syriens Dissidenten formieren sich, überzeugen aber bislang nicht

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Sechs Monate währt Syriens Revolution. Und noch immer ist kein einheitliches Sprachorgan für das Ausland erkennbar. Selbst US-Außenministerin Hillary Clinton beklagte dies unlängst. Nun aber jagen sich die Ereignisse: Vorgestern stellte sich "Syriens Nationalrat" vor - heute tagen drei weitere Oppositionsströmungen.

"Versteht ihr, was los ist?", "Wer um Himmels Willen sind diese Leute?" und "Was soll dieser Nationalrat denn für die Nation bewirken?", lauteten einige Fragen, die syrische User vergangenen Donnerstag auf der Facebookseite des Syrischen Nationalrates recht entnervt stellten, unmittelbar nachdem dieser bei einer Pressekonferenz in Istanbul seine Zusammensetzung verkündet hatte. Diese war mit Spannung erwartet worden und hätte enttäuschender nicht ausfallen können.

Jung, hochambitioniert und - ahnungslos

Sicher, von den 140 Beteiligten wurden aus Sicherheitsgründen nur die 71 genannt, die im Ausland leben. Insofern bleibt die volle Bandbreite unklar. Auch sind die angeführten Exilsyrer - sofern bekannt - insofern typische Repräsentanten jener Jugend, die seit einem halben Jahr die Revolte im Inland trägt, als auch sie zwischen 25 und 35 Jahre alt sind und via Internettechnologie die Proteste mitkoordinieren sowie internationale Medien informieren. Damit aber scheinen die positiven oder zumindest neutralen Vorzeichen erschöpft. Denn - ob die politische Agenda von so manchem, im Exil lebenden Ratsmitglied wirklich repräsentativ für die revoltierenden Inlandssyrer ist, darf bezweifelt werden.

Überdeutlich jedenfalls ist die westliche Färbung. Etwa bei Rami Nakhle. Vergangenes Jahr floh der 29-Jährige aus Furcht vor seiner Verhaftung aus Syrien, nachdem er weltweit Proteste vor syrischen Botschaften mithilfe der US-amerikanischen NGO Freedom House initiiert hatte. Deren selbsterklärtes Ziel ist die Förderung "demokratischen Wandels".

Die der Organisation nachgesagten Beziehungen zur CIA hält Jillian C. York für falsch - allerdings weist die Direktorin des Programms für internationale Meinungsfreiheit an der Electronic Frontier Foundation in San Francisco daraufhin, dass Freedom House großteils vom US State Department finanziert werde.

Infolgedessen unterstützen sie nur Aktivisten, die mit der politischen Linie Washingtons konform laufen. Sprich: anti-Iran, anti-Hisbollah, anti-Hamas usf..

Unübersehbare US-Unterstützung

Eine Gesinnung, die der in London lebende Ausama Monajed ("Die Gewalt geht vom Regime aus") teilen dürfte. Zumindest zeitweilig war er eigener Aussage zufolge für "Barada TV" tätig, ein US-finanzierter Satellitensender, der die syrische Diktatur fokussiert. Muhammad Ali Abdallah (Sprechen in der "sicheren" Zone) wiederum macht aus seinem politischen Standpunkt gar keinen Hehl, sondern gleich sein Logo. Der Schriftzug "I love life" schmückt sein Twitterprofil.

Der Slogan wurde 2006, inmitten des Krieges zwischen Israel und der Hisbollah, von Eli Khoury geschaffen, dem damaligen Leiter der libanesischen Filiale des Werberiesen Saatchi & Saatchi. Der Libanese Khoury wollte mit dem Spruch alle Unterschiede auf den einen Nenner herunterdeklinieren, der seines Erachtens die Gegner und die Befürworter des Widerstandes gegen Israel trennt: Erstere würden das Leben lieben - letztere nicht.

Weitere Unterschiede sind auf einer Facebook-Seite nachzulesen, die Khourys Anhänger verwalten. Unter anderem ist dort nachzulesen: Erstere "lieben Deodorants, Gucci & Prada" und "hausen nicht in Zelten" - letztere täten im Umkehrschluss das Gegenteil. Khourys "I love life"-Werbekampagne, die 2006 - inmitten des Sterbens auf libanesischer Seite - zahllose Außenplakate im Libanon pflasterte, wurde ob ihres Rassismus stark kritisiert, entwickelte sich aber nichtsdestotrotz zum grellen Symbol für viele, die gleichfalls eine Annäherung an westliche Agenden suchen.

Der Syrer Muhammad Ali Abdallah gehört dazu - erst unlängst sprach der 29-Jährige gemeinsam mit Radwan Ziadeh, einem weiteren Mitglied des neugegründeten Nationalrates, bei US-Außenministerin Hillary Clinton vor.

Dass diese jungen Männer auch im Inland skeptisch beäugt werden, beweist nicht zuletzt ein Eintrag auf dem stark frequentierten Blog The Syrian, auf dem diverse (anonym zeichnende) Inlandssyrer ihre Meinung zur Entwicklung des Aufstandes posten. In Reaktion auf den Nationalrat heißt es zynisch:

Bei allem Respekt: Wir hätten wirklich lieber einen Experten für internationales Recht, statt eines Zahnarztes, der in den USA lebt und sich nebenberuflich für Menschenrechte engagiert.

Gemeint ist der einstige Zahnarzt und frischgebackene Jungpolitiker Radwan Ziadeh.

Es fragt sich tatsächlich, wohin er, Abdallah oder Nakhle das Land steuern wollen. Freilich: Es sind nicht nur westliche "liberal-säkulare" Agenden vertreten. So zählt zu den Ratsmitgliedern auch der sunnitische Kleriker Anas Ayrout, der im Mai die Aufstände im syrischen Küstenort Banias anführte.

Insgesamt aber scheint es, als benötige Syriens Nationalrat vor allem den Rat anderer Nationen, da er aus einem Sammelsurium junger Menschen besteht, die zwar hochambitioniert nach "Freedom" streben, den Weg dahin aber offensichtlich allein nicht finden. Inwiefern sich daran etwas ändert, sobald der noch ausstehende Ratsvorsitz gewählt ist - und ob dieser mit erfahreneren Politköpfen besetzt wird - bleibt abzuwarten.

Burhan Ghalioun ausgeschieden?

Der Kopf allerdings, auf den in den vergangenen zwei Wochen die Hoffnungen der Beobachter gerichtet waren, fehlt. Burhan Ghalioun ("Das syrische Volk hat einen sehr langen Atem") , Professor für politische Soziologie an der Pariser Sorbonne und eine der seriösesten Figuren in der syrischen Dissidentenszene, hatte Ende August den Vorsitz des Nationalen Übergangsrates akzeptiert. Auch dieses Gremium trug von Anfang an den Stempel der Obstrusität: Eine Handvoll gemeinhin unbekannter Oppositioneller hatte es am 23. August in Istanbul ausgerufen und - dabei versäumt die Mitglieder im Vorfeld zu fragen, ob sie überhaupt teilnehmen möchten.

Manche lehnten infolge entrüstet ab - andere, wie Ghalioun, nahmen die Herausforderung an. Ein mutiger Schritt, der dem linksgerichteten, anti-islamistisch und anti-zionistisch orientierten Ghalioun viele Balanceakte inmitten des Interessendschungels gekostet haben dürfte. Das Ergebnis hätte in den vorgestern vorgestellten Nationalrat münden sollen. Umso enttäuschender, dass davon (noch?) nichts zu spüren ist.

Koalition der Schwergewichtler im Anmarsch?

Möglicherweise aber ist Ghalioun an anderer Stelle umso aktiver. Wie die libanesische Tageszeitung Al-Akhbar am 13. September berichtete, streben drei wichtige politische Gruppierungen die Koalition an: die 2005 lancierte, zwischenzeitlich aber durch Verfolgung nahezu erstickte Damaskus Deklaration; die Bewegung Nationaler Zusammenschluss der Kräfte des demokratischen Wandels, zu der sich im Juni 18 verbotene Parteien und unabhängige Regimegegner (darunter Ghalioun, der Autor Michel Kilo und der Anwalt Hassan Abdel-Azim) formierten; sowie islamische Bewegungen.

Wer letztere sind, ist nicht aufgeführt, doch gehören die Muslimbrüder voraussichtlich ebenso dazu wie nicht organisierte Kleriker. Laut einem weiteren Bericht von Al-Akhbar wollen sich heute 200 bis 300 Personen an einem Ort "außerhalb von Damaskus" treffen. Dies könnte überaus spannend werden. Und dies nicht allein wegen der Frage, ob die diversen "Schwergewichtler" in der syrischen Opposition tatsächlich zu der Vereinigung imstande sind, die sie über 41 Jahre Assad-Diktatur und sechs Monate Revolution versäumt haben.

Spannend - und programmatisch - dürfte auch der Ort ihres Treffens werden. Für Ghalioun und andere Dissidenten wäre eine Einreise nach Syrien lebensgefährlich. Insofern bietet sich nur das Ausland an. Dieses aber ist in sich ein Politikum - schließlich steht auch die bislang betont gastgeberfreundliche Türkei nicht nur im Verdacht, sich zu einem neuen osmanischen "Großen Bruder" aufspielen zu wollen: die Anfang Juni in Antalya abgehaltene Konferenz war derart von westlichen und zionistischen Agenden dominiert, dass zahlreiche Dissidenten gar nicht erst angereist waren.