Blinde "Unsichtbare Hand"

Seite 2: Weltmarkt als Krisenverstärker

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Den größten Krisenverstärker bildet aber der Weltmarkt selbst, auf dem sich die fetischistische Eigendynamik höchstmöglicher Kapitalverwertung global entfaltet. Der Markt kennt keine menschlichen Bedürfnisse, sondern nur die zahlungskräftige Nachfrage, die Mittel zum Selbstzweck der Akkumulationsbewegung ist.

Deswegen herrscht auch keine Nachfrage nach Lebensmitteln in den Hungergebieten Afrikas oder im Jemen, auch wenn dort massenhaft Menschen verhungern und in den USA oder der EU rund 50 Prozent aller Nahrungsmittel auf dem Müll landen. Dieses alltägliche perverse Marktversagen, diese gigantische Verschwendung natürlicher Ressourcen, wird in der Öffentlichkeit gar nicht mehr wahrgenommen, es ist längst zur kapitalistischen Normalität geronnen.

Schwankungen in der Produktion von Lebensmitteln und in der "Nachfrage" werden von dem Markt verstärkt, zumeist im Rahmen von Spekulationsprozessen. Eine Spekulation ist nichts weiter als eine Wette auf die Zukunft.

Der Markt antizipiert die zukünftige Preisentwicklung, auf ihm wird gewissermaßen die Zukunft gehandelt: Und wenn auch auf dem globalen Nahrungsmittelmarkt die Nachfrage stärker ansteigt als das Angebot, dann lohnt sich die Wette auf weiter steigende Priese - und dann haben sich eben all diejenigen Menschen auf eine Hungerdiät einzustellen, die die explodierenden Marktpreise halt nicht mehr zahlen können.

Genau diese Konstellation führte bereits zwischen 2008 und 2011 zu einer Lebensmittelkrise in vielen Regionen in der Peripherie des Weltmarktes, die mit schweren politischen Unruhen und Verwerfungen einherging. Kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 erschütterte eine Reihe von Hungerunruhen etliche Länder der Dritten Welt. Die bis Mitte 2008 rasant ansteigenden Preise für Grundnahrungsmittel trieben die Armen in so unterschiedlichen Ländern wie Mexiko, Bangladesch, der Elfenbeinküste, Marokko, Mosambik, Niger oder Senegal auf die Straßen.

Die mit Abstand schwersten Ausschreitungen, in deren Verlauf mehrere Menschen zu Tode kamen, ereigneten sich im April 2008 in Haiti. Diese heftigen Unruhen führten Mitte April sogar zur Entlassung der damaligen haitianischen Regierung. Insgesamt waren nach Angaben der Vereinten Nationen 34 Länder von dieser ersten Welle der Hungerunruhen betroffen.

Der Food Price Index der FAO (Food and Agriculture Organisation of the United Nations) gibt einen guten Überblick über die heftigen "Marktreaktionen", die durch eine Kombination aus dürrebedingten Missernten und steigender Marktnachfrage nach Fleisch und sogenannten "Biokraftstoffen" damals ausgelöst worden waren. Befand sich der FAO-Index zu Beginn des 21. Jahrhundert noch bei rund 100 Punkten, so stieg es bis zum Jahr 2008 auf mehr als 200 Zähler, um dann im Zusammenhang mit dem Platzen der globalen Immobilienblasen auf 160 Punkte abzustürzen.

Doch schon im Jahr 2011 war er wieder auf den Rekordwert von 229 Zähler geklettert (2018 befand er sich bei 168 Punkten). Offensichtlich werden diese extremen Preisschwankungen durch eine Kombination aus Spekulation und Marktbewegung ausgelöst - da ja global auf dem erreichten Stand der Produktionsmittel 12 bis 14 Milliarden Menschen ernährt werden könnten.

Auslöser dieser durch Spekulationstätigkeit verstärkten Preisexplosion war nicht nur die steigende Nachfrage (Biosprit und Fleischproduktion), sondern auch die extremen Wetterereignisse im damaligen Zeitraum, wie der Ökonom Paul Krugman im Februar 2011 ausführte. Die zweite große Preisexplosion ab 2011 bei Grundnahrungsmitteln setzte laut Krugman erst im Gefolge der Wetterextreme ein, die im Vorjahr zu erheblichen Ernteausfällen in mehreren Ländern führten.

In Russland entfachte eine historisch einmalige Hitzewelle nicht nur eine Unmenge von Bränden, unter denen auch die Moskauer schwer zu leiden hatten; die damit einhergehende Dürre führte auch zu Ernteausfällen von gut 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Nahezu zeitgleich verwüstete eine schwere Flutkatastrophe weite Landstiche Pakistans. Millionen Menschen mussten vor den Wassermaßen flüchten, die Hunderttausende Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zerstörten.

Diese Wetterextreme haben bereits, so argumentierte Krugman, zu Ernteeinbußen auf globaler Ebene bei einzelnen Grundnahrungsmitteln geführt, die maßgeblich zum Preisauftrieb der letzten Monate beitrugen. Schätzungen gingen von einem Rückgang der Ernte bei allen Getreidearten von 2,8 Prozent in der Saison 2010/11 aus, die durch Spekulationsprozesse zu der Preisexplosion des Jahres 2011 führten.

Ein prognostizierter leichter Rückgang der Ernteerträge um 2,8 Prozent führt dank des segensreichen Wirkens der "unsichtbaren Weltmarkthand" zu einer Preisexplosion, die einem großen Teil der Weltbevölkerung die Luft zum Leben abschnürte - es scheint somit evident, dass der auf Profitmaximierung geeichte spätkapitalistische Weltmarkt hier als Krisenverstärker wirkte.

Der Markt potenziert somit auch die politische Instabilität insbesondere in der Peripherie des Weltsystems. Wie sollten nun aber die kommenden klimatischen Erschütterungen der Nahrungsversorgung innerhalb eines solchen Weltsystems bewältigt werden?

Von Tomasz Konicz erscheint demnächst das Buch "Klimakiller Kapital. Wie der Kapitalismus der Menschheit die Lebensgrundlagen entzieht," Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um Ausschnitte aus Kapital 4. dieses Buches: "Kapitalistische Selbstzerstörung"