Blockade von Leningrad: "Der Erinnerungsarbeit, die in die Zukunft weist, verpflichtet"
Seite 3: Moralisches Recht oder Verdrängung? Was möglich sein muss
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Wie sieht das deutsche Gedenken zum 80. Jahrestag aus? Fühlen wir uns jetzt angesichts der Blockade von Leningrad zu einer "Erinnerungsarbeit, die in die Zukunft weist" verpflichtet, um die Worte des ehemaligen Außenministers noch einmal aufzugreifen?
Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine mag ein Gedenken an die Blockade Leningrads und damit an russische Opfer und deutsche Täter nicht ganz einfach fallen.
Dennoch ist es notwendig.
Auch wenn es ausgesprochen bequem sein mag in einer scheinbar moralischen Welt zu leben, die sauber binär ebendiese in Gut und Böse teilt, so entspricht es schlicht nicht der Komplexität der Welt und der Geschichte.
Der russische Angriff kann und darf kein Vorwand sein, um als Deutsche, als Tätervolk, den Gedenktag an die Befreiung Leningrads mit Schweigen zu übergehen.
Was möglich sein muss
Die russische Schuld am Angriff auf die Ukraine hebt weder die deutsche Schuld im Zweiten Weltkrieg auf, noch kann es ein Grund sein, den Opfern des deutschen Verbrechens ein Gedenken zu verweigern.
Schuld auf der einen und anderen Seite hebt sich nicht auf, relativiert sich nicht, ist keine Mathematik. Schuld, jede Schuld, steht gesondert nebeneinander und erfordert einen differenzierten und sensiblen Umgang.
Es muss möglich sein, der russischen Opfer in Leningrad zu gedenken.
Es muss möglich sein, der deutschen Schuld in die Augen zu sehen und ihrer zu gedenken, auch wenn man ein Nachfahre der Täter ist.
Es muss möglich sein, den russischen Angriff zu verurteilen.
Es muss möglich sein, dies gleichzeitig machen zu können.
Und deswegen muss es möglich sein – ohne jede Relativierung – der Befreiung von Leningrad zu gedenken und sich einer "Erinnerungsarbeit, die in die Zukunft weist" zu verpflichten.
Welche Worte hat die deutsche Regierung für das Gedenken an die Blockade von Leningrad gestern gefunden? Wie wurde des 80. Jahrestages in Deutschland gedacht?
Antwort des Auswärtigen Amtes
Auf Anfrage von Telepolis hat das Auswärtige Amt die Planung für das gestrige Jubiläum wie folgt beschrieben:
"Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung Leningrads wird der deutsche Botschafter in der Russischen Föderation, Alexander Graf Lambsdorff, nach St. Petersburg reisen und am 27. Januar zusammen mit Vertreter*innen weiterer europäischer Staaten einen Kranz auf dem Piskarjow-Gedenkfriedhof niederlegen.
Er wird auch Überlebende der Blockade treffen und Erinnerungsorte besuchen. Im Zusammenhang mit dem Jahrestag hat die Deutsche Botschaft Moskau gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Institut am 23. Januar in Moskau eine Veranstaltung über die Geschichte der Belagerung ausgerichtet, bei der der Opfer gedacht wurde.“
Inwiefern das gestrige Gedenken der deutschen Regierung an die Befreiung der Blockade von Leningrad angesichts der Dimensionen des Grauens und der deutschen Schuld angemessen ist, mag jede Leserin und jeder Leser selber entscheiden.