Braunkohle: "Dunkelflaute" über der Lausitz?
Die Energie-und Klimawochenschau: Vom Aus für neue Kohlekraftwerke, wachsendem Durchschnittsalter der Atomkraftwerke und kognitiven Dissonanzen aggressiver Kohlemanager
Ab 2020 gibt es keine neuen Kohlekraftwerke mehr. Das hat die große Mehrheit der entsprechenden Energiekonzerne der EU beschlossen. Nur in Polen und Griechenland hält man nichts von derlei Selbstverpflichtungserklärungen.
In einer Presseerklärung hat der Unternehmensverband Eurelectric, der rund 3500 Mitglieder aus 28 EU-Staaten vertritt, das Ziel bekräftigt, bis 2050 die Stromversorgung vollkommen unabhängig von fossilen Brennstoffen zu machen. Als den besten Weg dorthin sieht man einen EU-weiten Strommarkt und ein Emissionshandelssystem an. Damit stellt sich der Verband implizit gegen gesetzliche Vorgaben, die Ausstiegsdaten setzen.
Nun kann man allerdings nicht sagen, dass der bestehende Markt für Emissionsrechte funktionieren würde. Schon seit vielen Jahren leidet er daran, dass zu viele Zertifikate ausgegeben werden und der Preis durch das Überangebot in den Keller gedrückt wird. Da scheinen selbst die Energiekonzerne nicht mehr mit zufrieden zu sein. Sie kritisierten kürzlich in einer anderen Erklärung die Pläne der EU-Kommission zur Reform des ETS (Emission Trading System) als nicht weitgehend genug. Die jährliche Minderung der Erlaubnisscheine bei 2,2 Prozent zu belassen, sei eine verpasste Chance. Eine stärkere Reduktionsrate hätte ein deutlicheres Signal an potenzielle Interessenten gesendet, dass sich Investitionen in fossile Energien wirklich nicht mehr lohnen.
Das Climate Action Programme der UN-Umweltorganisation UNEP zitiert in diesem Zusammenhang ungenannte "Branchenexperten", wonach die EU bis 2030 vollständig aus der Verbrennung mit Kohle aussteigen müsse, um die Ziel zur Reduktion der Kohlendioxidemissionen zu erreichen. In der EU und den USA seien in den letzten beiden Jahren zusammen 120 größere Kohlekraftwerke vom Netz gegangen und zugleich der Neubau stark zurückgegangen. Ein Bericht der EU-Kommission zeige, dass der CO2-Ausstoß der vom ETS abgedeckten Kohlekraftwerke - also faktisch aller entsprechenden Kraftwerke in der EU - im vergangenen Jahr um 11 Prozent zurückgegangen sei.
Viele Atomkraftwerke müssen in den nächsten Jahren von Netz
In Australien hat derweil die oppositionelle Labour Party einen Ausstiegsplan gefordert. Auch dort geht die Industrie offensichtlich davon aus, dass sich Neubauten nicht mehr lohnen, doch was aus den Mitarbeitern in den alten Kraftwerken geschieht, ist offen. Diese werden nach und nach stillgelegt, und in Australien gibt es ebenso wie bisher hierzulande eine entsprechende Strukturplanung, die diesen Menschen eine Perspektive eröffnet.
Auch viele Atomkraftwerke müssen in den nächsten Jahren von Netz. Weltweit nimmt das Durchschnittsalter der Reaktoren immer weiter zu. 291 der insgesamt 449 noch betriebsbereiten Anlagen, also deutlich mehr als die Hälfte, ist bereits 30 Jahre alt oder älter, wie die Statistiken der Internationalen Atomenergieagentur zeigen. 90 davon sind sogar bereits 40 Jahre oder älter. Für dieses Höchstalter wurden die Reaktoren meistens ausgelegt.
Einer der Reaktoren, die gerade ihr 40-jähriges Betriebsjubiläum begangen haben ist Fessenheim 1, der am 6. April 1977 erstmalig ins Netz einspeiste. Sein Nachbar Fessenheim 2 hat im Oktober die 40 Jahre voll. Doch wie bereits gestern berichtet soll das AKW auf der französischen Seite des Rheins vorerst weiter laufen.
Kohlemanager imaginiert "Dunkelflauten"
Wir hatten bereits letzte Woche an dieser Stelle berichtet, dass die Leag, jenes windige Firmenkonstrukt, dem die Landespolitiker Brandenburgs und Sachsens die Zukunft der Lausitz anvertraut haben, den Aufschluss eines neuen Tagebaus angekündigt hat und sich bei einem weiteren die Entscheidung offen hält.
Im Zusammenhang damit hat das Unternehmen, dessen tschechische Muttergesellschaft sich in einem Steuerparadies versteckt, reichlich aggressive Töne angeschlagen und in Stammtischmanier behauptet, seine schwerfälligen und höchst ineffizienten Braunkohlekraftwerke seien unverzichtbar. Das hätten die "langanhaltenden Dunkelflauten der vergangenen Wochen gezeigt". Die Pressemitteilung stammte vom 30. März.
Wie die "Dunkelflauten der vergangenen Wochen" aussahen, lässt sich ganz gut auf der Internetpräsenz des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme nachverfolgen. An den aufbereiteten Daten lässt sich ablesen, dass es im März einen neuen Monatsrekord beim Ertrag der erneuerbaren Energieträger gab. Zusammen brachten es Sonne, Wind, Biomasse und Wasserkraft auf 19,5 Milliarden Kilowattstunden. Die konventionellen Kraftwerke lieferten im gleichen Zeitraum knapp 28 Milliarden Kilowattstunden, während 3,36 Milliarden Kilowattstunden netto exportiert wurden. Mit anderen Worten: Im März deckten die Erneuerbaren 44 Prozent des Netto-Inlandbedarfs an elektrischer Energie.
Am gestrigen Montag haben um die Mittagszeit Sonne und Wind rund 45 Gigawatt (GW) ins Netz eingespeist, während die konventionellen Kraftwerke nur knapp 30 GW lieferten. Soviel zum Thema Dunkelflaute. Bleibt zu hoffen, dass der Umgang mit den Ewigkeitskosten des Braunkohletagebau und der von ihnen ausgehenden enormen Umweltbelastung seriöser gehandhabt wird. Immerhin hatte Vattenfall den Käufern seines Braunkohlegeschäfts, den Besitzern der Leag, noch rund 1,8 Milliarden Euro dazu gegeben. Mal sehen, ob diese Gelder zur Verfügung stehen, wenn man sie dereinst für die Aufräumarbeiten benötigt.
Trotz des Rekordertrags der Erneuerbaren ist übrigens der Kontostand des EEG-Kontos in den letzten beiden Monaten erheblich angewachsen, wie der Fachinformationsdienst IWR berichtet. Demnach liegen dort rund 5,1 Milliarden Euro, was einem neuen Rekord entspräche. Auf dem Konto werden die Einnahmen aus der EEG-Umlage gesammelt, die vor allem private Verbraucher und kleine Gewerbetreibende zahlen. Mit dem Geld wird die Differenz zwischen Marktpreis für den Strom und der gesetzlich garantierten Einspeisevergütung für die Betreiber beglichen. Der hohe Stand auf dem Konto zeigt, wie günstig der in den letzten Monaten reichlich eingespeiste Windstrom ist.
Mehr Sonne und Wind
Und zu guter letzt die gute Nachricht der Woche. Der Ausbau der erneuerbaren Energieträger schreitet weltweit voran und die Anlagen werden immer noch billiger. Zwar hat im letzten Jahr die Investitionssumme in diesem Bereich abgenommen, die installierte Leistung war jedoch deutlich größer als im Vorjahr. Das geht aus einem Bericht hervor, den das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment), die Frankfurt School-UNEP Collaborating Centre for Climate & Sustainable Energy Finance (Centre) und Bloomberg New Energy Finance (BNEF) kürzlich vorgelegt haben. Dabei wurde noch immer rund doppelt so viel Kapital in die Erneuerbaren wie in fossile Energieprojekte gesteckt.
Weltweit wurden 2016 241,6 Milliarden US-Dollar in den Ausbau von Sonnenenergie, kleinen Wasserkraftwerken, Biomasse, Geothermie, energetische Verwertung von Abfällen und Windkraft investiert. Das waren rund 23 Prozent weniger als 2015, aber damit wurden immerhin 138,5 GW neue elektrische Leistung installiert. Gegenüber dem Vorjahr war das ein Plus von neun Prozent. Die konventionelle Konkurrenz wuchs gleichzeitig um 116 GW. Davon entfielen 54 GW auf Kohle-, 37 GW auf Gas-, zehn GW auf Atom- und 15 GW auf große Wasserkraftwerke.
Damit gehen auf das Konto der Erneuerbaren knapp 55 Prozent der neu installierten Leistung. Das ist ein Rekord. Die großen Wasserkraftwerke werden für gewöhnlich nicht zu dieser Kategorie gerechnet, weil sie meist mit erheblichen Nachteilen für Mensch und Umwelt verbunden sind und außerdem unter Umständen auch Treibhausgase, und zwar Methan, emittieren können, wenn die Staubecken nicht richtig ausgeräumt wurden. Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion stieg entsprechend von 10,3 Prozent im Jahr 2015 auf 11,3 Prozent im Jahr 2016.
Bei den Energieinvestitionen werden Kohle und Gas langsam zum Nebenschauplatz. Die Musik spielt bei den Erneuerbaren. Wind und Sonne sind bereits jetzt in vielen Ländern konkurrenzfähig - es wird investiert, weil es sich lohnt und Subventionen immer weniger wichtig werden.
Ulf Moslener, Professor für Sustainable Energy Finance an der Frankfurt School und Mitherausgeber Berichts