Bringt Deutschland auch Opfer für Taiwan?

Seite 3: Stellvertreterkrieg mit Stellvertretern

Die VR China ist nicht die einzige Partei, die – in dem Fall durch "Wiedervereinigung" – eine Veränderung des Status Quo anstrebt.

Denn am wichtigen geostrategischen Standort im Pazifik treffen auch die Interessen der VR China mit denen der Vereinigten Staaten aufeinander. GFP unterstellt den USA eine systematische Agenda zur Aufwertung Taiwans, um China als – den USA zufolge – wichtigsten Wettbewerber um die Gestaltung einer neuen Weltordnung auszuschalten.

Zu diesen Maßnahmen zählt GFP außerdem die – laut Handelsblatt"massiven" US-Sanktionen gegen die chinesische Halbleiterindustrie, die die VR China zunehmend "in Bedrängnis" bringen. Auch hier steht Taiwan als Hersteller von zwei Dritteln des globalen Mikrochipbedarfs im Mittelpunkt eines Konflikts der konkurrierenden Weltmächte (siehe Telepolis-Artikel: "Handelskrieg: Kampf um jeden Nanometer").

Aus Ihrem Interesse an – oder zumindest der Billigung – einer Konfrontation Chinas machen die USA tatsächlich kein Geheimnis. Anbei eine Auswahl.

Schon im März 2018 unterzeichnete der damalige Präsident Donald Trump einen Beschluss aus dem US-Kongress, der Reisen von Abgeordneten und Besuche auf der Insel Taiwan "ausdrücklich unterstützt[e]".

Im Oktober 2021, kurz vor dem 50. Jahrestag des (informellen) Ausschlusses Taiwans aus der UN, führten US-Politiker mit taiwanischen Regierungsvertretern Gespräche darüber, wie Taiwan wieder mehr in die Uno integriert werden könne.

Im September schlossen die Vereinigten Staaten mit der taiwanischen Regierung zum Ärger der VR China einen milliardenschweren Waffendeal. Auch das Verkehren von US-amerikanischen Kriegsschiffen in der Straße von Taiwan hat nicht gerade zur Entspannung beigetragen.

Im März 2022 machte der ehemalige Außenminister und das ehemalige Oberhaupt der Central Intelligence Agency (CIA), Mike Pompeo, mit der Forderung auf sich aufmerksam, "unverzüglich" Taiwan (und damit die Republik China) als "freies und souveränes Land anzuerkennen". Die Realität, so Pompeo damals, "ist, […] dass es für Taiwan keinen Grund gibt, die Unabhängigkeit zu erklären, weil es bereits ein unabhängiges Land ist."

Und zuletzt sorgte die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im August mit ihrer Reise nach Taiwan für einen weiteren Eklat in der VR China. Peking reagierte daraufhin mit einer Verstärkung der militärischen Drohkulisse im Luftraum und zur See (siehe Telepolis-Artikel: "Nancy Pelosis Taiwan-Besuch könnte für uns alle tödlich enden").

Stürzt sich Deutschland in den nächsten Wirtschaftskrieg?

Mit Blick auf seinen wichtigsten Handelspartner in Europa und dessen politische Vertreter im Ausland formulierte die chinesische Botschaft im August:

Es steht zu hoffen, dass Deutschland, insbesondere die neue Generation der Politiker, die historischen Ursprünge der Taiwan-Frage korrekt und genau versteht, von den Handlungen der USA Abstand nimmt, ihre Verpflichtung zur Ein-China-Politik durch konkrete Handlungen untermauert und ihre Worte und Taten im Hinblick auf die Taiwan-Frage vorsichtig abwägt.

"Eine Einschränkung des China-Handels oder gar einen vollständigen Verzicht würde Deutschland mit einem drastischen Anstieg der Inflation erkaufen", schrieb Christoph Jehle zuletzt auf Telepolis.

Tatsächlich vertraten noch bis vor kurzem einige Sicherheits- und Wirtschaftsexperten die Meinung, eine unbedingte Solidarisierung Deutschlands mit Taiwan sei – im Unterschied zu einem Opfer für die Ukraine – der Volkswirtschaft hierzulande nicht zumutbar. Eine damit eintretende "beispiellose Wirtschaftskrise" sei nicht zu verantworten, erfuhr auch Telepolis in einem Gespräch mit einem ausgewiesenen Experten für internationale Beziehungen.

Abgesehen von der Frage, wann Deutschland also wirklich eine wertebasierte Außenpolitik vertritt und wann eine interessengeleitete Realpolitik im Sinne seiner Bevölkerung überwiegt, stellt sich die Frage: Woher der Sinneswandel?