Britische Armee will "gleichzeitig im physischen, kognitiven und virtuellen Bereich" operieren
Seit dem Krieg gegen den Terror und der Verbreitung des Internet ist man im Westen auf der Suche nach einem neuen Konzept für Strategische Kommunikation
Die britische Armee will auch für den Informationskrieg, für den Kampf um die Köpfe und die Steuerung der öffentlichen Meinung, sorgen. Im September wurde die Security Assistance Group (SAG) für die irreguläre, multidimensionale militärisch-zivile Kriegsführung eingerichtet. Damit soll die Armee "gleichzeitig im physischen, kognitiven und virtuellen Bereich" agieren können, nachdem China und Russland das Konzept der ungezügelten Kriegsführung eingeführt hätten. Überhaupt sollen alle Grenzen fallen, der Krieg findet auch seitens des Militärs mit Waffen und Medien, wirtschaftlich, politisch und finanziell statt. Mitarbeiten sollen talentierte Reservisten aus allen Gebieten, man will anders, unkonventionell sein.
Beschlossen wurde schließlich der Aufbau der in Hermitage, Berkshire, stationierten 77th Brigade, der jetzt im April beginnen soll. Die Einheit, in die offenbar die SAG aufgehen wird, soll bestehende und erst zu entwickelnde Fähigkeiten verbinden, die für moderne Konflikte und Kriege entscheidend seien: "Sie erkennt, dass die Aktionen der Gegner auf einem modernen Schlachtfeld nicht notwendig gewaltsam sind", so die Army. Anschließen will man in der eigenen Tradition beim "Innovationsgeist" der Chindits im Krieg gegen Japan in Burma. So wurden Gruppen genannt, die hinter der Frontlinie auf unorthodoxe Art operierten, um die japanische Kommunikation zu stören.
Auf diesem modernen Schlachtfeld geht es dann eben auch darum, dass das Militär Psychologische Operationen und Soziale Netzwerke nutzt, um Kriege im "Informationszeitalter" zu führen. Nicht nur die Städte, Wohnungen oder Betriebe sollen smarter werden, sondern eben auch die Armee, wie General Nick Carter sagte. Darin schließt sich die britische Armee Bestrebungen an, die im Pentagon schon länger unternommen wurden. Klar ist freilich trotz manchen rhetorischen Geklappers oft nicht wirklich, was denn nun, abgesehen vom Internet und Sozialen Netzwerken als zusätzlichen Öffentlichkeiten, neu an den Versuchen ist, die öffentliche Meinung in Konfliktgebieten zu beeinflussen.
Pentagon sucht nach neuen Medienstrategien
Schon während des Irak-Kriegs beklagte sich der damalige US-Verteidigungsminister Rumsfeld darüber, dass das Militär im Informations- und Medienkrieg mit den islamistischen Terroristen nicht mithalten könne (Niederlage im Medienkrieg). Die Invasion war zwar vom Pentagon als Medienereignis geplant worden, allerdings vornehmlich für das Fernsehen (Die Mutter aller Aufmerksamkeitsschlachten). Mit dem Konzept der in Kampfverbände eingebetteten Journalisten, sollte die Berichterstattung kontrolliert werden. Dazu wurden auch Journalisten bedroht und als Exempel wie schon in Kabul ein Redaktionsbüro von al-Dschasira in Bagdad "versehentlich" bombardiert. Parallel wollte man für gute Stimmung und die richtigen Informationen in der Weltöffentlichkeit mit einem "Office of Strategic Influence" sorgen (Das Pentagon will für bessere Propaganda sorgen).
Im Verlauf des Krieges wurde aber das Internet immer stärker genutzt, um Propaganda der Islamisten oder vom Pentagon unerwünschte Informationen zu verbreiten. "Mehr als die Hälfte dieses Kampfes findet auf dem Schlachtfeld der Medien statt", so Rumsfeld. Das Pentagon suchte dem entgegenzusteuern, indem es neben größerer Medien- und Internetpräsenz verstärkt in Informationsoperationen investierte, also möglichst verdeckt versuchen wollte, die Öffentlichkeit auch im Internet zu manipulieren, wie man das schon immer über gezielte Informationen an Medien gemacht hatte, die dann die angeblich geheimen, jedenfalls nichtoffiziellen Informationen durch anonym bleibende Quellen "exklusiv" verbreiten.
Genaueres über die geplanten PsyOp-Operationen wurden nicht bekannt. Es wurde aber eine "Information Operations Roadmap" aus dem Jahr 2003 bekannt, die einen Einblick in das Denken der Militärs vermittelte und deutlich machte, dass Internet mit seinem freien Fluss der Information selbst als Bedrohung galt ("Das Netz muss wie ein feindliches Waffensystem bekämpft werden"). Das Pentagon stieß auch auf Skepsis im Kongress bei der Bewilligung der Gelder, weil offiziell zumindest für die US-Bürger keine Lügen verbreitet werden sollen, während man die Öffentlichkeit im Ausland durchaus auch mit falschen Informationen füttern darf. Es gab allerdings immer wieder Versuche, die Öffentlichkeit in geopolitisch und strategisch interessanten Gebieten mit den richtigen Informationen zu füttern, was man "Bekämpfung extremistischer Propaganda durch Wahrheit" nannte (Pentagon setzt auf Online-Nachrichten). Auch die Nato begann bereits 2007, also lange vor dem Konflikt mit Russland, eine Medienstrategie auszuarbeiten (Die Medienstrategie der Nato).
Seit der Übernahme der Krim durch die russische Blitzoperation herrscht Aufregung
Seit der Übernahme der Krim herrscht allerdings Aufregung in Nato-Kreisen, wohl auch deswegen, weil die Geheimdienste keine große Ahnung von den Vorgängen hatten und die Mehrzahl der Menschen auf der Krim ohne direkte Gewaltausübung, aber mit militärischer Präsenz beim Spiel mitgemacht haben. Für den Westen sind die Menschen auf der Krim, in der Ostukraine und auch in Russland einer Art medialer Gehhirnwäsche unterzogen worden, weswegen man medial nach Gegenstrategien sucht.
Bislang haben die Militärs, wie auch immer unterstützt von den Geheimdiensten, eher daran gedacht, die alte Strategische Kommunikation auch in die neuen Medien zu überführen, indem neue Sender und Angebote geschaffen werden, die mehr oder weniger offiziell sind, oder man anderweitig versucht, Informationen zu verbreiten oder diese zu unterminieren. Auch das wird so zumindest wieder diskutiert. So soll die russischen Medien durch russischsprachige Medien aus dem Westen bekämpft werden, wie man dies schon im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg gemacht hat. Auch im Serbienkrieg wurden wie im Afghanistan- und Irakkrieg die gegnerischen Medien bekämpft und bombardiert, während über Radio- und Fernsehsender über Websites bis zu Flugblättern die eigenen Informationen lanciert wurden.
Erst in letzter Zeit werden, worauf gerade erst wieder Andreas von Westphalen hingewiesen hat (Umkämpfte Meinungsfront im Internet), offensiv verdeckte Anstrengungen unternommen, die Meinungsbildung gezielt zu beeinflussen. Das ist dann freilich eher das Werk von Geheimdiensten wie des britischen GCHQ, der offenbar die Diskussion in Sozialen Netzwerken mit Methoden beeinflussen will (oder dies schon macht), die weit über das hinausgehen, was gegenwärtig den russischen Trollen unterstellt wird. Ähnliche Aktionen gibt es auch in der Ukraine, auch in Israel wird so versucht, Kritik zu untergraben und ein besseres Image zu schaffen. Allerdings handelt es sich in der Regel um vom Staat vielleicht unterstützte, aber nicht direkt staatliche Interventionen. Die israelische Armee versucht vor allem, in allen Sozialen Netzwerken und mit Videos und Fotos Präsenz zu zeigen.
Im Fall des britischen Geheimdienstes strebt dieser auch an, durch Verbreitung von Informationen auch einzelne Personen zu diskreditieren, falsche Informationen zu verbreiten, den Informationsfluss zu stören und die Öffentlichkeit zu täuschen. Die von Snowden geleakten Dokumente belegen zumindest erstmals, dass eine westliche Regierung zu solchen Mitteln greift und zumindest virtuell wieder False-Flag-Operationen betreibt.
Offiziell soll die 77th Brigade der britischen Armee, für die angeblich nur 444 Stellen geschaffen werden, neben anderen Aufgaben wie der Bildung von Stabilität im Ausland oder der Beratung und dem Training von Soldaten in "Sicherheitsunterstützungsaufgaben", was immer das genauer heißen mag, "spezielle Beeinflussungsmethoden" entwickeln und ausführen. Knapp heißt es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage, das schließe Informationsbeschaffung über Aktivitäten, die Handlungen von wichtigen Führern, Operationssicherheit und Medienengagement ein. Man will sich also nicht so recht in die Karten schauen lassen. Für diese Unternehmungen gibt es jedenfalls zwei Gruppen: die Media Operations Group (MOG) und die 15 Psychological Operations Group (15 POG).
Der Guardian berichtete allerdings Ende Januar, dass die Brigade 1500 Mann stark und für die nichtletale Kriegsführung verantwortlich sein soll. Angeblich solle die Brigade versuchen, gegen die Informationsflut aus Medien und Sozialen Netzwerken das für die Armee richtige "Narrativ" zu kontrollieren. Aber das könnte auch nur eine Interpretation des Guardian sein, aus den wenigen bekannten Informationen zu schließen, was diese PsyOp-Einheit machen soll - wenn es denn die Armee überhaupt weiß, die vielleicht nur darauf hofft, dass eine unkonventionell zusammengesetzte Einheit auch innovative Ideen entwickelt.
Das absehbare Problem bei den Versuchen, die Öffentlichkeit durch Manipulationen zu beeinflussen, dürfte allerdings in dem jetzt schon wachsendem Misstrauen gegenüber den Medien bestehen und der weiteren Erosion des Vertrauens bestehen. Schon verstärkt sich das Misstrauen, dass die wie auch immer eigenwilligen, bösartigen und schrägen Diskussionspartner in den Foren und Sozialen Netzwerken keine Personen, sondern Sockenpuppen sein könnten, die strategisch handeln, wenn es sich nicht sowieso nur um Programme handelt.