Bruch der Olmerta

In Israel spielen die Medien bei der Aufklärung von Skandalen eine immer wichtigere Rolle

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Israels Premierminister Ehud Olmert steht erneut im Mittelpunkt eines Korruptionsskandales: Staatskontrolleur Micha Lindenstrauss beschuldigt ihn, während seiner Zeit als Industrieminister einem Freund Vorteile verschafft zu haben. Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, die den Bericht in der vergangenen Woche auf den Tisch bekamen, bezeichnen die Beweise als „schwerwiegend“. Es ist die jüngste in einer langen Reihe von Ermittlungen gegen israelische Politiker, von denen sich viele als Opfer einer Hetzjagd von Ermittlern und Medien sehen. Aus gutem Grund: Jahrzehnte lang schwiegen die Medien, wenn ein Politiker die Grenzen der Legalität, die in Israel allerdings im politischen Bereich sehr kurz sind, austestete. Gleichzeitig führte das Schweigen dazu, dass sich Politiker zunehmend unangreifbar fühlten, zumal sie auch maßgeblich an der Besetzung der Führungsposten in den Strafverfolgungsbehörden beteiligt waren.

Doch seit vor einigen Jahren unabhängige Kommissionen für die Besetzung dieser Positionen geschaffen wurden, sitzen an den Spitzen von Staatsanwaltschaft und Staatsaufsicht Karrierejuristen, die sich von politischen Befindlichkeiten nicht beeindrucken lassen. Zudem hat eine Liberalisierung des Rundfunks für einen stärkeren Konkurrenzdruck und damit dafür gesorgt, dass sich Medien ihr einstiges Schweigen einfach nicht mehr leisten können. Israel mache einen Reinigungsprozess durch, sagen Experten.

Regierungschef Ehud Olmert bei einer Rede vor dem israelischen Parlament. Bild: NewsKibbutz

In Israel gibt es Tage, an denen man am Liebsten nicht die Zeitung aufschlagen, den Radio oder den Fernseher einschalten würde. Von Korruption, Sex-Affären und Kriegsversagern ist dann dort die Rede, und von den verzweifelten Versuchen jener im Zentrum der Vorwürfe so zu tun, als gebe es wichtigere Dinge.

Im Moment sind wieder einmal solche Tage: Diese Woche wird der Vorbericht der nach ihrem Vorsitzenden benannten Winograd-Kommission zum Libanon-Krieg (Drei Napoleone), der mittlerweile dank einer offiziellen Regierungsentscheidung „Zweiter Libanon-Krieg“ heißt, erwartet, der dem Vernehmen nach nicht sehr zimperlich mit Premierminister Ehud Olmert und Verteidigungsminister Amir Peretz umgehen wird. Und vor zwei Wochen hat Staatskontrolleur Micha Lindenstrauss, dessen Aufgabe es ist, die Handlungen der staatlichen Organe zu beaufsichtigen, einen Bericht vorgelegt, in dem Olmert vorgeworfen wird, er habe Anfang 2000 als Industrieminister seinem Freund und Anwalt Vorteile verschafft. Die Beweise seien „sehr schwerwiegend“, heißt es aus der Staatsanwaltschaft, die sich jetzt mit dem Bericht befassen muss.

Und dennoch – nach einer schnellen und heftigen Attacke auf Lindenstrauss, von dem sich Olmert verfolgt sieht - ging der Premierminister zur Tagesordnung über, erklärte, es gebe Wichtigeres, er habe immerhin ein Land zu führen, und lässt über sein Umfeld schon mal durchsickern, dass, wenn der Winograd-Bericht endlich raus sei, die Stunde für den Beginn der „Zweiten Olmert-Regierung“ geschlagen habe. Die Öffentlichkeit ist entsetzt.

Wenn sie es denn überhaupt noch wahrnimmt: Denn Korruption, Fehlverhalten, Versagen sind in ihrer Wahrnehmung längst keine Einzelfälle mehr, sondern eher die Norm, und dazu hat sie auch allen Grund – gegen den Premierminister, den Präsidenten, acht der xx Minister und 19 der 120 Parlamentsabgeordneten laufen Ermittlungen, deren Bandbreite sich von Korruption und Geldwäsche über Betrug bis hinzu zu sexueller Belästigung und Vergewaltigung erstreckt.

Die Lage ist also aussichtslos. Oder? „Nein, ganz und gar nicht“, sagt Joel Sofer von der „Bewegung für Regierungsqualität in Israel“:

Sie wäre es, wenn sich niemand damit befassen würde. Aber das wird doch getan, und deshalb geben die derzeitigen Entwicklungen Anlass zu großer Hoffnung. Man kann mit gutem Recht sagen, dass der Staat Israel im Moment einen Reinigungsprozess durchmacht, an dessen Ende hoffentlich ein transparenteres System entstanden sein wird, in dem das Gesetz die Entscheidungen leitet, und nicht die Frage, wen man kennt.

Das war in Israel sehr lange der Fall, so lange, dass es dafür in der hebräischen Sprache sogar ein eigenes Wort gibt: „Protekzia“, Beschützung. Seine Kontakte, meist aus der Militär-, aber auch aus der Schul- oder der Unizeit zu nutzen, um eine Entscheidung im eigenen Sinne zu beeinflussen, darin sahen viele nichts Verwerfliches. Warum auch? Es machten ja alle so. Die Strafverfolgungsbehörden schritten meist auch dann nicht ein, wenn die Grenzen zur Illegalität eindeutig überschritten worden waren, denn jene, gegen die sie hätten ermitteln sollen, waren oft dieselben, die die Führungsposten der Strafverfolgungsbehörden besetzten. Und die Medien schwiegen ebenfalls, denn bis in die 90er Jahre gab es in Israel keine Medienlandschaft, die die diese Bezeichnung verdiente: Der Rundfunk wurde von den Programmen der staatlichen Israel Broadcasting Authority und dem Militärrundfunk dominiert; Jedioth Ahronoth, die größte der drei landesweiten hebräischen Zeitungen (eine vierte, die Jerusalem Post, erscheint auf Englisch) befand sich zudem im Besitz einer Familie, die dem rechtskonservativen Likud-Block nahesteht, der seit Ende der 70er Jahre Politik und Verwaltung dominierte.

Korruption gab es immer schon, und das nicht nur hier. Deutschland, zum Beispiel, hatte die Schwarzgeld-Affäre, die Bauskandale der frühen 90er. Wann immer man einen Menschen Macht gibt, besteht die Möglichkeit, dass dieser seine Macht für die falschen Zwecke benutzt. Die Frage ist, wie man damit umgeht: Man kann dazu schweigen, und glauben, dass das alles so sein muss, aber dann passieren Dinge wie die Katzaw-Affäre. Oder man kann mit aller Macht des Gesetzes dagegen angehen, aber dann muss man in Kauf nehmen, dass die Öffentlichkeit zu der Ansicht gelangt, dass die Politik durch und durch korrupt ist. In Israel wurde zu lange gewartet, bis man begann, dagegen anzugehen, und dadurch erklärt sich diese unglaubliche Masse der Skandale, die wir zur Zeit erleben.

Joel Sofer

Was hat sich also geändert?

Vor allem hat sich die gesellschaftliche Haltung zu solchen Themen in den vergangenen Jahren verändert. Im Kern sind dafür zwei Entwicklungen verantwortlich, die eher zufällig zusammen fallen – zum einen sind Staatsanwaltschaft und Polizei durch die Veränderung der Besetzungspraxis für die Führungsposten unabhängiger geworden; zum anderen gibt es heute eine Vielzahl von elektronischen Medien, die für jede skandalträchtige Nachricht dankbar sind. Dass hat einen ziemlichen Druck erzeugt.

Joel Sofer
Kleine Geschäfte unter Freunden - Ehud Olmert, Premierminister und ehemaliger Bürgermeister von Jerusalem, beim Einkaufen. Bild: NewsKibbutz

In der Tat haben die Medien im Laufe der vergangenen Jahre sehr viel zur Aufklärung von Skandalen beigetragen: Als 2004 gegen den damaligen Premierminister Ariel Scharon und seine Söhne ermittelt (Bürger Scharon) wurde, förderten die Journalisten der kleinen, liberalen Zeitung HaAretz immer neue Details zu Tage; als im vergangenen Jahr die Katzaw-Affäre drohte, zu keiner zu werden, riefen Frauen die Redaktion von Kanal Zwei, ein semi-privater Fernsehsender, an, um von ihren Vergewaltigungsvorwürfen zu berichten – die Polizei hatte ihnen Jahre zuvor keinen Glauben geschenkt.

Zudem hat die neue Schnelligkeit der elektronischen Medien, vor allem jener, die im Internet erscheinen, die staatlichen Zensurmittel nahezu wirkungslos gemacht: Zwar haben Polizei und Geheimdienste nach wie vor die Möglichkeit, bei Gericht die Verhängung eines sogenannten „Knebel-Befehls“ zu beantragen, durch den die Veröffentlichung von Details einer Ermittlung verboten wird. Aber wenn sie dies tun, können sie sich sicher sein, dass nur wenige Stunden später die Gegenklagen der Medien vorliegen – und Richter sind heutzutage immer öfter dazu bereit, den Argumenten der Journalisten und ihrer Anwälte zu folgen: „Knebelbefehle“ seien nicht mehr zeitgemäß, sagen sie, und fordern immer häufiger von den Ermittlern Beweise dafür, dass wirklich eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben von Menschen oder die Sicherheit des Staates besteht, wenn Einzelheiten veröffentlicht werden.

Der Verweis auf eine mögliche undichte Stelle in den Behörden reicht längst nicht mehr – nicht einmal, wenn, wie im Moment gegen den mittlerweile zurückgetretenen arabischen Parlamentsabgeordneten Asmi Bischara, wegen Hochverrats ermittelt wird. „Niemand zwingt Mitarbeiter der Ermittlungsbehörden dazu, mit den Medien zu reden und wenn sie es doch tun, sollte darauf intern eingegangen werden“, sagte ein Richter, als er in der vergangenen Woche den Knebel-Befehl in der Bischara-Sache teilweise aufhob, gegen den mehrere Medien geklagt hatten: „Die Pressefreiheit und das Recht der Öffentlichkeit auf Information sind in jeder demokratischen Gesellschaft ein schützenswertes Gut, dass nur in extremen Fällen eingeschränkt werden darf. Dies ist kein extremer Fall.“

Der Grund für die mediale Auflehnung gegen die Staatsorgane ist recht banal:

Als ich angefangen habe, als Journalist zu arbeiten, habe ich beigebracht bekommen, dass es meine Aufgabe ist, die Politik der Regierung zu erklären und in Zeiten der Krise die Öffentlichkeit für sie zu mobilisieren. Heute können wir uns das gar nicht mehr leisten, weil der Konkurrenzdruck einfach zu groß ist – durch den Ausbau des Kabelfernsehens ist eine Vielzahl von neuen Sendern entstanden, gegen die wir uns durchsetzen müssen. Und natürlich ist auch die Toleranz gegenüber dunklen Geschäften sehr viel geringer geworden – wir haben ja schon seit Ende der 90er Jahre gelernt, dass nicht alles, was Politiker tun, dem Wohle des Staates dient.

Fernsehjournalist Ariel Edelstein

Ende der 90er Jahre. 1996, um genau zu sein. Benjamin Netanjahu ist Premierminister und die so genannte Hebron-Vereinbarung steht zur Abstimmung an. Um das Dokument, mit dem große Teil der palästinensischen Stadt Hebron unter die Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde gestellt werden sollen, durchs Parlament zu bekommen, braucht der Regierungschef die Stimmen der religiösen Schas-Partei. Doch die will eine Gegenleistung: Netanjahu soll, irgendwie, eine Ermittlung gegen den Parteichef Arijeh Deri abwürgen. Also sorgt der Regierungschef dafür, dass Roni Bar-On, ein treuer Likud-Mann und Freund Deris, zum Generalstaatsanwalt ernannt wird – und löst damit einen Sturm der Entrüstung aus, den Israel bis dahin bei solchen Themen nicht erlebt hatte. Bar-On, der zwar Anwalt ist, aber kaum als solcher gearbeitet hat, sei für diese Funktion nicht qualifiziert, kritisierten Juristen-Verbände und Parlamentarier. Zwei Tage später tritt Bar-On vom Amt zurück; in der Knesset beginnt man, an einer Änderung der Besetzungspraxis für solche Posten zu arbeiten: Kommissionen werden geschaffen, die aus etablierten Rechtsexperten bestehen und sicherstellen sollen, dass das Rechtssystem künftig weitgehend frei von politischen Einflüssen ist.

Seitdem funktioniert das System recht gut. Die Generalstaatsanwaltschaft nimmt ihre Rolle sehr ernst, und der Oberste Gerichtshof nimmt Regierungs- und Parlamentsentscheidungen sehr viel kritischer unter die Lupe. Ob es richtig ist, dass ein Höchstgericht die Funktion einer zweiten Parlamentskammer einnimmt, sei dahingestellt.

Joel Sofer

Diejenigen, die das Ziel von Medien und Ermittlern sind, fühlen sich jedoch als Opfer einer Hetzjagd: Unvergessen ist Präsident Mosche Katzaws Pöbelangriff auf Medien und Staatsanwälte, nachdem Generalstaatsanwalt Menachem Masus angekündigt hatte, er werde nach einer weiteren Anhörung (die Anfang Mai stattfindet) Anklage erheben. Und Olmert warf Staatskontrolleur Lindenstrauss in der vergangenen Woche vor, er führe eine Vendetta gegen die Politik und habe außerdem nicht die Befugnis, in Kriminalfällen zu ermitteln.

Als der ehemalige Justizminister Chaim Ramon vor einigen Monaten wegen sexueller Belästigung verurteilt wurde, weil er eine Mitarbeiterin zu einem Kuss gezwungen hat, galt die Kritik der Politiker nicht ihm, sondern den Medien und dem Gericht, das ihn verurteilte. „Da hat sich im Laufe der Jahre die Ansicht gebildet, dass für Politiker andere Maßstäbe gelten“, sagt Sofer: „Deshalb glaube ich nicht, dass die Affären ein baldiges Ende nehmen werden – so lange sich die Mentalität der Regierenden nicht geändert hat, werden die Medien weiterhin über viele Skandale zu berichten haben.“