Brüssel und die Rüstungsgüter: So bereitet die EU die Kriegswirtschaft vor

Längliche Patronen einen Maschinengewehrs liegen auf einer EU-Fahne.

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Die Rüstungsindustrie soll ausgebaut werden. Dazu erhält sie viele Privilegien. Warum das für die zivile Wirtschaft eine Gefahr ist. (Teil 2 und Schluss)

Teil 1 dieses Textes befasste sich mit der neuen europäischen Strategie für die Verteidigungsindustrie, die am 5. März 2024 vorgestellt wurde. Damit mache die EU deutliche Schritte in Richtung einer Kriegswirtschaft.

Die European Defence Industrial Strategy (EDIS) und das ergänzende European Defence Industry Programme (EDIP) zielen darauf ab, die Massenproduktion von Rüstungsgütern in Europa zu fördern und einen umfassenden europäischen Rüstungskomplex zu etablieren, um international wettbewerbsfähiger zu sein.

Die Strategie enthält Pläne zur Konzentration und Monopolbildung in der Rüstungsindustrie und zur Priorisierung militärischer Produktion in Krisenzeiten. Diese Pläne enthalten auch neue rechtliche Rahmenbedingungen, die die Anbahnung großer, länderübergreifender Beschaffungsprojekte vereinfachen sollen, um die europäische Verteidigungsbereitschaft zu stärken und die Abhängigkeit von Nicht-EU-Ländern zu verringern.

Was die Herstellung von Rüstungsgütern anbelangt, sollen nach dem Willen Brüssels unter anderem finanzielle Anreize zur Ausweitung und zum Vorhalten großer Produktionskapazitäten gegeben werden. Im Gegensatz zu ASAP soll sich dies nun nicht mehr allein auf die Munitionsherstellung beschränken:

Das Programm sollte (...) Maßnahmen finanziell unterstützen, die zur rechtzeitigen Verfügbarkeit und Lieferung von Verteidigungsgütern beitragen, (…) einschließlich der Reservierung und Bevorratung von Verteidigungsgütern, dem Zugang zu Finanzmitteln für Unternehmen, die an der Herstellung einschlägiger Verteidigungsgüter beteiligt sind, der Reservierung von Fertigungskapazitäten (‚ewig warme Anlagen‘), industrieller Verfahren zur Wiederaufbereitung abgelaufener Produkte, der Erweiterung, Optimierung, Modernisierung, Verbesserung oder Umwidmung bestehender oder der Schaffung neuer Produktionskapazitäten in diesem Bereich sowie der Ausbildung von Personal.

EDIP, Artikel 19

Freiheit des Marktes kann eingeschränkt werden

Allerdings gehen die Pläne der Kommission noch weit hierüber hinaus. Ganz entgegengesetzt zu ihren Gepflogenheiten scheint sie bereit zu sein, im Rüstungssektor die Freiheit des Marktes und die der auf ihm operierenden Unternehmen empfindlich einzuschränken:

Die Vermeidung von Engpässen bei einschlägigen Verteidigungsgütern ist von wesentlicher Bedeutung für die Wahrung des Ziels des allgemeinen Sicherheitsinteresses der Union und ihrer Mitgliedstaaten und rechtfertigt erforderlichenfalls verhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte der Unternehmen, die krisenrelevante Güter liefern, wie die unternehmerische Freiheit gemäß Artikel 16 der Charta und das Eigentumsrecht gemäß Artikel 17 der Charta, unter Beachtung von Artikel 52 der Charta.

EDIP: Artikel 61

Die Kommission will künftig alle Daten erheben, um mögliche Engpässe frühzeitig erkennen und möglichst beheben zu können. Sollte dies misslingen, will die Kommission – bei Ausrufung eine Versorgungskrise – den Unternehmen faktisch vorschreiben können, was sie wie für wen zu produzieren haben:

Als letztes Mittel, um sicherzustellen, dass kritische Sektoren in Krisenzeiten weiterarbeiten können, und nur, wenn dies notwendig und verhältnismäßig ist, könnte die Kommission von den betreffenden Unternehmen verlangen, Bestellungen krisenrelevanter Produkte anzunehmen und zu priorisieren. (…)

Vorfahrt für die Rüstungsproduktion

Die Verpflichtung zur Prioritätseinstufung sollte Vorrang vor allen privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Leistungsverpflichtungen haben, mit Ausnahme derjenigen, die unmittelbar mit militärischen Aufträgen zusammenhängen.

EDIP: Artikel 62

Eine Art Vorfahrt für die Rüstungsproduktion ist symptomatisch für den Schwenk Richtung einer Kriegswirtschaft, in der Staat, Krieg und Wirtschaft immer enger miteinander verschmelzen:

Ergreift der Rat diese Maßnahme (...), so kann ein Mitgliedstaat, in dem (...) ein ernsthaftes Risiko eines Mangels an krisenrelevanten Waren besteht oder bestehen könnte (...), die Kommission ersuchen, ein Unternehmen zu verpflichten, bestimmte Bestellungen krisenrelevanter Waren anzunehmen oder vorrangig zu bearbeiten ("vorrangig bewertete Anträge"). Diese Anträge dürfen nur Verteidigungsgüter betreffen.

EDIP: Artikel 50

Zwang zur Umstellung auf Rüstungsproduktion

Was diese Passagen in letzter Konsequenz bedeuten könnten, bringt Spiegel Online folgendermaßen auf den Punkt:

Mit anderen Worten: Notfalls sollen EU-Firmen gezwungen werden können, ihre Produktion umzustellen. Selbst die Beschlagnahme von Rüstungsgütern erscheint unter diesen Umständen nicht ausgeschlossen.

Spiegel Online

"Ehrgeizige Finanzausstattung" für die Verteidigung

Zweifellos sind die neuen Kommissionspläne überaus ambitioniert – besonders die zunächst einmal überschaubaren Finanzmittel dürften dem ganzen einstweilig allerdings noch gewisse Grenzen setzen. Doch auch dies soll sich bald ändern:

In Anbetracht des Umfangs der Anstrengungen, die erforderlich sind, um die industrielle Verteidigungsbereitschaft in der gesamten Union zu gewährleisten, muss dieser Haushalt als eine - wenn auch begrenzte - Brücke zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) betrachtet werden.

Da die sicherheitspolitischen Herausforderungen für Europa wahrscheinlich bestehen bleiben werden, ist es wichtig, dass der nächste MFR eine ehrgeizige Finanzausstattung für die Verteidigung mit entsprechenden Budgets für die Nachfolger von EEF und EDIP für den Zeitraum ab 2028 enthält.

EDIS, S. 23f.

Idee eines EU-Rüstungsbudgets

Schon länger steht die Idee eines umfangreichen EU-Rüstungsbudgets zur Debatte.

Prominent wurde sie bereits im Januar 2024 von Industriekommissar Thierry Breton im Zusammenhang mit der geplanten Vorstellung von EDIS und EDIP aufgegriffen:

Um sicherzustellen, dass die gesamte Industrie mehr und mehr zusammenarbeitet, brauchen wir Anreize (…). Ich glaube, dass wir einen riesigen Verteidigungsfonds brauchen, um zu helfen, ja sogar zu beschleunigen. Wahrscheinlich in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro.

euractiv.de

Gerade weil die Ambitionen der Kommission recht weitgehend sind, ist es noch fraglich, ob es überhaupt zur Verabschiedung der EDIP-Verordnung kommt, was vor allem von der Zustimmung der im Rat versammelten Staats- und Regierungschefs abhängt.

Vorhaben der Kommission umstritten

Dass die Vorhaben der Kommission nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen, zeigt sich allein schon daran, dass deren ursprünglich für November 2023 geplante Veröffentlichung gleich mehrfach, mutmaßlich aufgrund von Einwänden der Mitgliedsstaaten, verschoben werden musste.

Die kleinen und mittleren Mitgliedsstaaten befürchten die Dominanz deutscher und französischer Rüstungsinteressen, während die wiederum einen zu starken Einfluss der Kommission wittern.

Schließlich fällt die Außen- und Sicherheitspolitik in den Verantwortungsbereich der Staaten, Versuchen der Kommission, Kompetenzen auf diesem Feld zu ergattern, wird traditionell äußerst misstrauisch begegnet:

Tatsächlich gibt die Kommission in ihrer Rüstungsindustrie-Strategie sich selbst eine zentrale Rolle. So will sie eine Art Oberaufsicht über die Rüstungsindustrien in den Mitgliedsländern führen, indem sie ein »Mapping« der Rüstungslieferketten in den Staaten durchführt. (…)

Die Kommission will Machtposition

Zwar will die Kommission mit den EU-Staaten in einem Ausschuss zusammenkommen und dessen "Rat und Meinung" einholen. Allerdings beansprucht sie dort selbst den Vorsitz – gemeinsam mit dem EU-Staat, der gerade die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft innehat. In Berlin etwa lehnt man die "Mapping"-Idee der Kommission strikt ab. (…)

Die Krise in der Versorgung mit kritischen Rüstungsgütern soll, man ahnt es, die Kommission ausrufen dürfen – auch wenn die Mitgliedsländer dann das letzte Wort haben. (…)

Ursula von der Leyens Pläne "übergriffig"

"Übergriffig" sei es, was die Behörde von Ursula von der Leyen plane, sagen mehrere Diplomaten. Verteidigung sei Sache der EU-Staaten, die Kommission habe ihnen nicht hineinzureden.

Spiegel Online

So stehen hinter der abschließenden Verabschiedung der ehrgeizigen Kommissionsvorschläge noch einige Fragezeichen, die generelle Richtung, in die sich die Europäische Union bewegt, ist aber eindeutig: In eine Kriegswirtschaft! Das bedeutet auch, dass wir auf eine kriegerische Zeit vorbereitet werden, die weder Europa noch die Welt sicherer machen wird.

Europa als Kontinent von Aufrüstung und Krieg?

Wenn wir nicht wollen, dass Europa ein Kontinent der permanenten Aufrüstung und Kriegsgefahr wird, sollten wir die Lehre aus zwei Weltkriegen verteidigen. Und diese lautet, dass wir keine Militärunion brauchen, sondern dass wir den Einsatz für Abrüstungsverträge und Friedensverhandlungen erhöhen müssen.