CDU-Debatten über Wehrpflicht, Leitkultur und 40-Stunden-Woche im Sommerloch

Uhr mit Zeichenkombi Arbeit-Frau als Zeiger

Die CDU fordert längere Arbeitszeiten, mehr Wehrpflicht und Leitkultur. Doch die Realität sieht anders aus: Viel Überstunden, Teilzeitflucht, 4-Tage-Woche.

Wehrpflicht, Leitkultur und 40-Stundenwoche – aktuelle Forderungen der CDU wirken wie eine Reise in das Jahr 2000. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir mit Wachstum und Vollbeschäftigung – das bedeutet für mich die 40-Stunden-Woche für alle – aus der Krise kommen", fordert Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Ähnliche Aussagen kommen von CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und dessen Generalsekretär Carsten Linnemann. Verzweifelt scheint die Partei auf der Suche nach Kernkompetenzen zu sein.

Der Vorwurf fehlender Arbeitsmoral trifft auf Widerspruch. Die Beschäftigten haben hierzulande im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Überstunden geleistet. Davon waren mit 775 Millionen Stunden mehr als die Hälfte unbezahlt, wie das Bundesarbeitsministerium auf eine Frage der Linken-Abgeordneten Susanne Ferschl antwortete.

2023 wurde so viel gearbeitet wie seit Langem nicht mehr. Wie eine im April veröffentlichte Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt, arbeiteten die abhängig Beschäftigten im vergangenen Jahr insgesamt rund 55 Milliarden Stunden. Das sei der höchste Wert seit der Wiedervereinigung.

CDU-Forderungen bedeutet 80 Stundenwoche für viele Frauen

Die Aufforderung, mehr zu arbeiten, richtet sich offensichtlich vor allem an die Mütter. Denn 92 Prozent aller Väter sind bereits in Vollzeit erwerbstätig.

Uta Meier-Gräwe

"Doch was Dulger, Kretschmer, Merz und Linnemann bei ihren markigen Aussagen gern verkennen: Frauen drehen nicht Däumchen", so die Soziologin. Sie übernehmen Sorgearbeit: kümmern sich um Kindererziehung und Haushalt, pflegen Angehörige.

Nach einer Prognos-Studie haben Frauen mit durchschnittlich mehr als 39 Stunden Sorgearbeit bereits einen Vollzeitjob – "nur eben einen unbezahlten", kritisiert Meier-Gräwe:

Kämen 40 Stunden Erwerbsarbeit hinzu, würde das also auf eine 80-Stunden-Woche hinauslaufen. Diese Rechnung geht einfach nicht auf.

Flucht in die Teilzeit bei Kita-Mitarbeiterinnen

Auch die Arbeitsbedingungen setzen Frauen unter Druck. Dies zeigt sich in Kitas. Die Versuche, Fachkräftemangel durch Arbeitszeiterhöhungen bei Teilzeitbeschäftigten gegenzusteuern, sind zum Scheitern verurteilt. Dies legt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie nahe.

Mehr als 1.200 Kita-Beschäftigte aus Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen wurden online befragt. Teilzeit ist unter ihnen weitverbreitet. Bei 48 Prozent der Befragten entspricht die vertragliche Arbeitszeit exakt den Wünschen, 45 Prozent wünschen sich eine Reduzierung, nur sieben Prozent eine Aufstockung.

Die Studienergebnisse zeigen, wie wenig Luft zum Atmen im System ist. Hier geht es ganz eindeutig nicht um eine Häufung individueller Arbeitszeitpräferenzen, sondern um eine strukturelle Überbelastung.

Christina Schildmann

Dies mache eine Stundenaufstockung für einen Großteil unvorstellbar, erläutert Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. Die Stiftung spricht von einer "Flucht in die Teilzeit".

Betriebe testen stattdessen Vier-Tage-Woche

Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung sind für viele Unternehmen in Europa Ideen aus einer vergangenen Zeit. Ein Pilotprojekt in Großbritannien zur Vier-Tage-Woche zieht eine positive Bilanz.

"Für viele Firmen ist das mittlerweile mehr als ein Versuch, sie bleiben dabei", berichtet Nichtregierungsorganisation "Autonomy" in einer Auswertung. Die Vorteile für Unternehmen und Belegschaft halten an. Die Beschäftigten werden weniger krank und kündigen seltener.

Hierzulande läuft derzeit ein Pilotversuch in 45 Unternehmen. Die Arbeitszeit wird sechs Monate lang auf vier Arbeitstage in der Woche reduzieren, ohne das Gehalt zu kürzen. Die Erfahrungen der Firmen sind positiv.

Ich kann von meinen Kolleginnen und Kollegen sagen, dass sie happy damit sind. Wirtschaftlich hat es bisher auch funktioniert".

Roland Walter, Geschäftsführer des Architekturbüros Planwerkstatt

Auch das Kinderhaus Nürnberg hat die reguläre Arbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden reduziert. "Wir haben geschaut, wie wir an der ein oder anderen Stelle effizienter werden können", erklärt Geschäftsführerin Carola Weise. Das Arbeitszeitmodell entlastet nicht nur die dauerhaft am Limit arbeitenden Erzieherinnen, sondern erleichtert auch die Suche nach Fachkräften:

Der Bewerbungseingang hat sich im ersten Quartal dieses Jahres verdreifacht gegenüber dem ersten Quartal 2023.