Calderón auf dem Weg zum Präsidentenamt in Mexiko

Die Linksopposition verhinderte die Rede des Präsidenten im Parlament, weicht aber zunächst der Konfrontation aus, bevor der Konservative wohl zum definitiven Wahlsieger erklärt wird und sich dann bereits neue Proteste abzeichnen

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Das Tauziehen um die umstrittene Wahl in Mexiko neigt sich dem Ende zu. In der kommenden Woche muss das Wahlgericht das definitive Endergebnis bekannt geben. Eine Vorentscheidung fiel zu Gunsten des Konservativen Felipe Calderón. Obwohl die Richter bei der Nachzählung von 9 % der Wahlurnen fast 240.000 Stimmen annullierten, sehen sie keine „substanzielle Beeinflussung des Resultats“. Der bisherige sehr knappe Vorsprung von 244.000 Stimmen (0,58 %) für Calderón schmolz erneut um mehr als 4000 Stimmen für den Linkskandidaten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) zusammen. Die Opposition fordert weiter die komplette Neuauszählung der Wahl, vermied aber gestern die Konfrontation und sagte den Marsch zum Parlament ab. Im Parlament vereitelte sie es, dass der Noch-Präsident Vicente Fox seinen jährlichen Rechenschaftsbericht vortragen konnte. In Zweifel steht auch, ob der Parteifreund von Calderón jemals Präsident Mexikos werden durfte.

Es war eine der vielen Meldungen in der letzten Zeit, die auf Sonderbarkeiten im politischen System von Mexiko hinwiesen. Doch hatte die nichts mit dem derzeitigen Ringen um den Wahlausgang zu tun. Vielmehr wird geprüft, ob Vicente Fox der Sohn von Ausländern ist und somit, nach Artikel 82 der Verfassung, nie hätte Präsident werden dürfen. Nach vorliegenden Dokumenten soll der Vater von Fox einst vor den mexikanischen Behörden angegeben haben, er sei Staatsbürger der USA. Da die Mutter des Präsidenten Spanierin war, hätte er die Kriterien nicht erfüllt. Präsident dürfen in Mexiko nur die werden, „die Kinder eines mexikanischen Vaters oder mexikanischer Mutter sind“. Vor einer Verfassungsänderung mussten sogar noch beide Eltern Mexikaner sein.

Doch deshalb haben mehr als 100 Anhänger der Linkskoalition "Für das Wohl aller" den Präsidenten im Kongress nicht daran gehindert, seinen jährlichen Rechenschaftsbericht vorzutragen. Abgeordnete und Senatoren der Linkskoalition, hinter der federführend die "Partei der Demokratischen Revolution" (PRD) steht, besetzten gestern das Podium. Sie werfen Fox vor, an einem Wahlbetrug zu Gunsten seines Parteifreunds Calderón mitgewirkt zu haben (Anzeichen für Wahlbetrug mehren sich). Zuletzt hatte sich Fox über die Richter des Wahlgerichts und die Wahlkommission hinweggesetzt und den Kandidaten seiner "Partei der Nationalen Aktion" (PAN) zum Wahlsieger erklärt. Ein offizielles Ergebnis der Wahlen gibt es auch genau zwei Monate danach noch nicht.

"Angesichts der Haltung einiger Abgeordneter verabschiede ich mich aus der Kammer“, erklärte Fox gestern und verließ das Gebäude sofort wieder. Zuvor hatte seine Regierung angekündigt, er werde in jedem Fall seine Rede halten. Was gleichzeitig eine Art Verabschiedung von Fox werden sollte, fiel ins Wasser. Erstmals wurde der Rechenschaftsbericht eines Präsidenten nicht mündlich vorgetragen, sondern schriftlich dem Parlament übergeben

Die Abgeordneten protestierten auch gegen die Anwesenheit von Polizei und Militär, die das Parlament abgeriegelt hatten. Der Senator Carlos Navarrete erklärte, die Anwesenheit des Militärs bedeute, dass die verfassungsmäßigen Rechte außer Kraft gesetzt worden sein: "Ich und meine Kollegen, werden dieses Podium so lange nicht verlassen, bis die Bedingungen zum Funktionieren des Kongresses wieder hergestellt sind“, sagte Navarrete. Die Sicherheitskräfte hatten zuvor versucht, den Mitgliedern der Linkskoalition den Zugang zum Parlament zu verwehren. Dabei kam es sogar zu Rangeleien. Das Kongressgebäude war von mehr als 6.000 Polizisten und Soldaten abgeriegelt worden, Straßen und U-Bahn-Höfe waren gesperrt und Wasserwerfer in Stellung gebracht worden.

Die Linkskoalition hatte geplant, von ihrem Besetzercamp auf dem Zócalo, dem zentralen Platz im Herzen der Hauptstadt, mit zehntausenden Menschen zum Parlament zu ziehen. Angesichts der Tatsache, dass noch einmal etwa 8.000 Soldaten und Polizisten auf der Marschroute stationiert worden waren, warnte Obrador aber davor, in die "Falle der Provokation“ zu tappen. Die Menge entschied sich daher mit einer großen Mehrheit bei einer Abstimmung dafür, den geplanten Marsch abzusagen. Stattdessen wurde auf dem Zócalo gefeiert, dass Fox im Parlament nicht zu Wort kam.

Auf dem Zocalo finden weiter Protestaktionen statt. Bild: AMLO

Trotz allem wird die Stimmung im Land immer gespannter, da sich abzeichnet, dass das Wahlgericht in der nächsten Woche, trotz aller Anomalien, Calderón zum Wahlsieger küren wird. Diese Woche hatte die sieben Richter insgesamt 237.736 Stimmen für ungültig erklärt, die sie bei der Kontrollzählung von 9 % der Wahlurnen ermittelt hatten. 81.080 faule Stimmen entfielen auf Calderón, 76.897 auf López Obrador, der Rest verteilte sich auf die übrigen Kandidaten. Obwohl damit der ohnehin sehr dünne Vorsprung Calderóns von 244.000 Stimmen nun erneut um mehr als 4000 Stimmen schrumpfe, sehen die Richter keinen Grund zur Besorgnis. "Nach den von uns als notwendig erachteten Annullierungen haben alle Parteien eine beträchtliche Anzahl von Stimmen verloren, aber das hat das Resultat nicht beeinflusst", sagte der Wahlrichter José Alejandro Luna Ramos.

Rechnet man die Prüfung aber auf alle Wahlurnen hoch, bliebe für Calderón nur noch ein hauchdünner Vorsprung vor Obrador übrig. Tatsächlich könnte nur die komplette Neuauszählung Aufschluss über den wirklichen Wahlausgang angesichts des knappen Resultats geben. Ein endgültiges Ergebnis hat das Gericht noch nicht bekannt gegeben. Es ermittelt derzeit das „definitive Endresultat“ und dann die Möglichkeit, den gesamten Wahlprozesses zu annullieren. Es muss dabei auch prüfen, ob Präsident Fox sich im Wahlkampf unrechtmäßig für Calderón engagiert hat und die von dessen PAN kontrollierte Nationale Wahlkommission (IFE) einseitig gegen die Linkskoalition agierte. Dass das Gericht die Wahlen annulliert, wird nach seiner Begründung des Gerichts in dieser Woche als unwahrscheinlich angesehen. Man geht davon aus, dass Calderón nächste Woche zum Sieger gekürt wird.

Dann wird es brenzlig. Es ist unwahrscheinlich, dass Millionen Mexikaner, die sich um den Sieg ihres Kandidaten betrogen fühlen, dieses Ergebnis nach den vielen Anomalien und dem knappen Ausgang hinnehmen werden. Die Linkskoalition mobilisiert schon zu Demonstrationen für den Tag, an dem Calderón zum Präsidenten erklärt wird. Zur Machtprobe könnte es dann am 16. September kommen. Denn Obrador hat ankündigt, den „Kampf um die mexikanische Demokratie“ weiterführen zu wollen. Am 16. September findet als Abschluss der Unabhängigkeitsfeiern traditionell eine große Militärparade auf dem Zócalo statt. Behält die Linke ihr Widerstandscamp bis dahin aufrecht, könnte es hier zum offenen Schlagabtausch kommen. Analysten bezeichnen den Tag deshalb als „Wendepunkt“. Statt der Militärparade plant die Linke, auf dem Zócalo am 16. eine „Nationale Konvention“ abzuhalten. Mehr als eine Million Menschen sollen dafür erneut zusammen strömen. Obrador verlas vor seinen Anhängern inzwischen auf dem besetzten Zócalo schon seinen Resolutionsentwurf für die Konvention. Demnach sollen die Teilnehmer zunächst das Wahlergebnis ablehnen. Danach sollen sie darüber entscheiden, ob sie ihrerseits eine Parallelregierung mit Obrador als Präsident ausrufen oder einen Koordinationsrat, mit Obrador als Chef, einsetzen. Der Rat würde die weiteren Proteste und den zivilen Ungehorsam gegen den „Usurpator“ und „Marionette der Mächtigen“, wie Calderón betitelt wird, koordinieren.