Camorra in Brüssel: Ombudsfrau O'Reilly rechnet mit EU-Elfenbeinturm ab

Seite 2: Reale Mafiageschichten

Doch lassen sich diese schwerwiegenden Vorwürfe mit realen Episoden belegen?

Klar ist, dass trotz ausgewählter Beispiele eine abschließende Bewertung ohne Einsicht in die umfangreichen Dokumente nicht möglich ist. Aber die Tendenz ist eindeutig: Zurück ins Jahr 2013, O'Reilly war gerade die erste Frau im Amt des Bürgerbeauftragten geworden, als Michel Petite die Drehtür betrat.

Vom EU-Generaldirektor des juristischen Dienstes zu einer Lobby-Anwaltskanzlei mit dem Tabakmonopolisten Philipp Morris als Kunden.

Petite lieferte, er bekam privilegierte Termine in seiner alten Abteilung. Zwei Seiten einer Medaille: Während der Tabakkonzern Philipp Morris 2013 gegen das Land Uruguay klagte (Schadenssumme 25 Millionen) und die Regierung des Landes Togo einzuschüchtern versuchte, wollte die EU-Kommission Petite zum Vorsitzenden der EU-Ethikkommission machen. O'Reilly verhinderte diese undemokratische Ohrfeige.

20 Monate nach seinem Rücktritt als EU-Kommissionspräsident wechselte Michel Barroso zum Finanzinstitut Goldman Sachs. Nach 18 Monaten konnten Interessenkonflikte nach den damals geltenden EU-Regeln ausgeschlossen werden. José Manuel Barroso und Goldman Sachs: eine Farce, die O'Reilly anprangerte – die Drehtürpolitik wurde ihr zum Dorn im Auge.

Eine Ampulle Wahrheit oder Milliarden per SMS

Bevor O'Reilly am 25. Februar zugunsten der Portugiesin Teresa Anjinho als EU-Ombudsfrau abdankt, fährt sie von der Leyen an den Karren. Die Pandemiegewinner der Impfstoffherstellerbranche und die deutsche Politikerin dürften aufatmen, dass O'Reilly ihren Posten räumt.

Vorausgegangen war dem Aufatmen der größte Skandal, den die tapfere Irin beackerte. Im Jahr 2021 soll Ursula von der Leyen, inmitten der globalen Pandemie, vom US-Vakzinhersteller Pfizer 1,8 Milliarden Dosen geordert haben. Im Nachgang war die vormalige Verteidigungsministerin zu keiner Aufarbeitung bereit, systematisch ließ sie die Suche nach den verschollenen SMS in ihrer Administration ins Leere laufen.

Queen Ursula, wie sie im politischen Brüssel abschätzig tituliert wird, residiert im 13. Stock des EU-Gebäudes. Im Pfizergate mutierte die EU zum größten zahlenden Einzelkunden von Biontech/Pfizer. CEO von Pfizer, Albert Bourla, und die EU-Dame hätten regelmäßig politische Textnachrichten ausgetauscht.

Das Schweigen von Ursula von der Leyen ändert nichts an den Tatsachen: Wie der belgische PdT-Abgeordnete Marc Botenga damals kritisierte, erhielt Pfizer ein Liefermonopol und konnte steigende Fantasiepreise von bis zu 19,5 Euro pro Dosis verlangen. Ein Milliardengeschäft mit Steuergeldern per SMS. Zu viel, zu teuer und zu intransparent bestellt.

Brüsseler Elfenbeinturm

In Brüssel hat sich, wie einzelne Fallbeispiele zeigen, eine Unkultur der Bereicherung und der Selbstverwaltung eingebürgert.

Ob es sich dabei um einen Schönheits- oder einen Geburtsfehler handelt, sei dahingestellt. Dringend notwendig sind Reformen, die Beschränkung der Macht des Lobbyismus, der Macht des großen Geldes, um ein Mindestmaß an bürgerlichem Demokratieverständnis zu erhalten.

Dem BSW-Außenpolitiker Fabio de Masi ist zuzustimmen, wenn er via X einordnet, dass sich der Verdacht aufdrängt, dass das politische Brüssel weit mehr an McKinsey erinnert als an Menschen mit Haltung und Rückgrat. In gewisser Weise die Perversion des historischen Ideals der Volksvertretung.