Chaos bei Zeit Online: Mal gilt der Ethik-Kodex, mal gilt er nicht

Seite 2: Ethik-Kodex mal zwei

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Doch es kommt noch besser: In einer Email teilte Horeld Telepolis mit, dass es "seit sehr kurzer Zeit" nun eine neue Regelung bei Zeit Online gibt. Demnach sollen mittlerweile zumindest "Korrekturen und Offenlegungen (der Printausgabe) sofort auch im Online-Archiv beim entsprechenden Beitrag publiziert werden. Der betreffende Text lag allerdings zeitlich vor dieser neuen Regelung." Horeld informierte auch darüber, dass die gedruckte Zeit einen eigenen Ethik-Kodex habe.

Doch was genau besagt der "Code of Ethics" von Zeit Online? Unter anderem heißt es darin: "Wir legen offen, wenn ein Autor zu den in seinen Artikeln beschriebenen Personen oder Institutionen persönliche Beziehungen unterhält. Dies betrifft Mitgliedschaften bei Parteien und Verbänden, gegebenenfalls auch bei Kirchen, ebenso wie in Jurys oder ähnlichen Gremien."

"Wenn das der Maßstab ist", sagt Uwe Krüger vom Leipziger Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig, der im vergangenen Jahr eine Studie über die Berichterstattung deutscher Elite-Journalisten vorlegte (Journalismusforschung:"Ganz auf Linie mit den Eliten"), "dann muss aus meiner Sicht die Teilnahme an diesem Projekt, in dem ein Konsens über die künftige Ausrichtung der deutschen Außenpolitik ausgehandelt wurde, ebenfalls offengelegt werden."

Das sei notwendig, da der Leser so "die wohlwollende Haltung des Artikels gegenüber den Aktivitäten der Bundesregierung, der Stiftung Wissenschaft und Politik, des German Marshall Fund und gegenüber diesem Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik besser einordnen" könne.

Krüger kritisiert scharf die Verhältnisse bei Zeit und Zeit Online in Fragen der Einhaltung von Ehtik-Kodizes:

Ich sehe hier eine Doppelmoral im Hamburger Verlagshaus: Einerseits wird ein freier Journalist wegen mutmaßlicher Befangenheit innerhalb von 2 Stunden gefeuert, andererseits sind festangestellte und leitende Redakteure der ZEIT in vertrauliche Politikplanungsprozesse eingebunden und schreiben dann über diese Politik, ohne dass das transparent gemacht wird.

Wir sehen hier ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Lesern. Immer wieder werden neue hausinterne Ethik-Kodizes aus dem Hut gezaubert, von denen kein Außenstehender zuvor etwas gewusst hat. Die werden nun immer dann zitiert, wenn es gilt, aktuellen Kritikpunkten etwas entgegenzusetzen. Andere Medienhäuser wie Axel Springer und die WAZ haben ihre hausinternen Ethik-Kodizes publiziert, als sie verabschiedet wurden. Zum Teil natürlich wegen des Werbeeffekts, der damit verbunden ist, aber andererseits haben sie damit eine Kultur der Transparenz gelebt, die der Zeit- und der Zeit-Online-Mannschaft hier völlig abgeht.

Krüger

Auch die "Klarstellung", die in der gedruckten Zeit (Nr. 8/2014) zu dem Artikel von Bittner veröffentlicht wurde, kritisiert Krüger:

Schon der Titel 'Klarstellung' und auch der Text sind verräterisch. Es ist keine Rede von einer Entschuldigung, dass man die Verflechtung des Redakteurs mit dem von ihm beschriebenen Geschehen verschwiegen hatte. Wenn die Zeit-Printredaktion einen eigenen Ethik-Kodex hat, dann möchte ich ihn gern lesen. Ich möchte wissen, ob eine ähnliche Regelung wie bei Zeit Online auch enthalten ist und, falls ja, wissen, warum man sich nicht daran hält. Selbst wenn es diesen Kodex gibt, scheint es in der Redaktion an dem Bewusstsein zu mangeln, dass man als Journalist kritische Distanz zum Geschehen zu bewahren hat.

Krüger

Doch, wie bereits erwähnt: Zeit Online sieht das anders.

"Märchen vom Coup d'État"

Als Kontrast nun ein Beispiel dafür, wie es aussieht, wenn die Chefredaktion ihren Ethik-Kodex konsequent anwendet:

Offenlegung: Der Autor arbeitet für die vom russischen Staat mitfinanzierte Zeitungsbeilage Russland heute. Dies entspricht nicht unseren Grundsätzen. Wir entschuldigen uns dafür.

Diese Zeilen stehen nun auf Geheiß des Chefredakteurs von Zeit Online unter Gathmanns Artikel. Ein kurzer Rückblick auf diesen Fall.

Moritz Gathmann, Jahrgang 1980, fiel in der Vergangenheit kaum durch besonders Putin-freundliche Zeilen auf. Der freie Journalist mit Schwerpunkt Osteuropa, tätig für große Häuser wie Frankfurter Allgemeine und Spiegel, hielt die Leser von Zeit Online im Februar als "unser Mann in der Ukraine" über die turbulenten Ereignisse dort auf dem neuesten Stand, weitgehend sachlich und ohne größere persönliche Wertungen. Zugleich schrieb Gathmann auch für Russland Heute, ein vom Kreml finanziertes Blatt, das über Russland informiert und regelmäßig international renommierten Zeitungen wie der Süddeutschen oder der Washington Post beiliegt - gegen Geld an jene Verlage, ganz so wie eine kommerzielle Zeitungsbeilage. Gathmanns Beiträge für Russland Heute waren dabei jedoch mitnichten Kreml-treue Propaganda. Durchaus kritisch widmete er sich dort auch der russischen Regierung.

Doch David Schraven, Jahrgang 1970, Leiter des Ressorts Recherche der Funke-Mediengruppe, dem drittgrößten Verlagshaus Deutschlands, war der junge Kollege dennoch negativ aufgefallen. Gegenüber dem Medienmagazin Newsroom bekannte er:

Dann habe ich gelesen, wie Moritz Gathmann auf Facebook dieses russische Propagandamärchen von dem Coup d'État auf dem Maidan verbreitet hat. Und dann habe ich gesagt, okay. Der Interessenkonflikt muss öffentlich gemacht werden. Die Transparenz muss sein, damit auch Leser die Berichte von Moritz Gathmann einordnen können, die nicht wissen, dass er für Putins Propagandaapparat arbeitet.

Schraven

Schnellgericht per Twitter

Und so kam es schließlich zur Twitter-Kommunikation zwischen Schraven und Wegner vom 8. März. Schraven schrieb dort um kurz nach 8 Uhr morgens an Jochen Wegner, den Chefredakteur von Zeit Online: "diverse Sichtweisen in der Zeit sind gut. Aber es wär besser zu sagen, dass Moritz Gathmann für Russlands Propagandadienst schafft." Wegner, zu der Zeit gerade dienstlich in den USA, antwortete eine Stunde später: "Ja, wir diskutieren dies gerade (auch aus anderen Gründen). Ich melde mich in spätestens 2h."

Der vielbeschäftigte Zeitungsmanager hatte die Sache also zur Priorität erklärt. Und so konnte Wegner auch schon um kurz nach 10 Uhr vermelden: "Danke. Wir haben dies unter den Beiträgen kenntlich gemacht und die Zusammenarbeit beendet." Schraven antwortete mit einem wohlwollenden: "Danke" und twitterte anschließend stolz: "Die Zeit macht unter Beiträgen von Moritz Gathmann deutlich, dass er für Putins Propaganda schafft und hat die Zusammenarbeit beendet. Gut!"

"Problem erkannt - Feind gebannt", könnte man den Subtext dieses Austauschs zusammenfassen. Wachsame Kollegen helfen sich aus, warnen sich vor "gefährlichen" Meinungsabweichlern in den eigenen Reihen. Doch einmal abgesehen davon, dass die Verbindung von Gathmann zu Russland Heute tatsächlich nicht unproblematisch war: Was ist davon zu halten, dass ein Chefredakteur schwierige Personalentscheidungen auf dem Marktplatz der Twitter-Öffentlichkeit kund tut? Warum lässt man sich überhaupt auf eine so öffentliche Kommunikation bei einer Personalfrage ein?

Ob der Chefredakteur von Zeit Online wohl darüber nachgedacht hat, warum Schraven ihn gerade per Twitter auf die Problematik mit dem freien Autor aufmerksam gemacht hat? Schraven, das sollte nicht außer Acht gelassen werden, standen schließlich auch andere Kommunikationskanäle offen, um seinen Kollegen zu erreichen.

Telepolis bemühte sich um ein Telefonat mit Chefredakteur Wegner, um ihm Gelegenheit zu geben, zu dieser und anderen Fragen direkt Auskunft zu geben. Dazu kam es leider nicht. Per Email teilte Wegner mit, dass er aus terminlichen Gründen Dienstag und Mittwoch keine Zeit habe. Er bot ein Gespräch mit seinem Stellvertreter und die Korrespondenz über Email an.

Dass Schraven gerade die Kommunikation über Twitter gewählt hat, dürfte kein Zufall sein. Er wollte vermutlich eben gerade öffentlich (mit all den negativen Begleiterscheinungen für den Journalisten-Kollegen Gathmann) kommunizieren - weil das selbstverständlich den Druck erhöhte.

Der stellvertretende Chefredakteur von Zeit Online, Markus Horeld, rechtfertigte am Telefon gegenüber Telepolis die Kommunikation über Twitter. Man antworte immer auf dem Kanal, auf dem die Kommunikation beginne, in diesem Falle eben über Twitter. Horeld weiter: "Wenn ein Leser uns per Twitter auf einen Fehler im Artikel aufmerksam macht, antworten wir auch per Twitter zurück."

Auf die Frage, ob er tatsächlich keinen Unterschied zwischen der Kommunikation einer Fehlermeldung und der Bekanntgabe der Trennung von einem Mitarbeiter sieht, wiegelte der stellvertretende Chefredakteur ab: Wenn man nicht sofort über Twitter reagiert hätte, wäre das auch beanstandet worden.

Kritik an diesem Vorgehen übt nun auch der Deutsche Journalisten Verband (DJV): "Ob ein Interessenkonflikt zwischen Zeit Online und dem freien Autor vorliegt, wissen wir nicht, aber wenn dieser vorliegt, dann hätte die Trennung auf einem anderen Weg erfolgen müssen", sagt Hendrik Zörner, Pressesprecher des DJV.

Bei dem Journalistenverband habe der Vorfall "Befremden" ausgelöst. Dass über die Trennung eines freien Mitarbeiters bei so einem Fall in der breiten Öffentlichkeit kommuniziert werde, sei nicht in Ordnung. Zörner sagte, man müsse sich vor Augen halten, was das Vorgehen von Chefredakteur Wegner bedeute: Die Gefahr bestehe, dass der freie Autor nun "verbrannt" sei und Schwierigkeiten haben werde, an Aufträge zu kommen.