Chill und Out für die Loveparade

Die elektronische Musikkultur zieht sich von der Straße wieder in die Clubs zurück

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Richtig hip war sie schon lange nicht mehr, die Parade der Liebesjünger in Berlin. Doch im vergangenen Jahr hatte sie nach langem Streit mit Umweltschützern und Anwohnern trotzdem noch die Massen in ihren Bann gezogen (Auf der Suche nach dem Spirit). Im Jahr 2002 litt die Großveranstaltung nun erstmals deutlich unter Besucherschwund und anderen Anzeichen von Sklerose. Etwa eine halbe Million amüsierfreudiger Jugendlicher aus allen Herren Ländern trotzte allerdings Terror- und Gewitterwarnungen, putzte die Körper fein heraus und feierte vor allem in den Clubs die elektronische Musikkultur. Die Parade ist für das eigentliche Raver-Volksfest nur noch die (leere) Hülle.

Highlights über Highlights: Für Freunde der elektronischen Tanzmusik hatte das Weekend of Love einiges zu bieten. Spätestens von Freitag an gab es in Clubs wie dem neuen Riesenschuppen Polar.tv, dem kleinen Sternradio, dem mit seinem Freiluft-Pool lockenden Sage, dem Roten Salon an der Volksbühne, dem vermutlich zum letzten Mal bei einer Loveparade geöffneten Tresor feinste Sounds von Star-DJs wie Rolando, Miss Kittin, Ian Pooley, Tom Novy, den Turntablerockers sowie Live-Acts von Autotune oder den Märtini Brös.

Alle Fotos: Stefan Krempl

Im Casino, über das die Stadtberliner wegen seiner Landpomeranzen anziehenden Klientel eigentlich gerne die Nase rümpfen, kam es am Freitagabend sogar zu einer Wiederauferstehung der alten Neue-Deutsche-Welle-Band DAF (Deutsch-Amerikanische Freundschaft). Die Altrocker reihten sich ein in ein Techno-Electro-Line-up von dem spirituellen Loveparade-Gründer Dr. Motte bis hin zur guten "alten" Marusha. Gleichzeitig füllten Größen wie Paul van Dyk oder Westbam ihre eigenen Hallen.

Im krassen Gegensatz zu dem Auftrieb präsentierte sich dieses Jahr das "eigentliche" Event, die Parade durch den Tiergarten. Der liefen nämlich schlicht die Besucher weg. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf "zwischen 400.000 und 500.000", während die Veranstalter pi mal Daumen von 750.000 Tanzwütigen ausgehen. Leere Seitengassen rund um die seit Jahren belegte Partymeile auf der Straße des 17. Juni im Tiergarten, sprechen allerdings eher für die "offizielle" Version der Ordnungshüter.

Der "Mega-Rave", der 2002 unter dem gewohnt ausdrucksstarken Motto "Access Peace" stand, ist damit wieder auf der Größe von 1995 angelangt, als der Straßen-Dance zum letzten Mal den Kudamm erbeben ließ und Dr. Motte "Peace on Earth" predigte.

"Ich weiß, das hört sich bekloppt an: Aber jedes Jahr frage ich mich am Abend vorher, ob jemand kommt". Die Frage, die sich Ralf Regitz, einer der Organisatoren des Berliner Karnevalsersatzes, seit nun 14 Jahren stellt, dürfte somit im kommenden Jahr zur Gretchenfrage werden.

"Die Luft ist raus", wird in den Medien dank einer dpa-Meldung heute überall ein Polizeisprecher zitiert. "Die Loveparade ist nach wie vor der Höhepunkt des Jahres der elektronischen Musikkultur", schmücken sich die Veranstalter in einem eigens herausgegebenen Bilderbüchlein mit DJ Hell aus München. Recht haben beide, wenn man die erste Passage auf den Umzug selbst und die zweite auf das gesamte verlängerte Liebeswochende bezieht.

Die Parade der gut 48 Love-Trucks, die von den Organisatoren dieses Jahr in "Floats" umbenannt wurden, fiel jedenfalls mehr oder weniger ins Wasser. "Bei 29 Grad und Sonne werden die Besucher der Loveparade am Samstag durch Berlin tanzen. Dazu weht es angenehm leicht aus Süd-Ost", hatte ARD-Wetterfrosch Jörg Kachelmann noch am Donnerstag verkündet. Pünktlich zum Start der Parade um 14 Uhr zog sich der Himmel über Berlin jedoch entgegen aller Prognosen zu und weinte zwei Stunden später ein paar Tränen.

Bei schwülen 28 Grad störte das die meisten Raver aber nicht wirklich. Nur einige Weicheier suchten Schutz unter den vorsichtshalber mitgebrachten Schirmen.

Der Wetterdienst hatte später sogar vor Gewittern mit Windstärke 8 zwischen 20.00 und 21.00 Uhr gewarnt. Nach dem heftigen Sturm vom Mittwoch in der Hauptstadt erwogen die Veranstalter daher kurzzeitig sogar den vorzeigen Abbruch der Parade. Die Metereologen gaben dann aber doch wieder grünes Licht. Hin und wieder blickte am frühen Abend sogar die Sonne wieder durch die Wolken.