Ciao, Michael Robertson!

Kaum hat ihn die halbe Welt als den jungen Wilden der Musikindustrie kennengelernt, lässt Michael Robertson, einstmals CEO von mp3.com, seine umstrittenen Musikfiles links liegen

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So abenteuerlich sich die Geschichte seines Start-Ups auch anhört, Robertson hat mit MP3.com eine der bekanntesten Marken im Internet geschaffen. Dass nicht einmal dies für eine profitable Fortführung reicht, mag wohl viele andere Plattformen nachdenklich stimmen.

Die größte Plattform für vertragslose Musiker im Netz wird indes keineswegs zugesperrt, sondern "nur" umgebaut: Vivendi Universal hat zugeschlagen und will den Namen und die Reputation von MP3.com nutzen, um nicht nur Songs, sondern in weiterer Folge auch Filme an die Frau und den Mann zu bringen. Zugleich mit dem Kauf nominierten die neuen Besitzer Robin Richards als zukünftigen CEO, während der alte beratend für Vivendi tätig bleibt. Allzu viel Beratungszeit dürfte Robertson dennoch nicht übrig haben, immerhin will er sich mit voller Kraft seinem neuen Start-Up Projekt "Lindows" verschreiben: Dabei geht's ebenfalls um Files, allerdings nicht um Songs, sondern um Software: Lindows soll Linux-Software produzieren und in weiterer Folge vielleicht sogar eine eigene Distribution des Open-Source OS auf den Markt bringen.

In vieler Hinsicht kam MP3.com eine wichtige Vorreiterrolle zu: der Verzicht etwa auf exklusive Rechte und die freiwillige Bezahlung der Musiker basierend auf den Downloads - zusammengefasst unter dem griffigen Slogan "Payback for Playback", die Möglichkeit, eigene Radiostationen mit beliebigen Playlists zu konfigurieren und viele andere Services wurden dadurch zum Quasi-Standard für andere Musikplattformen im Web, die sich in punkto Servicequalität immer noch am großen Vorbild messen lassen müssen. Was die Anbindung und Breitenwirkung betrifft, dachte Robertson von Beginn an in großem Stil: die hohe Verfügbarkeit der Downloadserver und die schnelle Anbindung machte MP3.com für viele Musiker zur primären Anlaufstelle.

Sehr beliebt bei Musikern wie auch Hörern sind nach wie vor die DAM-CDs: diese werden nach der Bestellung on-demand hergestellt, mit Cover versehen und weltweit verschickt - der Löwenanteil des Verkaufspreises geht dabei an den Künstler. Die machen wiederum häufig von der Möglichkeit Gebrauch, ihre eigenen DAM-CDs zu bestellen - eine sehr günstige Möglichkeit, professionell anmutende Kleinserien anzufertigen.

Soviel Service will natürlich finanziert werden: so spülte zwar der Börsegang etliche Millionen in die Kasse, aber mit dem langsamen Zusammenbrechen der Werbemärkte im Internet mussten neue Einnahmequellen gefunden werden. Mitte 99 begannen dann die wirklichen Turbulenzen: Mit Napster war plötzlich ein Konkurrent aufgetaucht, der die neusten Hits bot, und das vielgepriesene Service MyMP3 wurde zum Stein des Anstoßes für die RIAA (Recording Industry Association of America). Die Idee dahinter klingt bestechend: wer seine Original-CD ins PC-Laufwerk legt, kann die betreffenden Tracks freischalten lassen und hat anschließend von jedem Computer mit Internet-Anschluss Zugriff auf seine Online-Musiksammlung. Viel Komfort, aber laut richterlicher Entscheidung eine gravierende Copyrightverletzung, die nach einem langwierigen Einigungsverfahren schmerzhafte finanzielle Folgen nach sich zog.

Allen New-Economy-Krisen zum trotz hielt Michael Robertson sein Baby dennoch auf Kurs, aber das Angebot von Vivendi muss wohl unwiderstehlich gewesen sein. Noch hat sich auf der Seite wenig geändert - das Informations- und Serviceangebot rund um mp3 wurde schon vorher bedeutend gekürzt. Aber Universal respektive Vivendi haben ganz andere Pläne mit der Mutter aller Musikplattformen: statt mp3 sollen sichere Formate sowohl für Musik als auch für Filme und in weiterer Folge Videospiele zum Einsatz kommen.

Da sich Verkaufen und Verschenken aber nur bis zu einem gewissen Grad vertragen, bleibt die Frage offen, wie lange noch vertragslose Musiker die Plattform bewohnen dürfen. Der Artist-Pool ist zwar riesig groß und unüberschaubar, ernsthaft Geld verdienen lässt sich damit jedoch wohl nicht. Und inwieweit der neue Besitzer das "alte" MP3.com aus Imagegründen weiterbestehen lässt, werden die nächsten Monate zeigen.

Für viele Stamm-User war MP3.com ohnehin immer zu gut, um wahr sein zu können: wer sich die Zeit nimmt, aus dem großen Angebot das passende herauszuhören, der wird mit Sicherheit fündig - und nicht zuletzt schätzen Musiker selbst die Austausch- und Katalysatorfunktion der Plattform. Sollte MP3.com in Zukunft zu einem reinen Verkaufslokal werden, dann wäre das in letzter Konsequenz gerade für die Musikindustrie sehr schade: zwar wird die legale Musik nicht aus dem Netz verschwinden, aber die Fans werden länger danach suchen müssen - und Morpheus & Co. wahrscheinlich den Vorzug geben.