City of Despair

Ethnische Säuberungen in Bagdad

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Die Zeiten, zu denen man bei der Erwähnung des magischen Namens "Bagdad" an den märchenhaften Zauber aus Tausend und einer Nacht dachte, sind längst vorbei; schon seit längerem gilt die irakische Hauptstadt als The World's most dangerous Place. Ein bezeichnendes Phänomen der gegenwärtigen irakischen Wirklichkeit scheint jedoch zu sein, dass es selbst dort noch Steigerungen gibt, wo man glaubt schon am Ende der Skala angelangt zu sein.

So ist dem kurzen Rückschau-Bericht über seinen Aufenthalt im Irak, den der amerikanische Journalist und ehemalige Freelancer Christopher Allbritton in seinem Blog an Leser adressiert, die sich für die Arbeit als freier Journalist im Irak interessieren, deutlich zu entnehmen, dass sich die Situation außerhalb der grünen Zone, die schon vor Jahresfrist als hochriskant für Leib und Leben galten, noch weiter verschlimmert haben.

In einem Mail, von einem namentlich nicht genannten "irakischen Beobachter", das im Blog des regierungskritischen amerikanischen Irak-Experten Juan Cole veröffentlicht wurde, hieß es vor knapp einer Woche, dass sich die Lage in Bagdad dramatisch verschlechtert habe:

Fünf Viertel in Bagdad werden von Widerstandskämpfern kontrolliert: Amiraja, Ghazilja, Schurta, Jarmuk und Dura. Das ist sehr schlecht. Meine Leute haben mir berichtet, dass Autos in diese Viertel gefahren sind, um dort die Straßen zu blockieren. Maskierte Männer mit Kalaschnikows und anderen Waffen streunen in diesen Gebieten herum und sagen den Leuten, dass sie in ihren Häusern bleiben sollen. Einer meiner Fahrer in Amiraja sagte mir, dass Geschäfte und Häuser im Viertel verschlossen sind, sogar diejenigen, die Nahrung und andere Lebensmittel brauchen, werden davor gewarnt, ihre Wohnungen nicht zu verlassen... Mit Flugblättern warnt man die Einwohner vor großen Versammlungen, da sie so zu Zielen eines Anschlags werden könnten...Mehr und mehr Leute aus der gebildeten Schicht verlassen die Stadt, sogar die patriotisch gesinnten. Die Situation ist furchtbar.

Bestätigt werden diese Beobachtungen nun von einem Bericht verfasst von Korrespondenten der angesehenen Knight Ridder-Organisation. Dort heißt es, dass die ethnischen Säuberungen in Bagdader Vierteln eine "alarmierende und potenziell destabilisierende Dynamik angenommen" habe.

Schiiten würden aus Wohnvierteln mit vorwiegend sunnitischer Bevölkerung fliehen, weil die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den religiösen Gruppierungen mittlerweile ihre Haustüren erreicht hätten und sie lieber in Wohnviertel wechseln würden, wo die Einwohnerschaft sich "homogener" zusammensetze. Regierungsmitarbeiter und Experten würden die Sorge darüber teilen, dass dieser Auszug aus gemischten Gemeinschaften beunruhigend sei und die erste Stufe eines Bürgerkriegs markieren könnte. Man befürchtet, dass die "homogenen Viertel" die künftigen Schlachtfelder in der Hauptstadt sein könnten. Einige Regierungsmitarbeiter bestätigten mittlerweile, dass Aufständische, vorwiegend Sunniten, Teile von Bagdad kontrollieren würden.

Hilfsorganisationen bekommen jeden Tag mehrere Dutzend Hilferufe; in einigen Vierteln finden die Bewohner Zettel mit Todesdrohungen unter ihrer Haustür, gezeichnet von as-Sarkawi, oft mit einem Aufruf an Sunniten, ihre schiitischen Brüder zu töten. Andere Bewohner berichten davon, dass Familienangehörige getötet wurden oder entführt und dass Aufständische in sunnitischen Wohnvierteln schiitische Geistliche bedroht hätten und sie aufgefordert, ihre Moscheen zu schließen. Es würde lang dauern, die Wohnviertel vollkommen ethnisch zu säubern, so die Reporter von Knight Ridder. Mischehen seien seit langer zeit üblich gewesen, die meisten Viertel in Bagdad sind gemischt, auch wenn es Mehrheiten gibt, so sei der größte Teil des westlichen Bagdads vor allem von Sunniten bewohnt, während der östliche Teil überwiegend von Schiiten bevölkert sei. Aber kein Viertel in Bagdad werde nur von einer Gruppierung bewohnt.

Momentan würden die Säuberungsversuche der Guerillas besonders auf Dura, Amirija, Ghazilija und Sadija zielen. "Ich bin sehr besorgt", so der irakische Vizepräsident Adil Abdel Mahdi, "es gibt einen Plan, diese Gebiete zu säubern. Sarkawi hat dies deutlich gemacht."