Cloudbuster

Warum ein Berliner Künstler in New York Willhelm Reichs Regenmacher-Maschine reaktivierte

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Der Berliner Künstler Christoph Keller hat Reichs "Cloudbuster" rekonstruiert und in den letzten Monaten damit Experimente durchgeführt. Auf unterschiedlichen Dächern von New Yorker Wolkenkratzern positionierte er die Apparatur und setzte sie mit dem Ziel ein, Wolkenbildung und Regenfall zu verursachen.

Ende des letzten Jahrhunderts machte die "Eishagel-Attacke auf Montreal" in den Massenmedien die Runde. Bald, so wurde atemlos berichtet, wuchs diese sich zu einer Belagerung der Stadt aus, die für knapp einen Monat anhielt. Kein strategisches Luft-Bombardement hätte größere Schäden verursachen können in einer Stadt, die für die angrenzenden Regionen als Energieversorger und Nervenzentrum des Kommunikationsnetzes fungiert. Der Hitzeschlag, der Auckland wenige Zeit später traf, kam ebenfalls mit so einer Wucht und Nachhaltigkeit, dass die Armee damit beauftragt werden musste, das zentrale Geschäftsviertel der neuseeländischen Hauptstadt zu evakuieren. Einhundertzwanzig Blocks der Innenstadt von Auckland wurden im Zuge dessen zur Geisterstadt.

Christoph Kellers Cloudbuster-Rekonstruktion in New York (2003)

Unsere natürliche Umwelt gehorcht längst nicht mehr Naturgesetzen allein. Vielmehr ist sie das Produkt des menschlichen Vorhabens die Natur zu besiegen und zu übertreffen. Es ist der Einfluss des Zivilisationsprojekts samt Urbanisierung und Industrialisierung, der die Natur mittlerweile als eine Art Frankenstein erscheinen lässt: ein irres, unkontrollierbares Monster, von kühner Menschenhand geschaffen.

Diesem Zusammenhang entsprungen ist wohl die Idee eines Science Fiction Autors aus Texas, eben dieses Monster zu zähmen und zu manipulieren: "Heavy Weather" (1994) ist ein Zukunfts-Thriller, in dem der Mathematiker Dr. Jerry Mulcahey eine so genannte Storm Troope anführt. Software, Grunge und Gefahr sind ihr täglich Brot. Als Katastrophenwetter-Hacker jagen und neutralisieren sie brutale, zügellose und unzivilisierte Orkane, Stürme und Riesenwellen.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ein Wissenschaftler diesen Traum in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur träumte, sondern auch bereits zu realisieren begonnen hatte. Sein Name war Wilhelm Reich, und er befand sich zu dem Zeitpunkt bereits seit gut 10 Jahren im US-amerikanischen Exil.

Es war eine recht aufreibende Zeit. Politisch war das Klima auf den Siedepunkt des Erträglichen angelangt: McCarthy, der 1950-54 die treibende Kraft einer anti-kommunistischen Verfolgungswelle gewesen war, die sich besonders gegen Regierungsangestellte, Künstler und Intellektuelle richtete, machte auch Reich das Leben zur Hölle. Der österreichische Psychoanalytiker war schließlich erklärter Kommunist, selbst für eingefleischte Sozialisten in Europa hat er häufig eine zu extreme Position eingenommen.

Nun befand sich der Autor von Werken wie "Die Massenpsychologie des Faschismus", in denen eine Synthese von Marxismus und Psychoanalyse angestrebt wurde, in einer Schaffensphase, die ihn darüber hinaus noch an einen ganz anderen Rand der Gesellschaft brachte: Nachdem er die kosmische Lebensenergie entdeckt zu haben glaubte und über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg an seiner sogenannten Orgontheorie gearbeitet hatte, bastelte er wie im Fieberzustand an Apparaten. Es waren hanebüchene Erfindungen, genauso hanebüchen und revolutionär wie seine Orgontheorie, die, vereinfacht gesprochen, eine Fundamentalkritik der Physik darstellte: Reich beanstandete, dass lediglich tote Materie als physikalischer Betrachtungsgegenstand wahrgenommen wurde und führte konsequenterweise lebendige Materie als physikalische Größe ein.

Ausgehend von Freuds Libido-Begriff (der Energie des Triebgeschehens in der Psyche) postulierte Reich eine Lebensenergie, die nicht nur im biologischen und im psychischen Bereich wirkt, sondern eine allumfassende schöpferische Energie sei. Den Orgon-Begriff leitete er von Orgasmus und Organismus ab, der Energie selbst schrieb er ausdrücklich physikalische Eigenschaften zu. Den etwa 20 veröffentlichten Messexperimenten, mit denen er seine Theorie zu untermauern versuchte, ließ er Geräte folgen, die nicht zuletzt für Heilzwecke eingesetzt werden sollten. In den späten 1960er Jahren, also im Zuge der allgemeinen Reich-Renaissance in den Reihen der Hippies, wurde vor allem seine "Orgonbox" wiederentdeckt.

Willhelm Reichs Originalapparat beim Einsatz (1954)

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts macht hingegen Reichs "Cloudbuster" wieder von sich reden. Christoph Keller, ein Berliner Künstler, hat die Apparatur rekonstruiert und in den letzten Monaten damit Experimente durchgeführt (Gespräch mit Christoph Keller). Auf unterschiedlichen Dächern von New Yorker Wolkenkratzern positionierte er den "Cloudbuster" und setzte ihn mit dem Ziel ein, Wolkenbildung und anschließend Regenfall zu verursachen. Wie es der Zufall will, trafen seine Experimente mit einer nahezu präzendenzlosen Schlechtwetterperiode zusammen. New York versank im Regen - hatte es etwas mit Kellers Intervention zu tun? Eine andere Parallele, wenngleich historischer Natur, war gleichermaßen offenkundig. Es ist die oppressiv-klaustrophobe Hexenjagdstimmung des McCarthyismus, die dieser Tage einmal mehr in der Luft zu liegen scheint.

Viele, wie der US-Intellektuelle Weinberger, sehen blanken Faschismus in ihrem Heimatland Gestalt annehmen. Vorsichtigere, weniger polemisch argumentierende Beobachter wie der Philosoph Sloterdijk, sehen eine Analogie zur Weimarer Republik, also der Geburtsstunde der Nazi-Ära. Erst diese historischen Bezüge verleihen Kellers Projekt seine Bedeutung. Schließlich spricht man nicht umsonst vom "Klima", wenn es um politisch-soziale Themen geht.

Sicher, Thomas Mann bezeichnete die See als ausgelagerte Seelenlandschaft und das gleiche ließe sich vom Himmel sagen. Doch ist der Himmel längst nicht mehr einfach nur eine Projektionsfläche gesellschaftlicher Hoffnungen und Ängste. "Da oben" spiegelt sich mittlerweile unsere Gesellschaft in Form eines Rückkopplungseffekts wieder, ob nun in Form von Eishagel-Attacken, Hitzeschlägen oder Killerstürmen.

Kurz: Keller erinnert mit der Wiederaufführung der "Cloudbuster"-Experimente daran, dass der Himmel, einst die Grenze des Mach- vor allem aber auch Denkbaren, heutzutage wie das unterdrückte Unterbewusste anmutet, das es mittels angewandter Orgonpraxis zu entladen, ja, zu befreien galt.