Code-Knacken ein Klacks

Syriens Zugang zum World Wide Web

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"Die Seite, die am häufigsten im syrischen Internet erscheint, ist weiß und heißt 'Forbidden'", witzelt der Journalist Hakam al-Baba. Dafür, dass die grenzenlose Freiheit auch im Internet buchstäblich virtuell bleibt, sorgt die Diktatur. Doch selbst das Land, das laut Reporter ohne Grenzen in der Rangliste der Pressefreiheit Platz 155 (von 164) belegt, hängt mittlerweile am globalen Netz.

Nach 19-monatiger Wartezeit wurden 2004 Yahya al-Aws und die Brüder Muhammad und Haitham Qutaish zu je zwei, drei und vier Jahren verurteilt. Weil sie Berichte von gesperrten Websiten an ein Online-Magazin in den Vereinigten Arabischen Emiraten gemailt hatten. Das Urteil Ende Juni 2004 für Abdel Rahman Shagouri: zweieinhalb Jahre. Von der in Syrien verbotenen regimekritischen Website thisissyria.net hatte er Nachrichten kopiert und Freunden weitergeleitet.

Seit Oktober 2003 sitzt Massoud Hamid, Journalistikstudent kurdischen Ursprungs, seine dreijährige Strafe ab. Einen Monat vor seiner Verhaftung im Juli 2003 veröffentlichte er auf der von Deutschland aus betriebenen kurdischen Website das Foto einer Demonstration in Damaskus, die Menschenrechte für kurdische Syrer einforderte.

Staatssicherheit tut sich mit Computern schwer

Kurden, Korruption und Kritik an namentlich genannten Regimemitgliedern liegen in Syrien jenseits der roten Linie. Doch immer häufiger wird sie übertreten, auch dank Internet. Zu langsam mahlen die Mühlen der Staatssicherheit, zu schnell verbreiten sich die Nachrichten. So im Falle des ein-Mann-Unternehmens "Kulluna Shuraka" ("Wir alle sind Partner") der Website all4syria.com. Täglich verschickt ihr Betreiber, Ayman Abdelnour, eine aktuelle Medienschau aus vorwiegend arabischsprachigen Zeitungen an rund 15.000 Abonnenten – die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus Regime und Geheimdienst bestehen. Der Tenor ist moderat-kritisch, die Verfasser mitunter regierungsnah. Abdelnour selbst bezeichnet sich als "Berater" des Präsidenten. Dennoch ist seine Seite verboten. Er erklärt dies damit, dass die Baath-Partei, der er angehört, bei ihm konkrete Verbesserungsvorschläge vorfände. Dies aber sei schwerer bekömmlich, als die in Syrien jedermann zugängliche "Hetzschrift" der in den USA ansässigen "Syrischen Reform Partei". Vor diesem Hintergrund seien die Versuche der staatlichen Zensoren, Abdelnours Newsletter zu unterbinden, zu sehen. Versuche, die er letztlich austrickste, indem er mehrfach seine Mailadresse änderte, von "postmaster@ zu webmaster@, jeden Tag was anderes, bis sie nicht mehr hinterherkamen.

Sie haben keine Ahnung von Computer und Internet. Irgendwann ließen sie mich in Ruhe.

Als Print verboten, online erlaubt

Wer will, kann die Sperren tatsächlich leicht umgehen. Zum Preis von 1 Dollar knacken Softwareprogramme sie bei allen, die internationale e-mail Provider wie Yahoo! oder Hotmail nutzen. Die bei den staatlichen Providern STE und SCS Registrierten haben es noch leichter: Ein bisschen Googeln führt geradewegs auf die verbotene Seite. Obwohl beide Provider staatlich kontrolliert sind, SCS gar im persönlichen Besitz des Präsidenten ist. Möglicherweise kann der sich aber (noch?) sicher sein, dass nicht allzu viele der ca. 140.000 Registrierten die Hintertür benützen. Die Vordertür zumindest bleibt vielfach unbeachtet. So scheint es paradox, dass die Print-Ausgabe des libanesischen Al-Nahar verboten, die online-Ausgabe hingegen erlaubt ist. Doch Shaaban Aboud, Syrienkorrespondent der Tageszeitung, erklärt: "Al-Nahar ist zwar regimekritisch, deshalb aber noch lange nicht kritisch für das Regime. Erst recht nicht was seine Internet-Präsenz angeht, da die Regierung weiß, dass nur wenige extra deswegen surfen. Dazu bedürfte es einer größeren intellektuellen Neugier im Volk. Die Mehrheit der ca. 19 Millionen Syrer aber ist ausgesaugt". In den Damaszener Internetcafés, von denen es landesweit an die 500 geben soll, sind jedenfalls meist Jungen zwischen 10 und 15 Jahren anzutreffen. Zum Spielen, für etwas mehr als 1 Dollar die Stunde – was für Syrer so billig nicht ist.

Wichtige Kontakte: Ein Blogger unter wenigen

In der Tat bilden die Kosten vielfach die Barriere zum eigenen Zugang. "Wer sich mit reinem Web-Browsing begnügen will, muss bereits 120 $ Installationsgebühr bezahlen. Wer aber Breitbandtechnologien nützen will, steht nur noch dumm da. 346 $ pro Monat für einen DSL-Anschluss mit einer Download-Geschwindigkeit von 1 MB pro Sekunde – zehnmal teurer als in Jordanien, fünfmal teurer als in Ägypten. Und das bei einem monatlichen syrischen Durchschnittseinkommen von 200 bis 300 $...", stöhnt Ammar Abdulhamid, Betreiber des aufwendigen arabisch- und englischsprachigen Portals Tharwaproject:

Ein richtiges Internet Protokoll (IP) gibt es auch nicht, also ist die Datenübertragung zwischen Rechnern mit unterschiedlichen Prozessoren und Betriebssystemen erschwert. Wer ein IP will, muss zusätzlich bezahlen. Das ganze 2004 großspurig eingeführte Breitbandsystem ist also extrem teuer und extrem veraltet. Und gleich nachdem das Regime den Zugang zu Hotmail und Yahoo! erlaubte, unterband es das web phoning. Schikanen, nichts als Schikanen.

Abdulhamid vermag sein Projekt nur mit Hilfe ausländischer Gelder aufrechtzuerhalten, etwa: Pax Christi, Niederlande, HIVOS, Dänemark, Heinrich Böll-Stiftung und "gelegentlichen Zuschüssen von diversen Botschaften in Syrien". Zum Leidwesen der syrischen Behörden: "Das Tharwa-Projekt beschäftigt sich mit Minoritäten und Liberalisierungsfragen. Aber ich brauche die heiklen Themen nicht einmal anzusprechen – die bloße Existenz des Portals ist ein Stachel im Fleisch", grinst Abdulhamid. Die zweifellos schillerndste Figur unter Syriens Internet-Aktivisten ist sich ihrer Unantastbarkeit sicher: "Wenn die Regierung dieses Projekt sperrt – wer soll dann noch glauben, dass sie reformorientiert ist?" Tharwa – zu deutsch "Reichtum" – umgibt sich mit internationalen Beratern, darunter so klingende Namen wie Gilles Kepel, Buchautor und Professor am Pariser Institut d' Études Politiques und Flynt Leverett, der 2003 von seinem Posten als Nahost-Experte im Nationalen Sicherheitsrat von George W. Bush zurücktrat.

Kontakte, die Abdulhamid vorerst Immunität zusichern und ihn zum Bloggen im eigenen Namen ermutigen, allerdings auf englisch, mit dem sich nicht nur der Geheimdienst, sondern auch die meisten Syrer schwer tun. Seine Posts – unter anderem betitelt mit "The Upcoming Fuck Up!" – dürften sich daher hauptsächlich an Ausländer richten, die, soweit erkenntlich, den Blog auch am meisten kommentieren. Gebloggt würde in Syrien, laut Abdulhamid, noch viel zu wenig.

Die Kosten und die Furcht vor dem Geheimdienst sind nicht die einzigen Gründe. Es fehlt einfach der intellektuelle Nachwuchs.

Gemeinschaftliche Online-Offensive

Die Szene ab 30, 40 aufwärts beherrscht auch das neu gegründete "Nationale Zentrum für die Verteidigung der Pressefreiheit in Syrien". Seit dem 9. Mai ist seine Website "Hurriyat" ("Freiheit") online. Unter dem vorläufigen Vorsitz des Oppositionellen Michel Kilo und dem Ehrenvorsitz von Ali Farzat, Karikaturist und Herausgeber des 2003 verbotenen Satire-Magazins al-Domari, zielt das Zentrum auf die Abschaffung des restriktiven Pressegesetzes. Im September 2001 erlassen, erlaubt es unter anderem die Zensur jeder Veröffentlichung, die dem "nationalen Interesse" zuwiderläuft. Was immer das auch ist, das vom Zentrum herausgegebene Periodikum "Al-Mal" ("Finanzen") hat es offensichtlich verbrochen: Seine jüngste Ausgabe, die von Korruptionsfällen berichtet, kam gar nicht erst auf den syrischen Markt. Menschenrechtler und Zentrum-Sprecher Anwar al-Bunni bleibt davon herzlich unbeeindruckt und will zunächst die Genehmigung der "Hurriyat" durchsetzen, was einem Va-Banque-Spiel gleichkommt. Bislang kommentierte die Regierung die neue Initiative zwar mit keinem Wort, doch sei laut Michel Kilo "jederzeit mit einer Aggression zu rechnen".

Angst-Attacken

Beteiligt an dem gemeinschaftlichen Onlinegang von Opposition und unabhängiger Presse ist auch Syriens Medien-Provokateur par excellence: Hakam al-Baba. Derzeit rührt er die Werbetrommel für sein "Buch in Angst. Ein Bekenntnis der Syrischen Presse". Mit dem ihm eigenen bissigen Humor stellt er darin die Staatsmedien bloß:

Ein Verbund von Nullen, der nur noch der saudi-arabischen Fußballmannschaft vergleichbar ist.

Dass sein betont furchtloser Fingerzeig auf die nicht existierende Meinungsfreiheit ausgerechnet vom Informationsminister abgesegnet wurde, ist laut al-Baba kein Hinweis auf die Reformbereitschaft, sondern lediglich auf die Hilflosigkeit des Regimes. "Sie stecken kleine e-mail-Versender ins Gefängnis, wagen sich an die bekannten Namen aber längst nicht mehr heran", erklärt Yassin al-Haj Saleh, ebenfalls "Hurriyat"-Autor. Mit 19 Jahren wurde er wegen Mitgliedschaft in einer kommunistischen Bewegung verhaftet und erst 16 Jahre später freigelassen. Nachdem ihn nicht einmal sein letztes, im berüchtigten "Tadmur"-Gefängnis verbrachtes Jahr zerbrechen konnte, prangert er das Regime weiterhin an – auch unter Nennung von Namen aus der Assad-Familie, womit er die roteste aller roten Linien hinter sich lässt. Generell ist ein allmähliches Nachlassen der Totaleinschüchterung zu beobachten, weil "diese Diktatur eine schwache Diktatur ist", so al-Haj Saleh.

Der ermutigte Mut gepaart mit der technischen Möglichkeit, die Welt aktuell über Übergriffe zu informieren, könnten der brüchigen Diktatur weitere Risse zufügen. Al-Haj Saleh, sonst betont optimistisch, bleibt diesbezüglich aber verhalten: "'Hurriyat' ist nicht der erste Versuch dieser Art in Syrien. Auf Dauer sind alle gescheitert, wegen interner Profilneurosen – oder der Angst, die bei den meisten letztlich doch wieder hoch kriecht."

Von einem syrischen Durchbruch in den globalen Informationsfluss kann daher nicht die Rede sein, eher von dessen Einsickern in den syrischen Staudamm. Und der gibt "bit by bit" nach. Es fragt sich nur, was dabei mehr mithilft: Die geschwächte Diktatur, die gestärkte Redebereitschaft oder eine Technologie, die Dollar um Dollar viel zu mitreißend ist, auch für Staudämme?