Cognitive Warfare – die Nato und das "gehackte" Individuum
Seite 2: Schwindendes Vertrauen in Regierungen, Institutionen und die Nato
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Seit einigen Jahren zeigt sich jedoch, dass die Bemühungen der Regierungen und der Nato um das Vertrauen der Menschen immer weniger Erfolg haben. Das liegt auch daran, dass sich gleichzeitig mit einem Voranschreiten der Militarisierung immer mehr Menschen unabhängig und eigenständig informieren.
Das führt dazu, dass diese Menschen beginnen, die hohen Rüstungsbudgets ihrer Regierungen zu hinterfragen und daran zu zweifeln, dass immer mehr Geld für die Nato zu mehr Frieden auf dieser Welt führen soll. "Das Vertrauen in die Nato ist in Frankreich, Deutschland und den USA stark zurückgegangen", schreibt die europäische Nachrichtenseite Euractiv unter Bezugnahme auf eine Studie aus dem Jahr 2020.
Diese ergab nicht nur, dass das Vertrauen in die Nato in einigen Ländern stark gesunken ist, sondern dass auch immer weniger Menschen möchten, dass ihr Land ein von Russland angegriffenes Nato-Mitglied verteidigen sollte.
Damit stellen die Menschen aber den für die Nato ganz zentralen Artikel 5, welcher den Bündnisfall regelt, in Frage, was für die Nato eine potentielle Gefahr darstellt. Mit dem Bündnisfall ist gemeint, dass ein Angriff auf ein Land, das Mitglied der Nato ist, als Angriff auf alle Nato-Länder angesehen wird, und dass alle Nato-Länder dem angegriffenen Land in einer "kollektiven Verteidigung" gemeinsam beistehen.
Die Regierungen leiden unter einem ähnlichen Vertrauensverlust. So beobachtete das jährlich konstatierte das "Trust Barometer" von Edelman, einer sehr großen PR-Agentur, bereits im Jahr 2017 eine "Kernschmelze des Vertrauens". Im Jahr 2021 fand Edelman heraus, dass in fast jedem der untersuchten Länder das Vertrauen der Bevölkerung in die jeweilige Regierung zurückging.
Die Corona-Krise scheint diesen Trend noch verstärkt zu haben, wie Klaus Schwab, der Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums WEF, vor kurzem feststellte: "Heute aber haben viele Menschen das Vertrauen in Institutionen und deren Führungskräfte verloren" erklärte er – und fügte hinzu, dass einige daher "mit dem Finger auf unfähige politische Führer" zeigten oder "Vorstandsvorsitzende" beschuldigten.
Dieser Mangel an Kriegsbereitschaft und Vertrauen ist auch für die Nato ein großes Problem. "Es gibt weniger Vertrauen in unsere Institutionen" beklagte sich der Generalsekretär der Nato, Jens Stoltenberg, in einer Rede im Dezember 2021.
Für ihn steht fest, dass der Grund für den Vertrauensverlust nicht etwa illegale Angriffskriege oder die immens hohen Militärausgaben der Regierungen sind. "Bösartige Cyberwaffen" und "Propaganda und Desinformation" von "autoritären Regimen" sind schuld, gibt sich Stoltenberg sicher.
Wer genau damit gemeint ist, wird in der Rede nicht klar, aber schuld sind fremde Mächte. Für die Nato stellt dieser Vertrauensverlust eine elementare Gefahr dar – weil, wie StratCom schreibt, von der Meinung der Öffentlichkeit am Ende der Erfolg ihrer Operationen abhängen kann.
Die Nato macht sich daher große Sorgen um die "heimtückische Gefahr" von "aufrührerischen Erzählungen", die das Vertrauen der Bürger in die demokratischen Institutionen beschädigen könnten.
Das möchte die Nato nicht länger hinnehmen und reagiert. Dafür eskaliert sie einmal mehr die Spirale aus Angst, Gewalt und Wettrüsten und bereitet sich auf den Kriegseinsatz auf einem scheinbar völlig neuen Schlachtfeld vor: der "menschlichen Sphäre".
Damit führt die Nato ihre bisherige Propaganda und den sogenannten Informationskrieg konsequent weiter und entwickelt neue, noch extremere Manipulationstechniken.
Die "Hyper-connectivity" als Chance
Diese Manipulationstechniken fasst die Nato unter dem Begriff "Cognitive Warfare" zusammen und nutzt dabei die Tatsache, dass immer mehr Menschen das Internet immer öfter nutzen, auch zu ihrem Vorteil aus.
Die "Informationsrevolution" hat folglich für die Nato nicht nur Nachteile, sie hat auch Vorteile und schafft ganz neue Möglichkeiten zur Beeinflussung der Menschen. Der Grund liegt darin, dass wir alle intensiv das Internet nutzen, ob mit dem Smartphone, über Apps, den PC oder Laptop. Und ganz egal, ob wir dabei einen Zeitungsartikel lesen, shoppen oder nur den Wetterbericht abrufen, wir hinterlassen dabei eine für uns unsichtbare Spur und geben Informationen über uns preis, die ein geschulter digitaler Spurenleser sammeln und auswerten kann.
Uns ist dabei oft nicht bewusst, dass wir durch das Internet viel durchschaubarer werden und viel mehr Informationen über uns selbst offenlegen, als wir denken.
Die US-Wirtschaftswissenschaftlerin und emeritierte Professorin Shoshana Zuboff erklärt das wie folgt: Wenn wir das Internet nutzen, dann hinterlassen wir immer zwei "Texte" über uns, einen uns bekannten, und einen "Schattentext", dessen Anhäufung und Analyse mehr über uns aussagt, als wir sogar selbst über uns wissen.
Je mehr Dinge wir online tun und je mehr die Digitalisierung vorangetrieben wird, umso schwieriger wird es, "und vielleicht sogar unmöglich, nicht zu diesem Text beizutragen", schreibt Zuboff in "Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus" auf Seite 218 der deutschen Ausgabe.
Mit den richtigen Mitteln ist es nun möglich, diese vielen Informationen zu sammeln, auszuwerten und am Ende das Verhalten jedes Menschen ganz individuell "zu formen und zu justieren", also zu beeinflussen.
Nicht jeder kann dabei als Spurenleser arbeiten, sondern es sind nur ganz wenige Spezialisten, eine "Priesterschaft privat angestellter Computerspezialisten [und ihrer] privaten Maschinen", wie Zuboff es beschreibt. Sie können die "hyper-connectivity", also die Tatsache, dass fast jeder Mensch ein Smartphone besitzt und täglich im Internet surft, nutzen, um Kenntnis über die Gedanken und Gefühle der Menschen zu bekommen, diese zu lenken und das zukünftige Verhalten der Menschen vorherzusagen.
Genau davon macht auch die Nato Gebrauch und stützt sich auf die extreme Verbindung der Menschen zum Internet als eine zentrale Säule ihrer kognitiven Kriegsführung. Dazu veröffentlichte der Nato-nahe Think-Tank Innovation Hub im Jahr 2020 das Dossier "Cognitive Warfare", das die Nato begeistert aufgriff und im Herbst 2021 einen Innovationswettbewerb ausschrieb, in dem Bewerber aus aller Welt ihre Lösungen zur Führung des Gedankenkrieges vorstellen konnten. Andere Dossiers und Strategiepapiere, in denen Strategien zum Gedankenkrieg weiter ausgearbeitet wurden, folgten kurz darauf.
Grundlegendes Ziel des Cognitive Warfare ist das Vertrauen jedes Einzelnen
Nachdem die Nato den Vertrauensverlust der Bürger in ihr Bündnis und in demokratische Institutionen als ein Problem für sie erkannt hat, ist es ein großes Ziel der kognitiven Kriegsführung, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Die Nato braucht das einerseits, weil ein Mangel auch ihren Erfolg auf dem Schlachtfeld gefährden kann, andererseits, weil es wichtig ist, die Menschen kontrollieren zu können.
Die Strategen des Nato Innovation Hubs wissen das sehr genau. So beklagen die Autoren des Aufsatzes "Nato’s Sixth Domain of Operations" eine "ständige Erosion der Moral der Öffentlichkeit". Sie glauben genau wie Jens Stoltenberg, dass die Gegner der Nato schuld daran sind, dass Menschen in den Nato-Ländern an der Nato Zweifel haben.
Daher ist Vertrauen das übergeordnete Ziel des "Cognitive Warfare", und zwar das Vertrauen von "Einzelpersonen genauso wie Gruppen, politischen Bündnissen und Gesellschaften". Damit wird deutlich, dass auf diesem neuen Kriegsschauplatz jeder Einzelne ins Visier der Nato geraten kann.
Der Hauptverantwortliche für die Entwicklung der Forschung am Innovation Hub, François du Cluzel, beschreibt es auf Seite 6 der Broschüre "Cognitive Warfare" so: Die kognitive Kriegsführung "zielt auf das gesamte Humankapital einer Nation". "Sie sind das umkämpfte Gebiet, wo auch immer Sie sind, wer auch immer Sie sind" stellen die Autoren eines entsprechenden Strategiepapiers fest.