Corona-Aufarbeitung: Was wussten wir wirklich?

Seite 2: Nicht nachvollziehbare Entscheidungen

In diesem Licht kann ein weiterer Aspekt der Corona-Krise nicht überraschen. Einige Entscheidungen wurden nicht ausreichend sachlich begründet und konnten daher leicht willkürlich erscheine (was selbstverständlich kaum zum Vertrauen in die Corona-Politik geführt haben dürfte).

Ein besonders sprechendes Beispiel war die bereits angesprochene Behandlung von Genesenen. Die Frage, wie lange Genesene eigentlich gegen eine Reinfektion geschützt waren, war in Deutschland aufgrund der Datenlage kaum zu beantworten.

Die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass Genesene wegen einer Infektion ins Krankenhaus mussten, noch weniger. Dies verwundert umso mehr, als ein Staat ein besonderes Interesse an der Aufklärung dieser Frage haben müsste, weil sie möglicherweise beweisen könnte, dass eine deutlich weniger restriktive und kostengünstigere Politik zielführend gewesen wäre.

Stattdessen wurde der Genesenenstatus in Deutschland auf 3 Monate halbiert (und galt erst ab dem 28. Tag nach der Infektion – bei einer Impfung waren es hingegen nur 14 Tage -, was für die betroffene Person in dieser Zeit, in der sie noch nicht offiziell als genesen galt und damit bei der 2G-Regelung vor verschlossenen Türen stand, zu Problemen geführt haben dürfte).

Telepolis hat wiederholt über dieses Thema berichtet. (Beispielsweise hier und hier)

Auf Anfrage von Telepolis erklärte das RKI vielsagend, den Genesenenstatus auf drei Monate zu halbieren sei "eine politische Entscheidung" gewesen.

Aufgrund der Tatsache, dass dies streckenweise darüber entschied, ob die betroffenen Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben (und teilweise auch aus dem beruflichen Leben) ausgeschlossen wurden und damit massive Einschränkungen und Verluste hinnehmen mussten, ist dies sicherlich keine Lappalie.

Einmal mehr ein Thema für einen Untersuchungsausschuss.

Lockdown

Im Hinblick auf massive Grundrechtseinschränkungen ist selbst verständlich der Lockdown zu nennen. Das RKI hatte intern am 16. Dezember 2020 kritisch bewertet:

"Lockdowns haben zum Teil schwerere Konsequenzen als Covid selbst."

Gerade weil die Konsequenzen eines Lockdowns vielfältig, zahlreich und durchaus gravierend sind, stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Daher muss eine Analyse zwingend Teil einer Untersuchung sein, um die Frage zu klären, inwiefern die Lockdowns in Deutschland gesamtgesellschaftlich zu mehr Schaden oder mehr Schutz geführt haben.

Stellvertretend für die Kritiker sei hier Boris Kotchoubey, Professor am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen, angeführt:

Jedes entwickelte Land besaß bereits vor Corona einen ausgearbeiteten Pandemieplan, so auch Deutschland. Keiner dieser Pläne schloss eine komplette Ausschaltung des öffentlichen Lebens ein. (…)

Die von der Politik immer wieder zitierte Studie, nach welcher ein harter Lockdown mehrere Millionen Leben erhalten könne, war ein mathematisches Modell, bei dessen Berechnung im Übrigen die Daten dreier Länder, die nicht zum Konzept passten, ausgeschlossen wurden.

Die Studie verglich den kompletten Lockdown mit Null-Maßnahmen (also mit einer Laissez-faire-Taktik), obwohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits Daten zur Wirksamkeit gezielter hygienischer Maßnahmen bekannt waren.

Eine Aufforderung zum richtigen Händewaschen kann demnach allein nahezu den gleichen Effekt haben wie ein totaler Lockdown.

Bei der ersten Covid-Welle verringerten die Menschen aus eigenen Stücken und ohne staatlichen Zwang ihre Mobilität, wodurch der Reproduktionswert in allen untersuchten Ländern auf nahe 1,0 fiel, der darauffolgende Lockdown hat diesem Wert nur wenig hinzugefügt.

Dänemark stellte ein einzigartiges Experiment, indem benachbarte Gemeinden verglichen wurden, die in allen relevanten Parametern identisch waren. In einigen Dörfern wurde härtester Lockdown verhängt, in anderen nur moderate Einschränkungen, aber es gab keinen Unterschied in der Weiterverbreitung der Infektion.

Boris Kotchoubey, Cicero

Auf der Suche nach der Herdenimmunität

Ein fundamentales Thema der Polarisierung in der Gesellschaft waren die Impfung und insbesondere die Maßnahmen rund um die Impfung. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein – auch um der Polarisierung der Gesellschaft vertrauensbildende Maßnahmen entgegenzusetzen, dass eine transparente Untersuchung sich diesem Thema ebenfalls annehmen sollte.

Das erlösende Ziel der Herdenimmunität machte sehr früh die Runde. Im April 2020 war beispielsweise auf Spiegel Online zu lesen:

Der Covid-19-Ausbruch gilt erst als überwunden, wenn ein Großteil der Bevölkerung immun gegen das Coronavirus ist – entweder, weil ein wirksamer Impfstoff gefunden wurde, oder weil 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung eine Infektion durchgemacht und daraufhin Antikörper gegen das Virus gebildet haben. Dann, so nennen es Experten, gibt es eine Herdenimmunität.

Spiegel

An der Zuversicht, dass sich durch die Impfung eine Herdenimmunität erreichen ließe, kamen aber bald Zweifel auf, denn der Bevölkerungsanteil, der hierfür geimpft sein musste, stieg über die Monate immer mehr an.

Im Juni 2021 ging man noch von einer Impfquote von zwei Drittel, die für das Erreichen einer Herdenimmunität erforderlich seien.

Im August waren es dann 85 Prozent. Im November waren es sogar 90 Prozent.

Zu diesem Zeitpunkt strich der damalige RKI-Chef Robert Wieler das Wort "Herdenimmunität" aus seinem Vokabular, wie die Tagesschau berichtete.

Dennoch plädierte Robert Habeck vier Monate später im Bundestag für die allgemeine Impfpflicht, indem er forderte:

Stimmen Sie deswegen für einen Antrag, der die Herdenimmunität in Deutschland hochhält, damit wir das Virus besiegen können.

Robert Habeck