Corona-Proteste: Welche Gewalt nehmen wir wahr?

Seite 2: Eingabe von UN-Experten bereits im August 2021

Der UN-Sonderbeauftragte hatte bereits im August 2020 einen Aufruf mit Bitte um Beweismaterial veröffentlicht: "Es sind einige Videos verbreitet worden, die besorgniserregend sind. Es gebe Hinweise darauf, "dass möglicherweise Menschenrechtsverletzungen begangen wurden", schrieb er damals.

Melzer gibt an, dass ihm über einhundert Hinweise zu Polizeigewalt zugegangen seien. Die Zustellung von "Einsatzberichten und Einsatzanordnungen" der Berliner Polizei erfolgte derweil erst kürzlich, am 22. Dezember 2021.

Auch der nun verspätet vorliegenden Stellungnahme der Bundesregierung ist nicht viel Neues zur Sache zu entnehmen. Das Dokument mutet auf den ersten Blick wie ein Schulaufsatz an, der die "Kernaufgaben der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat" aufzählt.

Zu ihnen gehöre es, "friedliche Demonstrationen zu schützen", da die Versammlungsfreiheit in Deutschland durch das Grundgesetz geregelt sei und bewahrt werde. Auf die zahlreichen Einschränkungen dieser Versammlungsfreiheit im Zuge des Infektionsschutzgesetzes und anderer im Zuge der Coronapandemie erlassenen Verordnungen geht die Regierung im Einzelnen nicht ein.

Sie belässt es bei Allgemeinplätzen wie etwa, dass "alle Polizeibeamtinnen und -beamten in einer umfassenden Ausbildung bzw. einem Studium über den tatsächlichen praktischen Einsatz von körperlichen Zwangsmaßnahmen unterrichtet" würden.

Ihrer Stellungnahme zu den Einzelfällen stellt die Regierung lapidar voran, dass "eine übermäßige Gewaltanwendung durch Polizeibeamte gegenüber friedlichen Demonstranten in Deutschland nicht zu beobachten" sei.

Einzelfällen, in denen der Verdacht auf rechtswidriges oder unverhältnismäßiges Handeln von Polizeibeamten besteht, werde hingegen konsequent nachgegangen.

Diesem Anspruch wird im Folgenden kaum entsprochen. So äußert sie sich nicht weiter zu einer behördlichen Verbotsverfügung gegen alle Versammlungen der "Querdenker"-Bewegung in Dresden für den 17. April 2021. Aufgrund der vorliegenden Informationen und Erfahrungen mit ähnlichen Versammlungen in anderen deutschen Städten sei zu erwarten gewesen, dass die Teilnehmer die Covid-19-Schutzvorschriften, behördliche Auflagen und polizeiliche Weisungen nicht einhalten.

Zudem sei das Risiko für Teilnehmer, Polizeibeamte und Demonstranten angesichts der im bundesweiten Vergleich hohen und überdurchschnittlichen Infektionszahlen in Sachsen sowie der zunehmenden Verbreitung von Virusvarianten unkalkulierbar gewesen.

Massiver Einsatz gegen Demonstranten wird gerechtfertigt

Indirekt legitimiert die Regierung damit ein repressives Vorgehen gegen Menschen, die diese Versammlungsverbote als illegitim betrachten und gegen die Verordnung von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen.

Besonders bemerkenswert ist dabei die Bewertung des zweiten von sieben Fällen, die der UN-Sonderberichterstatter exemplarisch in seiner Anfrage vorgelegt hatte.

In einem in den sozialen Netzwerken kursierenden Video ist einem ersten Abschnitt zu sehen, wie ein Mann über einen weitgehenden menschenleeren Platz geht und aus dem Grundgesetz die Grundrechte laut vorliest.

In einem zweiten Abschnitt ist erkennbar, wie mehrere Polizeibeamte auf denselben Mann im Laufschritt zueilen und den offenbar Ahnungslosen rücklings attackieren, während dieser im Begriff ist, auf seinem Rad davonzufahren. Die Beamten reißen den Mann von hinten zu Boden und halten ihn minutenlang nach unten gedrückt, während er immer wieder getreten und anderweitig malträtiert wird.

Die Bundesregierung äußert sich zu dem Fall wie folgt:

Zur Durchsetzung des Verbots wurden polizeiliche Einsatzmaßnahmen durchgeführt. Bei diesem Einsatz wurde ein Bürger von Polizeikräften aus Nordrhein-Westfalen beobachtet, der lautstark das Grundgesetz verlas. Daraufhin bildete sich eine immer größer werdende Menschenmenge, was zu weiteren Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und die Corona-Schutzverordnung führte. Der Betroffene nahm unmittelbar Einfluss auf die Menschen, indem er mit ihnen interagierte. Damit initiierte er eine verbotene Versammlung. Es wurde die Gefahr erkannt, dass diese später in einen illegalen Aufmarsch ausufern könnte. Den wiederholten Aufforderungen der Polizeivollzugsbeamten, sein Verhalten zu ändern, kam der Betroffene nicht nach. Stattdessen versuchte die Person, sich der polizeilichen Maßnahme zu entziehen und mit dem Fahrrad zu flüchten. Um dies zu verhindern, wurde der Mann vorläufig festgenommen, um seine Identität festzustellen. Aufgrund seines Widerstandes musste die Festnahme unter Anwendung unmittelbarer Gewalt durchgeführt werden.

In einem Tweet kündigte Melzer an, die Antwort der Bundesregierung zu analysieren und infolge "zu überlegen, welche weiteren Maßnahmen erforderlich sein könnten".