Corona: Unerklärliche Effekte bei der Übersterblichkeit

Seite 2: Verlauf der Übersterblichkeit im Jahr 2020

Das Sterbegeschehen im Jahr 2020 ist gekennzeichnet durch zwei Coronawellen, eine relativ schwache Welle im Frühjahr und eine extrem ausgeprägte zum Jahresende (vgl. Abb. 3). Während der ersten Welle sterben dem RKI zufolge knapp 8.000 Menschen an Corona, während der zweiten Welle sind es (jahresübergreifend) 67.000.

Der plötzliche und starke Anstieg der Übersterblichkeit im Hochsommer dürfte auf die Hitzewelle in der 33. Woche zurückzuführen sein. In dieser Woche sind etwa 2.800 Tote mehr zu verzeichnen, als nach der Referenzkurve zu erwarten gewesen wäre. In den Corona-Sterbezahlen macht sich die Hitzewelle nicht bemerkbar.

Der Verlauf der Übersterblichkeit ist ansonsten eng verknüpft mit der Zahl der Coronatoten. Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Coronawelle stimmen die Kurven hinsichtlich der Höhe der Maximalwerte sowie des Zeitpunktes, zu dem diese auftreten, vollkommen überein. Das muss nicht zwangsläufig so sein, wie die nachfolgenden Jahre zeigen werden.

Die gute Übereinstimmung kann als Bestätigung für die Richtigkeit der Sterbedaten angesehen werden, also sowohl der ermittelten Übersterblichkeitswerte als auch der vom RKI veröffentlichten Corona-Sterbedaten.

Abbildung 3

Der Rückgang der Sterbezahlen in der zweiten Coronawelle setzt in der 52. Woche ein. Der Zeitpunkt fällt zusammen mit dem Impfbeginn in Deutschland. Aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens könnte man vermuten, dass das Impfen den Rückgang bewirkt hat, doch das trifft nicht zu. In der Studie "Über die Auswirkung der Impfung auf das Corona-Sterbegeschehen" habe ich zeigen können, dass die Sterbezahlen auch ohne Impfung zurückgegangen wären, weil das Infektionsgeschehen seinen Zenit überschritten hatte. Ein positiver Effekt auf die Corona-Sterbezahlen, der vom Impfen herrühren könnte, ist erst in der darauffolgenden dritten Coronawelle zu erkennen.4

Verlauf der Übersterblichkeit im Jahr 2021

Im Jahr 2021 stimmen die Verläufe für die Übersterblichkeit und für die Zahl der Coronatoten nicht mehr so gut überein wie 2020. Starke Abweichungen sind vor allem im Frühjahr und gegen Ende des Jahres zu verzeichnen. Im Frühjahr 2021 liegen die Übersterblichkeitswerte weit unterhalb der Zahl der Coronatoten, während sie im letzten Quartal des Jahres durchweg darüber und zum Teil sogar weit darüber liegen (vgl. Abb. 4).

Nach Überschreiten des Sterbemaximums in der zweiten Coronawelle beginnen die beiden Sterbekurven auseinanderzudriften. Sie entfernen sich so weit voneinander, dass die Übersterblichkeit, trotz zahlreicher Coronatoter, sogar hohe negative Werte annimmt. Was könnte den divergierenden Verlauf der Sterbekurven bewirkt haben? Das Impfen kommt als Ursache eher nicht in Betracht, da sich eine Reduktion der Zahl der Sterbefälle gleichermaßen in der Übersterblichkeit wie in den Corona-Sterbezahlen bemerkbar machen müsste.

Untersterblichkeitsphasen im Frühjahr sind hingegen häufig zu beobachten und werden meist mit ausgebliebenen Grippewellen in Verbindung gebracht. Im vorliegenden Fall kann die Grippe als Ursache allerdings ausgeschlossen werden, da die Basislinie grippefrei konstruiert worden ist (vgl. Abb. 1). Ausbleibende Grippewellen würden einen Übersterblichkeitsverlauf bewirken, der um die Nulllinie herum oszilliert, aber keine ausgeprägte Untersterblichkeit zur Folge haben.

Abbildung 4

Die Untersterblichkeit könnte jedoch eine indirekte Folge der vielen Coronatoten sein, die in der zweiten Welle zu beklagen waren. Wenn man davon ausgeht, dass viele Verstorbene bereits vor der Infektion sehr krank waren und unabhängig von Corona, nicht mehr lange gelebt hätten, dann könnte die Infektion dazu geführt haben, dass viele dieser Menschen einige Wochen oder Monate früher (an oder mit Corona) gestorben sind, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Als Folge davon wäre nach Abklingen der Sterbewelle mit einem starken Rückgang der Übersterblichkeit zu rechnen, der durchaus in eine Phase der Untersterblichkeit münden könnte. Grundsätzlich würde die Untersterblichkeit in solch einer Situation umso stärker ausfallen, je mehr Menschen der Infektion zum Opfer gefallen sind und je höher der Anteil derjenigen ist, die auch ohne die Infektion nur noch kurze Zeit gelebt hätten.

Die Zeitspanne zwischen dem Höhepunkt der Übersterblichkeit und dem Höhepunkt der Untersterblichkeit könnte dann als Hinweis auf die verlorene Lebenszeit durch Corona gedeutet werden.

Ein solcher Erklärungsansatz würde voraussetzen, dass es sich bei den meisten Verstorbenen um alte und gesundheitlich stark geschwächte Menschen handelt. Und beides ist tatsächlich der Fall. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen liegt mit 83 Jahren etwa drei Jahre über dem allgemeinen Sterbealter in Deutschland und mittels Obduktion sämtlicher Coronatoten in Hamburg hat Professor Püschel bereits 2020 herausgefunden, dass fast alle Verstorbenen mit einer oder mehreren Vorerkrankungen belastet waren.5 Das stützt die These, dass die hohe Untersterblichkeit eher eine Folge der vorhergehenden hohen Übersterblichkeit ist, als dass sie von einer ausgebliebenen Grippewelle herrührt.

Ganz anders stellt sich das Sterbegeschehen zum Jahresende hin dar. In den letzten vier Monaten des Jahres übertrifft die Übersterblichkeit durchgängig die Zahl der Coronatoten. Da diese Situation über mehrere Monate andauert, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie dem Zufall geschuldet ist. Wahrscheinlicher ist, dass äußere Einflüsse den Effekt ausgelöst haben.

Am größten ist die Verlaufsdifferenz in der 48. Woche. In dieser Woche sterben fast 2.000 Menschen mehr als nach der Zahl der Coronatoten zu erwarten gewesen wäre. Das Statistische Bundesamt schreibt hierzu in einer Pressemitteilung6:

Für den zusätzlichen Anstieg der Sterbefallzahlen sind mehrere Ursachen denkbar: So können hier unerkannte Covid-19-Todesfälle (Dunkelziffer) oder die zeitliche Verschiebung von Sterbefällen innerhalb eines Jahres infolge der zum Jahresbeginn ausgefallenen Grippewelle eine Rolle spielen. Möglicherweise zeigen sich auch die Folgen verschobener Operationen und Vorsorgeuntersuchungen. Der Beitrag einzelner Effekte lässt sich allerdings derzeit nicht beziffern.

Die Vermutungen, die die Behörde anstellt, um die Höhe der Übersterblichkeit zu erklären, mögen zutreffen oder nicht. Was auffällt ist, dass eine Ursache, die als Erklärung durchaus infrage käme, gar nicht in Erwägung gezogen wird, nämlich das Impfen.

Dabei lassen sich gerade in dieser Zeit außergewöhnlich viele Menschen ein drittes Mal impfen. Seit der 36. Woche werden wöchentlich mehr als 100.000 Menschen geboostert und in der 45. Woche wird die Millionenmarke überschritten. Danach steigt die Impfkurve steil an und erreicht mit 6,4 Millionen Geimpften in der 50. Woche einen absoluten Höhepunkt.7

Zu keinem früheren oder späteren Zeitpunkt sind derart viele Menschen in so kurzer Zeit geimpft worden. Und bei keiner der vorhergehenden Impfkampagnen war das Unwissen um mögliche Folgewirkungen so groß wie bei den Auffrischimpfungen. Ob die Impfung für den Anstieg der Sterbezahlen verantwortlich ist oder nicht, lässt sich auf Basis des hier betrachteten Datenmaterials natürlich nicht abschließend sagen, aber der zeitliche Zusammenhang ist auffällig und beunruhigend.