Daily Wire: Angriff auf die Woke-Kultur

Seite 2: Die anonymen Konservativen Hollywoods

Für Jeremy Boreing, der das öffentliche Gesicht des Daily Wire als Unternehmen und maßgeblich für dessen Vorstöße in die Unterhaltung verantwortlich ist, schließt sich damit womöglich ein Kreis, der selbst Filmstoff sein könnte. Boreing ist inmitten von Schauspielern und Musikern aufgewachsen und als junger Mann nach Los Angeles gezogen, um in Hollywood Karriere zu machen. Er versuchte sich als Schauspieler, Autor und Produzent und wirkte tatsächlich an einer Reihe von Filmen mit, doch der große Erfolg blieb aus.

Dafür ergaben sich andere Perspektiven. Von 2011 bis 2016 leitete Boreing "Friends of Abe", ein mehr oder weniger geheimes Netzwerk von Konservativen in Hollywood, das zu einer kleinen vierstelligen Anzahl von Mitgliedern heranwuchs. Der Name ist angelehnt an "Friends of Bill", ein Codewort für die Anonymen Alkoholiker, die von William Wilson ("Bill") ins Leben gerufen wurden. Mit Abe ist der erste republikanische US-Präsident Abraham Lincoln gemeint. Die Friends of Abe dienten nach ihrer Gründung 2004 tatsächlich zunächst als eine Art Selbsthilfegruppe; Boreing erzählt von Neumitgliedern, die in Tränen ausbrachen, als sie durch das Netzwerk bemerkten, dass sie doch nicht ganz allein waren.Damals kursierte unter ihnen ein Witz:

Es gibt nicht viele von uns, aber das Gute ist, dass einer von drei Republikanern in Hollywood später einmal Präsident wird.

Mit dem Wachstum der Gruppe wurde die Stimmung selbstbewusster. Abgesehen von einigen führenden Köpfen blieben die Identitäten der Mitglieder streng geheim, was auch nötig war – das Outing als Konservativer wäre für viele in Hollywood nicht nur peinlich, sondern eine ernste Gefahr für die Karriere gewesen, und das Problem hat sich im Laufe der Zeit eher noch verschärft. Doch gleichzeitig wurde sich die Gruppe bewusst, dass sie eine politische und kulturelle Kraft darstellte, oder zumindest das Potenzial dazu hatte. Für republikanische Politiker mit Ambitionen gehörte ein Besuch bei den Friends of Abe schließlich zum Standardprogramm.

Auch der 2012 verstorbene Journalist, Autor und Aktivist Andrew Breitbart war in der Organisation aktiv und drückte ihr seinen Stempel auf. Er ist vor allem für sein Motto bekannt: "Politics is downstream from culture." Kultur ist demnach die eigentlich bestimmende Kraft der Politik. Wer die Politik verändern will, muss die Kultur verändern. So gesehen erscheint das Unterhaltungsprogramm des "Daily Wire" nicht als optionales Extra, sondern als Rückkehr zum Wesentlichen.

Konservative mit Lust auf Neues?

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson – der selbst beim Daily Wire unter Vertrag ist – sprach Boreing kürzlich in seinem Podcast auf eine Paradoxie an: In der Regel sind Konservative wenig kreativ. Psychologisch gesehen ist Kreativität Ausdruck des Persönlichkeitszuges, Offenheit für Erfahrung, der Interesse an Ideen und Ästhetik beinhaltet und stark mit linken politischen Orientierungen korreliert. Wie ist also der kreative Schaffensdrang beim konservativen Daily Wire zu erklären, die Lust, immer wieder Neues zu probieren, statt sich an das Erprobte und Bewährte zu halten?

Für Boreing spiegelt sich darin eine spezifisch amerikanische Art von Konservatismus, für die im Unterschied zum europäischen ein liberales, freiheitliches Moment ebenso grundlegend sei wie das bewahrende. Zudem sei das Projekt Daily Wire aus einem "besonderen Breitbartianischen kulturellen Augenblick" im Los Angeles der 2010er-Jahre geboren, für den auch die Friends of Abe stünden – eine Aufbruchstimmung unter einer speziellen Auswahl von Konservativen, die alle aus der Kreativwirtschaft kamen.

Doch Peterson spekuliert, dass der Auftritt einer frechen, rebellischen, kulturell interessierten Sorte von Konservativen auch mit der politischen Großwetterlage zusammenhängen könnte. In einer Kultur, die sich immer mehr auf ausgetretenen Pfaden bewegt und intolerant gegen Abweichung ist, fühlen sich Menschen mit hoher Offenheit beengt. Und wenn eine solche dominante Kultur eher progressiv ist, mag der eine oder andere Quergeist deshalb einen Sog in die entgegengesetzte Richtung verspüren.

Danach klingt eine frühe Aussage der "South Park"-Macher Trey Parker und Matt Stone. Sie sind dafür bekannt, in alle Richtungen auszuteilen, scheinen aber doch zuweilen härter mit der Linken ins Gericht zu gehen. Darauf angesprochen, erklärten sie 2006 in einem Interview, nach rechts zu neigen sei in Hollywood einfach rebellischer.