Damit zusammenpasst, was keiner braucht

Axel entdeckt XML und treibt mich damit zum Wahnsinn

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Neulich hatte ich einen furchtbaren Abend mit meinem Schwarztee-fixierten Freund Axel. Warum muss er auch dieses ganze Gerede von Konvergenz und XML glauben. Er tyrannisiert mich doch sowieso schon mit der wüsten Navigation seiner Webpage.

Aber nein: Das mit der Konvergenz ist eine tolle Sache, sagt Axel. Beispiel. Ich soll mir mal vorstellen, er würde seine Webpage jetzt komplett auf XML umstellen, dann könnte er mit der gleichen Datenquellen beliebig viele Ausgabemedien bedienen. In Echtzeit.

Ich denke an die quietsch-schweinernen Kummer-Primeln, mit denen Axel wichtige Sätze wie "Willkommen auf meiner Homepage, Sie sind der 000023. Besucher" einrahmt. Ich denke daran, dass ich dann der 24. Besucher via WAP-Handy bin und als 25. Besucher ein Gratisvideo von Axel auf meinem TV-Gerät zu sehen bekomme, mit der er den Gebrauch seiner Linkliste ("Alle Linksammlungen dieser Welt") über CD-ROM erklärt.

Könnte ich bitte eine große Tasse Schwarztee haben? Und das Tollste sei auch, dass durch diese wunderbare Idee der Entities mit einem Tastendruck zum Beispiel sämtliche Preise auf seiner Webpage geändert wären, oder alle Adressen. Mir war bisher nicht klar, dass Axel sich seine Schweineprimeln bezahlen lässt und alle seine Freunde spontan den Entschluss fassen, an den Gardasee zu ziehen. Nicht einmal, wenn Torbole zu Axel-freien Zone erklärt wird. Aber man kann ja über alles reden.

Und erst die unglaublichen Möglichkeiten, eine ganze Datenbank oder vielleicht sogar ein Warenwirtschaftssystem hinter die über jedes Medium erreichbare Website zu klemmen. Spitze. Auf diese Weise würde sich sogar ein Schraubensortiment von bis zu 500.000 Einzelteilen hervorragend verwalten lassen. Mobil, auch unter der Dusche.

Wenn Schrauben erst einmal locker sind, glaubt sich deren Besitzer meistens irgendeiner festen Überzeugung habhaft. Ich wagte kaum und schüchtern darauf hinzuweisen, dass die Gesamtheit seines Besitzstandes eben so gut über ein leicht modifiziertes Moorhuhnspiel verwaltbar wäre. Aber das ficht ihn jetzt nicht an.

Eine innere Stimme sagt mir, dass der gute alte Satz der nordtiroler Bergbauern hier nicht zieht: "Du erkennest die Sinnlosigkeit eines Dinges erst, wenn da gar drei Ellen Schnee darüber liegen oder Dein Nachbar ein Neues davon an den Zaun nagelt." Deshalb frage ich erst gar nicht, wo denn für Axel der Nutzen liegt, mit seinen privaten Laubsägearbeiten, die er liebevoll "Homepage" nennt, den Verkauf eines selbstgeschraubten Öltankers zu simulieren. Nein, da gehe ich viel hintergründiger vor.

Axel, stelle Dir vor: Tweety ist ein Vogel. Axel nickt. Wie Du weißt, können alle Vögel fliegen. Axel nickt und lächelt. Fliegen, toll. Tweety kann aber nicht fliegen. Stille. Andauernde Stille. Axel denkt nach, nippt am Assam und runzelt seine Stirn. Nein, Axel, Tweety ist nicht krank. Nein, er ist auf jeden Fall ein Vogel. Triumph leitet sich hier durch einen tiefen Atemzug ein: Tweety ist nämlich ein Pinguin.

Axel schweigt, schaut mich an wie einen nordtiroler Nachbarn beim Zaunnageln, murmelt hässliche Adjektive. Ich bin am Ziel, ich überwältige ihn mit: "Das nennt der Kenner nichtmonotones Schließen". Highscore. Was das denn jetzt schon wieder sei! Nun, ich lehne mich gemütlich zurück: Die Welt, lieber Axel, entwickelt sich ständig weiter. Wenn man also glaube, man könne seine Umwelt in logische Regeln gießen, dann könnte am nächsten Tag etwas eintreffen, an das man mit dem Stand von heute noch nicht denken konnte. Das gesamte Bezugssystem könnte sich von einem Tag auf den anderen ändern. Axel solle sich doch zum Beispiel bitte mal ein Erdbeben vorstellen.

"Erdbeben können auch nicht fliegen, ich weiß."

Gut, anders: EDV-Menschen neigen dazu, die Ordnung in der Welt zu suchen und diese daran einzuteilen. Andere hingegen lassen sich gemeinerweise immer etwas einfallen, an das EDV-Menschen eben vorab nicht gedacht haben. Tweety zum Beispiel. Da rührt sich Widerstand. Der Abend geriet zusehends in Schieflage. Das sei alles ein übles Klischee mit diesen EDV-Menschen. Axel nestelte nervös an seinen 5 Kugelschreiber herum, die regelmäßig Tinte an seine karierten Hemden schmieren, fuhr sich durch's fette Haar und schob eine äußerst aggressive Tina Turner CD in seine 500 Watt Anlage. Gelaufen: Wir verabschiedeten uns höflich unter Umgehung eines Duells. Die Welt ist nicht konvergent, sie ist schlecht.

Axel ist der eben der festen Meinung, dem sei alles nicht so. Seine Webpage sei ein klar definiertes EXCEL-Sheet mit deutlichsten Regeln. Eben nach seinem Ebenbilde geschaffen. Also hat er jetzt alle seine Daten konvergent auf der Benamung von Primeln aufgebaut. 500.000 Namen wären theoretisch denkbar. Alle verfügbaren zeigen heute schon per Datafeed die Echtzeitpreise vom Blumenmarkt in Rotterdam an. Über Handy kann man jetzt sogar eine Webcam auf seine Balkon-Primeln steuern. In Echtzeit. Und wer sich ein PDF von seiner Navigation über WebTV ausdrucken will, kann das auch tun. Theoretisch zumindest.

Aber ein voller Erfolg: Immerhin 000034 Besucher haben (inkl. Axel) diesen Service schon genutzt. Na also.