Das Artensterben geht ungebremst weiter

Auf der 7. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt war die Nutzung genetischer Ressourcen ungelöstes Streitthema zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, aber es wurden auch erstmals konkrete Schritte zum Schutz der Artenvielfalt beschlossen

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Zwölf Jahre nach dem bahnbrechenden UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro geht das Artensterben in Flora und Fauna ungebremst weiter. 20.000 bis 60.000 Arten sollen Jahr für Jahr unwiederbringlich vom Angesicht des Planeten verschwinden. Dem sich seit Rio herausbildenden internationalen Umweltrecht fehlt bisher der Biss. Daran hat auch die 7. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt nichts Grundsätzliches geändert, die am Samstag in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur zu Ende ging.

Das mag auch am mangelnden öffentlichen Interesse in den auch hier das internationale Geschehen dominierenden Industriestaaten liegen. Ist schon das Wissen um die geläufigeren globalen Umweltprobleme wie die Klimaveränderungen eher gering und die öffentliche Aufmerksamkeit längst abgestumpft, so fristen internationale Verträge wie die Artenschutzkonvention erst recht ein Schattendasein.

Zu unrecht, geht es doch mitnichten nur um ein paar Käfer oder auch Schneeleoparden und Pandas. Das rasante Aussterben hat längst die Ausmaße einer globalen ökologischen Krise angenommen, wie sie nur vergleichbar ist mit Ereignissen, die vor ca. 60 Millionen Jahren zum Aussterben der Dinosaurier führten. Erforscht und wissenschaftlich beschrieben hat man bisher rund 1,75 Millionen Arten verschiedenster Lebewesen, aber die Biologen sind sich einig, dass sie erst einen kleinen Ausschnitt des genetischen Reichtums kennen. Schätzungen reichen von 13 bis 100 Millionen Arten, die den Planeten von den tiefsten Rissen der Erdkruste bis in die höhere Atmosphäre besiedeln.

Diese ungeheure Vielfalt ist in Krisenzeiten Garant dafür, dass sich rasch neue, an veränderte Lebensverhältnisse angepasste Arten entwickeln können. Außerdem sind Biosphäre und Klimasystem zu einem wechselseitig abhängigen Ganzen verwoben, dessen Stabilität höchst wahrscheinlich mit seiner Komplexität korreliert. Soll heißen: Umfangreiches Artensterben könnte das System Erde anfälliger für Störungen wie die Emission von Treibhausgasen machen.

Noch unmittelbarer ist die direkte und indirekte Gefahr für die Ernährung der Menschheit. Vor allem viele Fischbestände sind wegen Übernutzung und Zerstörung ihrer Lebensräume akut gefährdet. So wurde am Wochenende in Australien eine Studie veröffentlicht, nach der Meeresspielanstieg und Erwärmung des Oberflächenwassers bis zum Jahre 2050 das Great Barrier Reef zerstört haben werden. Das fast zweitausend Kilometer lange Korallenriff an der Nordostküste des fünften Kontinents ist von herausragender Bedeutung für die regionale Fischerei, vergleichbar mit dem Wattenmeer der Nordsee, das ebenfalls bedroht ist.

Das rapide Verschwinden der Arten hat viele Ursachen, die aber alle mit dem Menschen zusammen hängen

Die Ursachen für das Verschwinden von Arten sind vielfältig: Die Abholzung der tropischen Regenwälder, die Industrialisierung der Landwirtschaft, die Überfischung der Ozeane, die Verschmutzung der Küstengewässer und andere menschliche Aktivitäten zerstören immer mehr Lebensräume von zum Teil hoch spezialisierten Lebewesen. Der Meeresspiegelanstieg, die Erwärmung der Ozeane, das Verschwinden des arktischen Eises und die Verschiebung von Klimazonen aufgrund der globalen Erwärmung setzen die Ökosysteme zusätzlich unter Stress. Das UN-Umweltprogramm UNEP schätzt, dass in den nächsten Jahrzehnten allein aufgrund des Klimawandels rund eine Million Arten aussterben werden.

Dass das verhindert werden muss, hatte man im Prinzip schon 1992 auf dem UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung unterschrieben. Die dort verabschiedete Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity) haben bisher 187 Staaten ratifiziert (mal wieder nicht dabei: die USA). Ziel der Konvention ist "die Erhaltung der Artenvielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Komponenten und das faire und gerechte Teilen des Nutzens der genetischen Ressourcen".

Besonders die Nutzung der genetischen Ressourcen war bereits im Vorfeld des Rio-Gipfels ein großes Streitthema und war es auch in den zwei Wochen der siebenten Vertragsstaatenkonferenz in Kuala Lumpur. Entwicklungsländer und Nichtregierungsorganisationen kritisieren die US-amerikanische und europäische Praxis, Patente auf Organismen zuzulassen. Immer wieder kommt es vor, dass sich pharmazeutische und Nahrungsmittelkonzerne in den besonders artenreichen tropischen Ländern Kenntnisse und Nutzpflanzen aneignen und die kommerzielle Nutzung monopolisieren, obwohl das Wissen zumeist von lokalen Gemeinschaften stammt, die leer ausgehen. Die Erklärung von Kuala Lumpur bekräftigte den Anspruch der Entwicklungsländer und indigener Völker, fraglich bleibt allerdings, ob sich beispielsweise Bundesumweltminister Trittin damit Zuhause gegenüber dem Wirtschaftsministerium wird durchsetzen können.

Ansonsten einigte man sich in Kuala Lumpur auf ein Arbeitsprogramm, das erstmals konkrete Ziele festschreibt, die bis 2010 erreicht werden sollen. Unter anderem sollen von jeden Ökosystem-Typ mindestens zehn Prozent erhalten und ein internationales Netzwerk von Schutzgebieten geschaffen werden. Auch sollen Gebiete mit besonderer Bedeutung für die Artenvielfalt identifiziert. Außerdem will man sicher stellen, dass keine Tier- und Pflanzenarten durch internationalen Handel gefährdet werden. Schließlich haben sich die Industriestaaten verpflichtet, mehr Mittel für den Artenschutz in den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen.

Im Rahmen der Artenschutz-Konvention wurde vor vier Jahren das sogenannte Cartagena-Protokoll über Biologische Sicherheit abgeschlossen, das den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen regeln und deren Ausbreitung verhindern soll, da sie eine weitere Bedrohung für die Artenvielfalt darstellen. Die Konferenz der Vertragsstaaten des Protokolls, bisher rund 90 Länder, schließt sich an das Treffen der Konventionsmitglieder an. Das Protokoll ist am 11.9.2003 in Kraft getreten.