Das Gehirn spielt mit

Ökonomisches Denken ist nicht nur rational, sondern sehr emotional, falls man unfair ist oder trickst

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"Strategisches Denken ist die Kunst, einen Gegner zu überlisten, der das gleiche mit Ihnen versucht." Mit diesem Satz beginnen A.K.Dixit und B.J.Nalebuff in ihrem Buch "Thinking Strategically: The Competitive Edge in Business, Politics and Everyday Life." Die Autoren beschreiben die Spieltheorie, für die John Nash, John Harsanyi und Reinhard Selten den Nobelpreis für Ökonomie 1994 erhielten. Danach ist das Handeln etwas durchweg Rationales, das in verschiedene Gewohnheiten aufgefächert werden kann.

Noch fehlte dem wissenschaftlichen Ansatz die messbare Wirklichkeit. Pokern oder Monopoly sind bekanntermaßen dramatische, nämlich emotionale Spiele, die nicht so recht in das rationale Konzept passen. Die funktionelle Magnetresonanztomographie in der Hirnforschung hat nunmehr Farbe ins Spiel gebracht und mehr noch, sie markiert die Zonen der kognitiven und emotionalen Aktivität.

Die neuesten Ergebnisse berichten Alan G.Sanfey und Kollegen von der Princeton Universität in Science. Die Psychologen und Verhaltensforscher ließen das "ultimative game" spielen, so wie es Martin Luther vor dem Reichstag tat: "Hier stehe ich, und kann nicht anders." Das Alles-oder-Nichts ist in Princeton mit Geld gespielt worden. Zwei Teilnehmer sitzen sich gegenüber und bieten wechselseitig den Gegenwert von 10 Dollar in unterschiedlicher Verteilung, beispielsweise 9 Dollar für mich, 1 Dollar für dich, oder 5 Dollar für mich und 5 Dollar für dich. Der Mitspieler entscheidet, ob er das Angebot annimmt oder ablehnt. Nimmt er an, bekommt jeder Spieler den angebotenen Betrag, lehnt er ab, gehen beide Spieler leer aus.

Es ist ein schnelles Spiel, weil den Versuchspersonen keine Zeit gelassen wird, lange nachzudenken (Credit Science)

Die Spieltheorie besagt, dass jeder Spieler gut daran tut, jeden Dollar anzunehmen, weil selbst der geringste Betrag besser ist als kein Gewinn. Dennoch wird im wahren Leben die niedrige Offerte als unfair empfunden und zurückgewiesen. Die Gründe für das unrationale Verhalten sind der Ärger über die ungerechte Verteilung oder der Wunsch, den anderen Spieler zu bestrafen: wenn er schon ein unfaires Angebot macht, soll er wenigstens nichts davon haben.

Um zu wissenschaftlich sauberen Lösungen zu kommen, haben die Experimentatoren getrickst. Alle zehn Spieler wurden miteinander bekannt gemacht. Danach setzte sich der Proband in den Raum des Kernspintomographen, während seine wechselnden Gegenspieler nur über den im Raum angebrachten Fernsehschirm sichtbar waren. In Wahrheit wurde der Versuchsperson das Bild des Mitspieler vorgegaukelt. Auf diese Weise realisierten die Forscher die statistisch erwünschte Verteilung der Gebote. Allerdings verglichen sie die Ergebnisse später stichprobenartig mit "wahren" Verhältnissen von Mensch zu Mensch.

Die in Princeton vorgenommenen Experimente fokussieren unter laufender fMNR auf die Unterschiede zwischen dem Akzeptieren, das als rationale Handlung verstanden wird, und dem Zurückweisen eines unfairen Angebots als der emotionalen Reaktion.

Das Spiel aktiviert beide Großhirnhemisphären. Unfaire Offerten kommen momentan dazu und erfassen eine Region, die als ACC (anterior Cingulate) bezeichnet wird. Diese Zuordnung des Konflikzentrums stimmt mit den Ergebnissen ähnlich gelagerter Untersuchungen anderer Arbeitsgruppen überein. Neu ist die Beobachtung, daß es keinen Unterschied macht, ob der Spieler eine unfaire Offerte bekommt, oder ob er selbst eine unfaire Verteilung anbietet.

Das rationale Entscheiden aktiviert beide Hirnzentren, die emotionale Komponente spiegelt sich hingegen im rechten präfrontalen Großhirn

Strategisches Handeln über das Verhalten bei Spielen zu analysieren, ist eine Kunst, die über ökonomische Fragestellungen hinausgeht. Die rechnerischen Ansätze können nicht darüber hinwegtäuschen, dass mathematische Logik und persönliche Entscheidungen auseinanderdriften, sobald Stimmungen dazu kommen. Nicht umsonst wird die Beherrschung, die sich hinter einem Pokerface verbirgt, als wesentliches Stilelement angesehen.

Unter dem rationalen Schirm der Einsicht, so die Theorie, vermeidet der Gebildete Fehler, indem er sich mit dem Gegner oder Partner zusammensetzt. Beide analysieren gemeinsam ihre Situation und streben durch Zu- und Abgeben wiederum eine rationale Lösungen an. Das momentan Unwägbare, die unzureichende Information etwa, oder das Eingehen eines Risikos, werden tabellarisch aufgeschlüsselt und in Formeln gegossen. Dieses Vorgehen begründet für die Ökonomen die Systemanalyse, nach denen Projekte vorlaufend bewertet und auf Wirtschaftlichkeit abgeklopft werden.

Natürlich wissen auch die Ökonomen, dass die Motive nicht immer rational sind und die Reaktionen Gefühle erzeugen. Die "feindliche Übernahme" signalisiert bereits begrifflich eine Bewertung, weil sie zwischen Angreifer und Verteidiger unterscheidet und damit über den Sympathiewert Stimmung macht.

Somit spielen in der täglichen Wirklichkeit, ob im Großen oder Kleinen, die Emotionen ein bedeutsame Rolle und greifen offensichtlich in den Entscheidungsprozeß ein. Obschon die Lokalisation klar geworden ist, weiß man doch wenig über die Gefühle, die von dort ausgehen. Oder sind es Gefühle, die ins Konflikzentrum projiziert werden?