Das Gesicht gewinnt die Wahl

Wer auf den ersten Blick als kompetent erscheint, hat die besten Chancen auf den Wahlsieg - diesen Befund stellen US-Forscher anhand von Gouverneurswahlen

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Der Posten des Gouverneurs ist in den US-Bundesstaaten einer der wichtigsten überhaupt - gleich nach dem Präsidentenamt So ist es kein Zufall, dass vier der fünf in den letzten 30 Jahren regierenden Präsidenten zuvor einen Bundesstaat regiert haben. Ganz billig sind die Lokalwahlen auch nicht - im Mittel ist ein deutlich zweistelliger Millionenbetrag nötig.

Man könnte deshalb mit einiger Berechtigung vermuten, dass auf die monatelange Präsenz der Kandidaten auf allen Kanälen eine wohlüberlegte Entscheidung des Wählers folgt - doch wenn dem so wäre, gäbe es natürlich diesen Artikel nicht. Tatsächlich hat nämlich ein Faktor starken Einfluss auf das Ergebnis, der sich auch mit noch so gut gemeinten Spenden kaum beeinflussen lässt: Das Gesicht des Kandidaten - und insbesondere, ob es auf den allerersten Blick Kompetenz ausstrahlt.

Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Studie, die Psychologen der Princeton University in den aktuellen Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) vorstellen. Dass wir bei einer Entscheidung solcher Tragweite eher nicht dem gesunden Menschenverstand folgen, hat das Forscherteam Charles Ballew und Alexander Todorov in drei interessanten Experimenten herausgefunden.

Ausdruck von Kompetenz im Gesicht

In Versuch Nummer 1 wurden den Testpersonen die Gesichter von Gewinnern und Zweitplatzierten bei 89 Gouverneurswahlen gezeigt. Unter Zeitdruck galt es, die Kompetenz der beiden Kandidaten zu bewerten. (Er-)Kannten die Testpersonen einen der Kandidaten, fiel die Antwort aus der Wertung - es ging allein um den Ausdruck von Kompetenz im Gesicht des Beurteilten. Tatsächlich hätte man sich allein damit schon alle Umfragen sparen können.

Im Mittel sagten die Testsubjekte mit 64-prozentiger Wahrscheinlichkeit des Ergebnis der Wahl voraus. Dabei gab es einen linearen Zusammenhang zwischen dem gefühlten Kompetenzunterschied der zwei Kandidaten und dem tatsächlichen Stimmenverhältnis bei der Wahl. Diese Werte wurden nicht signifikant davon beeinflusst, ob für die Antwort 100 Millisekunden, 250 Millisekunden oder unbegrenzt viel Zeit zur Verfügung standen.

Genau Nachdenken!

Experiment Nummer 2 baute in den ersten Versuch eine zusätzliche Schwierigkeit ein: Die Forscher schärften den Testpersonen ein, eben nicht auf ihr Bauchgefühl zu vertrauen und sich ganz genau zu überlegen, welcher Kandidat wohl der kompetentere sei. Dabei stellten die Wissenschaftler unterschiedliche Bedingungen: einmal sollte binnen zwei Sekunden geantwortet werden, ein anderes Mal waren die Gesichter nur für eine Viertelsekunde zu sehen, und ein drittes Mal stand alle Zeit der Welt zum Nachdenken zur Verfügung.

Der letzte Fall erreichte schon mal eines: Die Testpersonen ließen sich tatsächlich mehr als doppelt so viel Zeit. Um Vorurteile nicht in die Bewertung einfließen zu lassen, fragten die Forscher hier nur Wahlkandidaten des gleichen Geschlechts und derselben Hautfarbe ab. Die Aufforderung, genau nachzudenken, wirkte sich im Experiment offenbar ungünstig auf die Prognose des Wahlergebnisses aus - die Chance, das richtige Ergebnis zu treffen, lag nicht mehr signifikant über der Zufallswahrscheinlichkeit.

Die unbewusste Entscheidung

Was tatsächlich den Ausgang von Wahlen beeinflusst, folgern die Forscher, ist also die unbewusste Entscheidung, die die Kompetenz der Kandidaten aus ihrem Gesicht ablas. Diese Aussage stimmt mit den Veröffentlichungen anderer Forscher überein - die zum Beispiel schon zeigen konnten, dass das Nachdenken über die Qualität von Marmelade ebenso das unbewusste Urteil erschwert wie die bewusste Suche nach Gründen, warum man jemanden mag, dazu führen kann, dass der Grad des Mögens abnimmt.

In Experiment 3 kontrollierten die Wissenschaftler schließlich noch sich selbst - indem sie die Gesichter der Gouverneurskandidaten 2006 vor der eigentlichen Wahl beurteilen ließen - und das Resultat mit dem späteren Wahlergebnis verglichen. Tatsächlich ließ sich auf diese Weise das Ergebnis der Gouverneurswahlen mit knapp 69 Prozent Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Ballew und Todorov wählten für ihren Vergleich zwar das Merkmal der Kompetenz - sie betonen aber, dass abhängig von den Umständen der Wahl auch andere Charakterzüge entscheidend sein könnten. Wähler bevorzugten zum Beispiel in Kriegszeiten das (gemorphte) Gesicht von George W. Bush, während sie in Friedenszeiten am Gesicht von John Kerry mehr Gefallen fanden.