Das Modell Rojava
Seite 2: Zentrale Punkte des "Demokratischen Konförderalismus"
- Das Modell Rojava
- Zentrale Punkte des "Demokratischen Konförderalismus"
- "Die Quelle der Macht ist die Bevölkerung" - Die Gesellschaftsordnung
- Der Gesellschaftsaufbau und Parteien
- Das Verhältnis der umliegenden Staaten zu Rojava
- Hierarchische, antidemokratische Männergesellschaften
- Auf einer Seite lesen
Rojava besteht seit 2012. Sein Gesellschaftsmodell orientiert sich an Abdullah Öcalans Vorstellungen des "Demokratischen Konförderalismus". Seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer inhaftiert, wandte sich Öcalan dort ab vom marxistisch-leninistischen Revolutionsgedanken, der auf Umsturz und Machtübernahme abzielte, hin zu einem Modell einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft . Inspiriert wurde er vor allem von dem libertären amerikanischen Theoretiker Murray Bookchin.
Einige Auszüge aus Öcalans "Demokratischer Konföderalismus" 1 erläutern, was gemeint ist:
Diese Administrationsform kann als eine nichtstaatliche politische Administration oder als eine Demokratie ohne Staat bezeichnet werden. Demokratische Entscheidungsprozesse sind nicht zu verwechseln mit den von der öffentlichen Verwaltung bekannten Prozessen. Staaten verwalten nur, indes Demokratien regieren. Staaten gründen sich auf Macht; Demokratien basieren auf kollektivem Konsens. Ämter werden im Staat durch Ernennung bestimmt, selbst wenn sie teilweise durch Wahlen legitimiert sein sollten. Demokratien bedienen sich direkter Wahlen. Der Staat benutzt Zwang als ein legitimes Mittel. Demokratien beruhen auf freiwilliger Teilnahme.
Demokratischer Konföderalismus ist offen gegenüber anderen politischen Gruppen und Fraktionen. Er ist flexibel, multikulturell, antimonopolistisch und konsensorientiert. Ökologie und Feminismus sind zentrale Pfeiler. Im Rahmen dieser Art von Selbstverwaltung wird ein alternatives Wirtschaftssystem erforderlich, das die Ressourcen der Gesellschaft vermehrt, anstatt sie auszubeuten, und so den mannigfaltigen Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht wird.
Abdullah Öcalan
Demokratischer Konföderalismus und ein demokratisches politisches System
Im Gegensatz zu einem zentralistisch-bürokratischen Verständnis von Verwaltung und der Ausübung von Macht stellt der Konföderalismus eine Art der politischen Selbstverwaltung dar, bei der sich alle Gruppen der Gesellschaft und alle kulturellen Identitäten auf regionalen Treffen, allgemeinen Versammlungen und in Räten äußern können. Dieses Demokratieverständnis eröffnet den politischen Raum für alle Gesellschaftsschichten und berücksichtigt die Bildung verschiedener und vielfältiger politischer Gruppen. Auf diese Weise fördert es auch die politische Integration der Gesellschaft als Ganzer. Politik wird so zum Bestandteil des alltäglichen Lebens….
Die Schaffung einer funktionsfähigen Ebene, auf der alle Arten gesellschaftlicher und politischer Gruppen, Religionsgemeinschaften oder geistiger Strömungen sich direkt in allen regionalen Entscheidungsprozessen ausdrücken können, lassen sich auch als partizipative Demokratie bezeichnen. Je stärker die Beteiligung, desto stärker ist diese Art von Demokratie.
Abdullah Öcalan
Fazit
Der Demokratische Konföderalismus kann als eine Art Selbstverwaltung beschrieben werden im Gegensatz zur Administration des Nationalstaats. Dennoch ist unter gewissen Umständen eine friedliche Koexistenz möglich, solange der Nationalstaat nicht mit zentralen Fragen der Selbstverwaltung kollidiert. Jede derartige Einmischung würde die Selbstverteidigung der Zivilgesellschaft hervorrufen.
Der Demokratische Konföderalismus befindet sich nicht im Krieg mit irgendeinem Nationalstaat, aber er wird Assimilationsbestrebungen nicht untätig zusehen. Ein revolutionärer Umsturz oder die Gründung eines neuen Nationalstaats schaffen keine tragfähige Veränderung. Auf lange Sicht können Freiheit und Gerechtigkeit nur innerhalb eines dynamischen demokratisch-konföderalen Prozesses erreicht werden. ...Der Demokratische Konföderalismus in Kurdistan ist gleichzeitig eine anti-nationalistische Bewegung. Sie beabsichtigt die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch die Ausweitung der Demokratie in allen Teilen Kurdistans, ohne die bestehenden politischen Grenzen infrage zu stellen. Ihr Ziel ist nicht die Gründung eines kurdischen Nationalstaates. Die Bewegung beabsichtigt die Etablierung föderaler, allen Kurden offenstehender Strukturen im Iran, in der Türkei, in Syrien und im Irak und gleichzeitig die Bildung einer übergreifenden Konföderation für alle vier Teile Kurdistans.
Abdullah Öcalan
In einer Erklärung von Cemil Bayik, einem wichtigen PKK-Führer, in der türkischen Tageszeitung "Radikal" vom 1.10.2014 wird deutlich, dass es den Kurden im Rahmen ihrer Autonomieforderungen im Prinzip darum geht, formal den gleichen Status zu erhalten, wie es z.B. Südtirol innerhalb Italiens hat: "…Es muss verstanden werden, dass die PKK nicht hinter einem Stück Erde oder einem Staat her ist. Wir wollen auch nicht die Kurden von allen anderen Völkern der Region separieren. Uns geht es um die Erschaffung einer demokratischen Gesellschaft, in welchem die Geschwisterlichkeit der Völker maßgeblich ist und in welchem jede Gruppe sich mit ihren Eigenheiten, ihrer Sprache und ihrer Kultur frei organisieren und Teil des Ganzen sein kann."
Am 19. Juli 2012 wurde der Grundstein für den Aufstand der Bevölkerung Rojavas gelegt. Sie "besetzte zunächst einige staatlichen Institutionen. Als die Militärkräfte des Regimes ausrücken wollten, um den Aufstand zu zerschlagen, merkten sie, dass ihr Vorhaben hoffnungslos war. Denn die Bevölkerung hatte sie bereits umstellt und weitere Verwaltungsgebäude des Staates eingenommen. So beschlossen die Männer des Regimes, die Stadt zu verlassen oder ihren Posten niederzulegen und als Zivilisten in der Stadt ihr Leben fortzuführen."
Am 6. Januar 2014 wurde ein Gesellschaftsvertrag für Rojava in Qamislo verabschiedet und am 18. Januar 2014 die demokratische autonome Selbstverwaltung ausgerufen. Im Mittelpunkt des Gesellschaftssystems steht die Kommune, analog zum Schweizer kantonalen Modell2:
Die Beschlüsse der Kommunen sind quotiert, das bedeutet, dass zur Entscheidungsfähigkeit, wie in allen Räten in Rojava mindestens 40% Frauen an der Diskussion beteiligt sein müssen. Hier werden die aktuellen Notwendigkeiten der Verwaltung, Strom- und Lebensmittelversorgung, aber auch gesellschaftliche Probleme, wie patriarchale Gewalt, Familienstreits…diskutiert und wenn möglich gelöst. Die Kommunen haben Kommissionen, die sich mit allen gesellschaftlichen Fragen befassen. Dabei geht es von der Organisierung der Verteidigung, der Justiz bis hin zur Ökonomie und dem Aufbau von eigenen Kooperativen, die von der Kommune getragen werden. Das können Bäckereien, Nähereien oder aber auch landwirtschaftliche Projekte sein. Ökologiekommissionen kümmern sich um die Sauberkeit der Stadt und ökologische Problematik.