Das Mysterium ist der spektakuläre Lebenszyklus
Das Zeitgefühl von Schmetterlingen ist präziser als ein menschliches Uhrwerk
Der Monarchfalter wandert jährlich 3000 und mehr Kilometer, indem er seine innere Uhr und den Stand der Sonne harmonisiert.
Ein Federgewicht, das Blättern gleich zu Hunderten und Aberhunderten auf Bäumen Platz findet, und wie Wandervögel die Sonne verdunkelt, wenn der Schwarm von den Sommer- zu den Winterplätzen oder zurück zieht: das ist der Monarch (Danaus plexippus). Holländische Siedler im Norden Amerikas prägten den volkstümlichen Namen, weil der handtellergroße Schmetterling (Flügelspannweite bis 10 cm) die Farben des holländischen Königshauses trägt.
Wie findet der Monarchfalter seinen Weg? Die Tiere kommen bis in den Norden Kanadas und besiedeln Nordamerika von der West- bis zur Ostküste, überwintern indes auf wenigen Hektar in der Sierra Madre Zentralmexikos.
Dass die Orientierung irgendwie nach der Sonne erfolgt, darin waren sich die meisten Wissenschaftler einig. Beobachtungen von Urquhart in den 80er Jahren und weitere Experimente mit markierten Monarchfaltern ließen vermuten, dass bisher nur die halbe Wahrheit gefunden wurde. Die ins Kalkül gezogenen Alternativen, Magnetismus etwa, die Orientierung am Oberflächenrelief oder gar selektive Lichteffekte, überzeugten nicht. Steven M. Reppert, Neurobiologe an der University of Massachusetts, und sein Team präsentieren in Science eine gut begründete allumfassende Lösung: den zeit-kompensierten Sonnenkompaß.
Das Konzept basiert auf dem zirkardianen Rhythmus, der sprichwörtlichen inneren Uhr. Steven M. Reppert faszinierten anfänglich Untersuchungen mit der Fruchtfliege (Drosophila), deren Zellen und Gewebe das Period (PER) Protein enthalten, welches zyklische Aktivitäten entfaltet. 1997 macht die Arbeitsgruppe von Hege ein überraschende Beobachtung: der von PER diktierte Rhythmus bleibt bis zu drei Tagen nach Entfernung des Drosophila-Kopfes erhalten. Anders als bislang für den Menschen angenommen, wird bei der Fruchtfliege die innere Uhr offensichtlich nicht vom Gehirn gesteuert.
Unter dem Eindruck dieser Forschungsergebnisse beginnen Steven M. Reppert und Mitarbeiter die Umwandlung des Monarchen vom Puppenstadium zum Schmetterling unter verschiedenen Belichtungsverhältnissen zu untersuchen. Der feste Tag-Nacht-Rhythmus und sogar völlige Dunkelheit lässt die Schmetterlinge zu den natürlichen Zeiten aus dem Kokon schlüpfen. Dauerlicht hingegen bringt die Entwicklung durcheinander. "Wie auch bei anderen Insekten wird die innere Uhr durch ständige Beleuchtung außer Kraft gesetzt," erklärt Steven M. Reppert, und weiter:
Mit der von uns geklonten PER cDNA und gekoppelten Polymerase-Reaktionen können wir für die unter den verschiedenen Bedingungen entwickelten Monarchen beweisen, dass die Rhythmik im Kopf der Schmetterlinge verloren geht, wenn sie Dauerlicht ausgesetzt sind.
Nun werden die Monarchen in einem von Mouritsen und Frost entwickelten Flugsimulator auf die fiktive Reise geschickt. Zuvor sind sie auf einen 12-Stunden Tag-Nacht-Rhythmus eingestimmt. Unter angenäherten Tagesbedingungen beginnen die Schmetterlinge nach Südwesten in Richtung Mexiko zu fliegen. Tiere, die einem um 6 Stunden verschobenen Rhythmus ausgesetzt werden, treibt es hingegen nach Südost. Die Winkeldifferenz, 115 Grad, entspricht der sechsstündigen Verschiebung, weil der Azimut der Sonne stündlich um 16-22 Grad zunimmt. Jene Schmetterlinge, die mehrere Tage unter konstantem Licht gehalten werden, fliegen hoffnungsvoll der Sonne entgegen, verlieren allerdings jedes Gefühl für die Richtung.
Weitere Untersuchungen mit und ohne UV-Filter lassen ferner erkennen, dass für den Schmetterlingszug die Ultraviolettstrahlung der Sonne notwendig ist. Hingegen, auch das beweisen die Forscher, funktioniert die innere Uhr ohne UV-Strahlen.
"Die Navigation des Monarchfalters hat mich interessiert, weil der Schmetterling im Unterschied zur Biene einen Weg wählt, den er zuvor nicht gelernt hat," verrät Steven M. Reppert als Motiv für seine Untersuchungen.
Jetzt möchten wir wissen, wie die innere Uhr in vier Dimensionen funktioniert - nicht nur als Zeittakt, sondern auch im Raum. Und dann ist da noch das genetische Make-up, denn die Wanderung der Monarchfalter bleibt auch weiterhin ein Mysterium.
Das Mysterium ist der spektakuläre Lebenszyklus.
Nach der Ruhepause in Mexiko paaren sich die Tiere im Frühjahr und beginnen ihre Reise in den Norden. Allerdings kommen nur die wenigsten dorthin. Bevor sie sterben, legen die Weibchen ihre Eier vornehmlich auf die Seidenpflanze (milkweed) ab. Der Generationswechsel kann sich wiederholen, so dass die Monarchfalter, die Ende Mai in Kanada eintreffen, Ur- oder Ur-Ur-Enkel jener Generation ist, die im September Kanada wieder in Richtung Mexiko verlässt. Die zuletzt gewachsenen Schmetterlinge entwickeln kräftige Flugmuskeln und reisen mit 70-350 Kilometern pro Tag gen Süden. In Zentralmexiko, 3000 m hoch, verringert die tägliche Kühle den Energiebedarf. So können die Tiere asexuell auf engem Raum aushalten, viele sammeln sich auf den Bäumen ihrer direkten Vorfahren. Im Februar entwickeln sich die Geschlechtsorgane, und die ersten Paarungen beginnen. Zugleich folgt der Exodus.
Das "Wie schaffen sie den Weg" ist nun erhellt. Steven M. Reppert und sein Team sind in der medizinischen Fakultät der Universität von Massachusetts beheimatet, was erwarten lässt, dass die Untersuchungen auf die innere Uhr des Menschen ausgedehnt werden. Ob die Vorbestimmung auch uns mehr treibt als wir vermuten?