Das "Nein" als anerzogenes Modell

Als Konzept klingt "Nein heißt Nein" reizvoll, birgt aber Tücken. Nicht zuletzt wegen der Erziehung - Teil 2

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Kinder lernen bereits früh, dass sie manche Wünsche eher "durch die Blume" äußern sollen, ein allzu forderndes oder direktes Auftreten führt meist zu Maßregelungen. Mädchen lernen zudem spätestens ab der Pubertät, dass sie bei romantischen Avancen nicht den Eindruck erwecken sollen, sie seien "leicht zu haben". Das bedeutet, dass die Spiele, die sich auch im Erwachsenenalter fortführen, beginnen, die gerade in Bezug auf die Romantik Verführung, gespieltes Entziehen, Beharrlichkeit und nicht zuletzt die hohe Kunst der Sprache ohne Worte mit sich bringen.

Von der englischen Oberklasse zu Geschäften mit Asiaten

Im Roman "For the Sake of Elena" von Elizabeth George wird die englische Erziehung der oberen Klasse skizziert. Christine Weaver, die Ehefrau eines bekannten Professors, wird hier als typisches Beispiel dargestellt. Perfekt aufgeräumtes Haus, perfekte Körperhaltung, stete Countenance sowie die Fähigkeit, sich ohne Worte auszudrücken, machen sie aus. In ihrer Welt, so lässt es sich sinngemäß nachlesen, sei schon das Heben einer Augenbraue vielsagend, Worte würden eher weniger gewechselt, weshalb sie sich auch in den dauerredenden Anthony Weaver verliebt.

Es ist die Tragik dieses Romans, dass der vermeintlich so extrovertierte Professor auch nur in seinem eigenen Konventionskorsett gefangen ist und die von ihm neuentdeckte Möglichkeit des Ausdrucks durch das Malen zu etlichen Gewalttaten führt. Letztendlich sind fast alle Protagonisten der Romanes, egal wie viele Worte sie machen, unfähig, ihre wahren Gefühle zu äußern oder sich außerhalb ihrer Konventionen zu bewegen.

Nicht nur in der englischen Upper Class sind solche Chiffren der Kommunikation anzutreffen. In asiatischen Kulturen wird oft ein entschiedenes "Nein" vermieden und durch vage Aussagen ersetzt. Diejenigen, die sich nicht rechtzeitig mit den kulturellen Eigenheiten der Gesprächspartner beschäftigten, sehen oft in dem "Wir werden sehen", "Wir werden darüber nachdenken" einen Grund zur Hoffnung, obgleich dahinter eine entschiedene Ablehnung stecken kann.

Ähnliche Erfahrungen lassen sich überall machen - die Gründe für eine solche Verfahrensweise sind vielfältig: Bequemlichkeit, Überlastung, eine Abneigung gegen den Anfragenden oder auch Mitgefühl, die vorgenannte Erziehung, die Unwilligkeit, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt mit der Anfrage und der Reaktion auf eine Absage zu beschäftigen oder auch schlichtweg Gehässigkeit. Dies trifft sowohl auf das Geschäftsleben wie auch auf den zwischenmenschlichen Bereich zu.

So wie also ein "Wir werden sehen" ein "Nein" bedeuten kann, kann ein "Nein" auch ein chiffriertes "Ja" sein. Das ist keineswegs eine Umschreibung dafür, dass die oft geäußerte Ansicht, Frauen würden immer ja meinen, wenn sie nein sagen, stimmt. Diese Ansicht wird oft eher als eine Art Rundumschlag gegen die Frauen genutzt, die dann als jene, die nur Spielchen spielen, tituliert werden (oder Schlimmeres). Es ist vielmehr eine Kommentierung des Umstandes, dass menschliche Beziehungen - egal welcher Kategorie - sich nicht nur auf das Gesagte beschränken, sondern dass die Dechiffrierung von Worten viel mehr als nur das Hören des Gesagten bedeutet.

Nachwirkender Jungfrauenkult

Wie im ersten Absatz angerissen, wird gerade auch weiblichen Personen das Direkte eher aberzogen. Im Bereich der Sexualität gilt es, das "Nein" möglichst lange aufrechtzuerhalten. Obgleich der Jungfrauenkult im christlichen Kulturkreis nicht so stark vertreten sein sollte, ist bei vielen Erwachsenen die Sorge, die Tochter könnte (vor)schnell "ja" zum Sex sagen, ihre Jungfräulichkeit verlieren oder gar schwanger werden, groß. Die erste Verabredung mit einem Jungen wird dementsprechend oft von Misstrauen und Vorverurteilung begleitet.

Es ist logisch, dass der Wunsch, es den Eltern recht zu machen und als gute, brave Tochter zu gelten, nicht gesellschaftlich geächtet zu werden, oft genug mit dem, was selbst gewünscht wird, kollidiert. Das "Nein" stellt insofern so manches Mal eher den Willen der Eltern dar denn des Mädchen selbst. Das aber bedeutet, dass das strikte "Nein heißt Nein" gerade auch für die Mädchen und Frauen, die innerhalb dieser Konventionen agieren, zum Bumerang werden kann.

Zeigt sich heutzutage so mancher Junge/Mann hartnäckig, könnte dies in nächster Zeit als ein Ignorieren des Willens betrachtet, somit also nach dem ersten "Nein" bereits das Thema als "erledigt" angesehen werden. Selbst wenn die Beziehung bereits geführt wird, bleiben manche den Konventionen treu und üben sich im chiffrierten "Ja", mal durch Betonung, mal durch Gesten Verhaltensweisen oder Mimik dann zu erkennen. Für die Beziehungspartner bedeutet dies, dass es schlichtweg auch Arbeit ist, diese Chiffren zu erlernen, sofern man sie nicht kennt, oder aber die Konventionen zu durchbrechen.

Binäres Zwangskorsett

Dass es denjenigen, die "Nein heißt Nein" befürworten, darum geht, wie sie sagen, Menschen vor sexueller Nötigung zu schützen, ist verständlich und auch ein hehres Anliegen. Neben der Tatsache, dass vor allen Dingen aber die Beweisbarkeit sich durch das bloße Verändern des Paragraphen im StGB nicht verändern wird, ist aber auch die Frage, inwiefern eine solch vereinfachte Sicht auf die sehr komplizierten Aspekte des menschlichen Zusammenlebens wirklich hilfreich sein soll.

Zwischenmenschliches ist, wie es ein Kollege formulierte, unscharf, es ist nur selten wirklich eindeutig und verschiedene Vektoren wirken in verschiedene Richtungen. Der Mensch agiert nur selten streng binär. Dies zu erwarten, hieße, ihn in ein Korsett zu zwängen, das alle Feinheiten, Mehrdeutigkeiten, jede Raffinesse und Verführung negiert.

Jede sexuelle Tat, die gegen den erkennbaren Willen des Opfers stattfindet, soll nunmehr unter Strafe stehen, und neben der Frage, wie im Zweifelsfall der Wille erkennbar wird, die eher Raum für Gutachterschlachten denn für neue Eindeutigkeiten mit sich bringt, ist eben auch wichtig, inwiefern schon eine Überredung strafbar sein sollte, ein Nichtverstehen einer Chiffrierung oder auch eine Beharrlichkeit. Um solche Probleme zu vermeiden, ist anzunehmen, dass sich manche eher aus der Beziehungsarbeit per se verabschieden. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass gerade jene profitieren, die schon bisher eher binär dachten und agierten.