Das Singapur-Paradies

Keine Angst, die Regierung ist bei dir

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Ich habe mich ein wenig schlau gemacht über meine neue Heimat Singapur. Ein ganz interessantes Thema für einen zügellosen Zyniker und Verschwörungstheoretiker wie ich es bin. Man muss nur auswählen, was man liest. Schön an Singapur ist, dass die Regierung diese Auswahl für einen durchführt. Hier lebt es sich leicht: keine Angst, die Regierung ist hier - und dort und überall.

Alles hängt zusammen

Singapore Press Holdings (SPH) gibt jede lokale Zeitung in allen vier offiziellen Landessprachen heraus. SPH gehört auch der Regierung. Die wiederum besteht aus einer Partei, der Volksaktionspartei (PAP - gegründet von Lee Kwan Yew, dem ersten Premierminister). So ist es die letzten 37 Jahre gewesen, seitdem Singapur ein unabhängiger Staat wurde. Dasselbe gilt für die Rundfunk- und Fernsehsender. MediaCorp, die auch dem Staat gehört, betreibt jeden Fernsehkanal und jeden Radiosender.

Doch jetzt finden Reformen statt, und die Regierung lässt Wettbewerb bei den Medien zu. Das ist gut, so werden SPH und MediaCorp nicht länger mehr ein Monopol auf ihren jeweiligen Markt haben. Um genauer zu sein, wurde MediaCorp erlaubt, eine Zeitung herauszugeben, während SPH Fernsehsender betreiben darf. Das ist die Reform im Stile Singapurs.

Da Satellitenfernsehen in Singapur verboten ist, gibt es als Alternative nur den Kabelsender SCV, der - man wird es vermuten - gemeinsam SPH, MediaCorp und einer dritten Firma, Singapore Technologies, gehört, deren CEO die Frau des gegenwärtig amtierenden Vize-Premierministers ist, der wiederum der Sohn des ehemaligen (und ersten) Premierministers Lee Kwan Yew ist. Das alles klingt so sehr nach 1984, dass man lachen muss.

Dann gibt es noch das: Tjong Yik Min, der frühere Leiter der Geheimpolizei (Internal Secret Department - ISD), ist der zweite Vorstand der SPH. Er war auch zur selben Zeit im Vorstand der Singapore Airlines wie in dem der zivilen Luftfahrtbehörde, die unter anderem den Flughafen betreibt. Ich schreibe "war", weil Tjong in "Pension" ging, nachdem Singapore Airlines versucht hatte, Ansett Australia zu übernehmen, und dabei Fragen über etwas für Singapur sehr Unübliches wie "Interessenkonflikte" aufkamen.

Das politische Dilemma

Um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich hier nur eine Kritik im Paradies äußere, muss ich sagen, dass Singapur so etwas wie ein politisches oder philosophisches Dilemma darstellt. Ich kam mit den geringsten Erwartungen hierher und stellte mir das Land als neofaschistischen Polizeistaat vor. Das denke ich bis zu einem gewissen Grad noch immer. Man muss nur einmal die Zeitungen mit einem auch nur annähernd kritischen Auge zu lesen versuchen - und wird dann einfach in Lachen ausbrechen. Die Nachrichten sind so offensichtlich gefiltert und manipuliert, dass man letztlich glaubt, ein PAP-Flugblatt, aber keine Zeitung zu lesen.

Dasselbe trifft auf die Fernsehnachrichten zu. Ich habe keinen Fernseher - gut, ich habe schon einen, aber er ist nicht eingesteckt -, aber es gibt welche in den Bussen, und natürlich senden sie die Nachrichten. Es genügt, wenn ich sage, dass ich mir demnächst für den Bus zwei Dinge kaufen werde: eine sehr dunkle Sonnenbrille und einen Walkman. So hört und sieht man das Böse wenigstens nicht.

Damit fasst man mit einem Wort die offensichtliche Haltung hier zusammen. Es ist nicht schwer, all das herauszufinden, und vielen Menschen scheint das Ausmaß der Macht der Regierung ganz bewusst zu sein. Doch gleichzeitig scheint das niemanden zu stören. Das ist der Grund für das Dilemma: der Lebensstandard ist ziemlich hoch, es gibt eine große Mittelklasse und den Menschen fehlt nichts. Es gibt weder Hunger noch auffällige Armut oder eine aufdringlich deutliche Korruption, wie man sie eine kurze Bus- oder Schiffsreise entfernt in Malaysia oder Indonesien findet. Alles funktioniert hier wirklich wie geschmiert, angefangen von der Ersetzung einer verlorenen Bankkarte oder eines Ausweises über das Ausleihen eines Buches von der Bibliothek oder der Einrichtung einer Telefonverbindung bis hin zu einer Nachfrage beim Finanzamt oder beim Anmelden eines Fahrzeugs. Überdies wird die Ausbildung sehr gefördert und unterstützt.

Kurz: das Leben hier ist gut oder scheint dies zu sein. Und können wir von unabhängigen Medien anderswo sprechen? Kaum, da sie alle miteinander verkuppelt sind und nur ein paar Unternehmen alle großen Zeitungen und Sender kontrollieren, unabhängig davon, ob sie von der Regierung oder nicht von ihr kontrolliert werden.

Ein glückliches Leben als wohlbehütetes (nicht zu dunkles) Schaf?

Derselbe Mist, nur unter anderem Namen. Und die Regierung hier hat einige politische Maßnahmen durchgesetzt, denen ich wirklich zustimme. Dazu gehört das COE (Certificate of Entitlement), das einem im Wesentlichen gestattet, ein Fahrzeug zu besitzen. Ausgestellt werden diese Zertifikate natürlich von der Regierung, aber nur in begrenzten Mengen, jedes Jahr 3 Prozent mehr. So kontrolliert die Regierung, wie viele Autos auf den Straßen sind, weswegen e wenig Verkehr und Luftverschmutzung gibt. Und das Beeindruckendste ist, dass ein COE nur 10 Jahre gilt. Dann wird es während einer Auktion an den Meistbietenden versteigert. Jeder kann bieten. Man kann dies im Internet machen oder an einem Bankautomaten. Wie hoch muss jetzt ein Gebot sein? 30.000 Dollar! Und das Beste ist, dass das COE für Motorräder nur 600 Dollar kostet. Das nenne ich eine gute Politik! Wenn sie den Menschen nur auch noch beibringen würden, wie man fahren muss ...

Natürlich gibt es hier auch Rauchgesetze (für Zigaretten). Singapur ist der erste Ort, an dem ich Leute gesehen haben, die ihre eigenen kleinen Aschenbecher mit sich herumtragen und die ihre Kippen nicht einfach auf die Straße oder ins Gras werfen. In Gebäuden darf nicht geraucht werden, nirgendwo. Wunderbar. Ist es also nicht wert, ein paar (nutzlose?) Rechte für offenbar sehr reale Vorzüge zu opfern? Ich denke, naja, vielleicht kann ich keine Opposition wählen (misstrauisch wie ich bin, habe ich sowieso auch woanders noch nie gewählt), aber verändert das wirklich irgendwo irgendetwas?

Für meinen zynischen Geist nicht. Okay, vielleicht nimmt hier die Regierung den zwangsweise verordneten Pensionsfond (CPF) und unterstützt damit Diktatoren in Indonesien und Burma. Aber welche anderen Regierungen führen keine schmutzigen Geschäfte aus? Und wann hat die öffentliche Politik jemals diese Tatsachen verändert? Man muss nur auf die benachbarten Länder schauen, um zu erkennen, dass eine gute Dosis eines (anscheinend) wohltätigen autoritären Stils a la Singapur nicht notwendig das Schlechteste sein muss, was den Menschen hier passieren konnte. Die Menschen scheinen ganz willig und glücklich als Schafe zu leben, so lange sie genug zu essen erhalten und nicht bemerken, wenn sie geschoren werden.

Also, ich weiß es nicht, weil es auf den ersten Blick schwer fällt, gegen das Singapur-Wunder, wie sie es hier nennen, etwas zu sagen. Wenn man aber andererseits einen kleinen Spaziergang durch Kleinindien unternimmt, wird man vielleicht einen kurzen Blick auf ein anderes Singapur werfen können. Warum halten sich die ganzen Inder, Tamilen und Menschen aus Sri Lanka in den Parks auf? Gibt es ein Konzert? Ein Festival? Raten Sie einmal.

Man muss sich nur all diese kleinen Häuser ansehen, die so aussehen, als würden sie gleich zusammenbrechen, mit ihren staubigen und zerbrochenen Fenstern, durch die hindurch man einige Lagerstätten im militärischen Stil erblicken kann, damit das Bild ein wenig deutlicher wird. Die Menschen sind auf den Straßen und in den Parks, weil in den Häusern zu wenig Platz ist, um sich dort aufzuhalten, wenn in einem Raum 20 Menschen leben. Und das ist vielleicht der Grund, warum all die Menschen, die Toiletten putzen, die Gehsteige säubern und auf Bauplätzen arbeiten, ein wenig dunkler als der durchschnittliche Bürger Singapurs sind. Vielleicht ist es daher gar nicht so schlecht, ein Schaf zu sein, so lange man kein schwarzes Schaf ist.

Aber noch einmal: Warum ist es wahrscheinlicher, dass ich Urdu oder Bosnisch mit jemanden spreche, der in Oslo eine Toilette putzt? Derselbe Mist, nur ein anderer Ort.

Just remember kids - democracy is only one letter from democrazy.

Der Autor, der unlängst nach Singapur gezogen ist, ist der Redaktion bekannt, hat es aber sicherheitshalber für ein weiteres glückliches Leben im Paradies vorgezogen, seinen wirklichen Namen nicht zu nennen. Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer