Das Spiel mit der Angst

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Ein Meisterdetektiv am Rande des Wahnsinns: "Batman: Arkham Asylum" verschiebt seinen Titelhelden endgültig in den Kosmos des H.P. Lovecraft.

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Grant Morrison stürzt Batman in seinem Comic "Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth" in einen freudianischen Albtraum. Wenig heldenhaft flieht der "Dark Knight" darin durch die Gänge des in Anarchie gestürzten Sanatoriums, getrieben von seiner eigenen Vergangenheit und der Verderbtheit der Insassen. Das jetzt auf Playstation 3, XBox360 und PC erschienene "Batman: Arkham Asylum" rehabilitiert Batman wieder als Held - aber nicht, ohne sich dabei auf den Kern der Figur zu konzentrieren.

Christopher Nolan hat es in "Batman Begins" bereits ausformuliert: Dieser Comic-Held ist keine Lichtgestalt, die mit gutem Beispiel Zivilcourage vorführt. Batmans wichtigste Waffe ist nicht sein "Batarang", sein Batmobil oder irgendein anderes der zahlreichen Gadgets, die der quietschbunte Adam West in der entsprechenden Fernsehserie aus den 60er Jahren aus dem Gürtel zauberte. Seine beste Waffe ist die Angst, die die Verbrecher vor ihm haben, bis er dann eben auf Scarecrow trifft, gegen dessen furchteinflößendes Gas auch Batman nicht viel ausrichten kann. Die Szenen mit Scarecrow sind vielleicht die beeindruckendsten Sequenzen in "Arkham Asylum": Der Übergang in die Halluzination findet stets langsam statt, Batman schleicht durch die Gänge, bis plötzlich seltsame Dinge passieren - Lichter gehen aus, Stimmen flüstern auf der Tonspur, und einmal friert sogar das Bild ein und auf dem Fernseher erscheinen Grafikfehler, der Sound bleibt in einer Sample-Schleife hängen. Kurz danach sehen wir eine verquere Welt aus der Perspektive des Jokers (gesprochen von Mark Hamill), in der Batman auf eine Bahre gefesselt in seine Zelle in Arkham gebracht wird, mit anderen Antagonisten in Doktorkitteln und Wärter-Uniformen. In diesen Anflügen von Wahnsinn durchbricht "Arkham Asylum" sogar die vierte Wand, macht das Scheitern zum Teil des gescripteten Spielgeschehens und erreicht somit eine Immersion, die nur wenig andere Spiele aufbieten können.

Kurz darauf findet sich Batman inmitten der Trümmer von Arkham Island wieder, Felsbrocken und eingestürztes Mauerwerk, das durch einen Vortex aus Nichts schwebt, im Hintergrund ein bildschirmfüllend großer Mond. Inmitten der Trümmer steht ein hochhausgroßer Scarecrow, der nach Batman Ausschau hält, und dessen Blick es fortan zu entkommen gilt. In diesen Szenen gelingt dem Spiel der Wechsel in eine 2D-Jump&Run-Spielmechanik so nahtlos, wie es zuletzt nur "Super Mario Galaxy" schaffte. Ziel dieser Abschnitte ist der gewaltige Scheinwerfer mit dem Batman-Logo am höchsten Punkt der Ruinen. Wenn Batman diesen auf den riesigen Scarecrow richtet, dann ist das die einzige Situation, in der das Licht zum Freund der Spielfigur wird.

Batman, der Terrorist

Batman ist viele Spiele in einem: An unzähligen Stellen ist es ein Actiontitel, in dem man einer Übermacht tumber Schläger gegenübersteht. Hier gilt es, Schläge zu Kombinationen aneinderzureihen, im richtigen Moment den nächsten Angreifer zu kontern und dabei den ganzen Tanz möglichst spektakulär aussehen zu lassen. An anderen, deutlich sparsamer auftretenden Stellen gibt sich Batman als Schleichspiel, ist aber wenig mehr als ein sehr liberales Puzzle: Gegen mit Schusswaffen bestückte Gegner hat auch der Mann im Cape im offenen Faustkampf wenig Chancen, also gilt es, diese einzeln aus dem Raum zu pflücken, ungesehen aus dem Schatten agierend. Dabei dienen Gargylenstatuen, die knapp unter der Decke die Wände des gotischen Gebäudes zieren, ebenso als Versteck wie Lüftungsschächte und mit Gittern abgedeckte Gräben unter dem Boden. Hier lauert der Spieler nun, wartet auf einen einzelnen Gegner und schaltet ihn blitzschnell aus, bevor er Gelegenheit zur Gegenwehr bekommen kann. Ein Knopfdruck, und Batman kauert auf dem nächsten Gargyl, beobachtet, wie die zuvor noch seelenruhigen Gangster jetzt aufgescheucht durcheinanderlaufen. Der Detective Mode, ein besonderer Kamerafilter, der den Spieler mit Metainformationen zum Spielgeschehen versorgt, registriert den steigenden Herzschlag der Gegner, die jetzt nicht mehr als "calm" - ruhig -, sondern nervös oder gar "terrified" - panisch - angezeigt werden. Da reicht auch das plötzliche Zischen eines Boilers, und schon fallen Schüsse, blindlings ins Gemäuer.

Spielmechanisch sind diese Raumpuzzles äußerst simpel. Es gibt eine Handvoll Möglichkeiten, einen Gegner ins Reich der Träume zu schicken, und knapp die Hälfte der Gegner im Spiel lassen sich in sorgsam abgepassten Momenten mit dem "Glide Kick" - dem herabschweben, zutreten und bewusstlos schlagen - ausschalten, ehe sich Batman zurück auf seinen Aussichtsgargyl hangelt. Bemerkenswert ist aber, wie es "Arkham Asylum" gelingt, den gesichtslosen und massenhaft auftretenden Gegnern Leben einzuhauchen: Zuerst, vollzählig, klopfen sie noch überhebliche Sprüche, was sie wohl tun werden, wenn sich Batman hierher traut. Der Letzte von ihnen schließlich wird panisch auf alles schießen, was sich bewegt und sich kaum noch aus seiner Ecke heraustrauen. Dabei handeln sie stets überraschend menschlich und - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - unberechenbar: Einen Einzelnen von den anderen zu isolieren ist im späteren Spielverlauf bemerkenswert schwierig, wenn sich die Gangster nur noch Rücken an Rücken durch die dunklen Gänge trauen. Auch folgen sie, ist der erste Gegner einmal überwunden, anscheinend nicht mehr gescripteten Patrouillenpfaden, sondern suchen selbstständig die Umgebung nach ihrem Gegner ab - ein Schläger, dem Batman gerade hinterherschleicht, um ihn lautlos auszuschalten, kann sich schon mal plötzlich umdrehen, wenn man es am wenigsten erwartet. Das Ergebnis ist das großartige Gefühl, denen da unten nicht nur hinsichtlich des Waffenarsenals überlegen zu sein, sondern sie wirklich mit einer Kopfleistung bezwungen zu haben. Batman war schon in "Batman Begins" der Terrorist unter den Comic-Helden, und "Batman: Arkham Asylum" formuliert diesen Aspekt noch weiter aus.

Gleichzeitig ist Batman aber auch in den Vorlagen immer mehr gewesen als nur ein mit allerlei technischen Spielereien und gutem Training ausgestatteter Multimilliardär. Der dunkle Ritter rühmt sich außerdem beeindruckender detektivischer Fähigkeiten, und dieser Teil seines Charakters ist es auch, der zu einer langen Liste von Superbösewichten geführt hat, deren Fähigkeiten - erst recht in einem actionbetonten Videospiel - nicht so leicht zu greifen sind. Der Joker mag ähnlich Gadget-versessen wie Batman sein, seine Gefährlichkeit bezieht er aber aus seiner Unberechenbarkeit und kriminellen Genialität. Auch Scarecrow ist physisch kein Gegner für Batman, sondern muss sich auf die Wirksamkeit seines Serums verlassen. Und der Riddler ist sowieso eher der schmalbrüstige Intellektuelle, dessen Rätsel und Fallen Batman beschäftigt halten sollen. Zum Problem wird dieses illustre Figurenarsenal, wenn es gilt, Bosskämpfe zu entwickeln, die abwechslungsreich, fordernd und entsprechend episch sein sollen. Der erste Gegner, auf den Batman trifft, ist dabei noch Bane, ein drogeninduzierter Mutant mit übermenschlichen Kräften (und wenigstens in den Comicvorlagen einer Batman ebenbürtigen Intelligenz), und der Kampf ist folgerichtig auch eine entsprechend geradlinige Prügelei. Auch Poison Ivy, die Öko-Terroristin, die mit Pflanzen sprechen und sie befehligen kann, ist eine solche Begegnung: Der Kampf mit ihr erinnert vom Spielprinzip an die Bosse in alten 2D-Sidescrolling-Spielen. Periodisch öffnet sich der undurchdringliche Panzer und gibt eine verwundbare Stelle preis. Während man nun allerlei Geschossen ausweicht, gilt es, oft genug zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um letztlich mit ausreichend Ausdauer Ivy in die Knie zu zwingen.

Mythos gegen rohe Gewalt

Enttäuschend sind aber die restlichen Begegnungen: Joker-Geliebte Harley Quinn schickt ihre Schläger voraus und fällt nach deren Überwindung in einer Zwischensequenz, Killer Croc bekommt zwar eine ausführliche, aber doch sehr repetitive Actionsequenz in der Kanalisation spendiert, ehe er - nur mit minimalem Zutun des Spielers - in einen Abgrund stürzt, und auch Scarecrow erledigt sich - nach Durchstehen der eingangs erwähnten Halluzinationssequenzen - quasi von selbst. Auch der Joker, immerhin der letzte Gegner des Spiels, versteckt sich hinter einer Variation des zuvor schon mehrere Male mit etwas schwächeren Gegnern gespielten Bane-Kampfes. Einzig dem Riddler gelingt es, seine Würde zu wahren und nie persönlich in Erscheinung zu treten: Seine Stimme ist es, die Batman immer wieder aus Lautsprechern verhöhnt, wenn der Spieler eines der zahlreichen auf der Insel versteckten Geheimnisse verpasst oder dann eben doch entdeckt hat.

Dieses Deus Ex Machina-Prinzip, welches die Bosskämpfe anleitet, findet sich auch sonst etwas zu oft in der Spielmechanik. In Ermangelung eines Tutorials blendet das Spiel den ganzen Verlauf immer wieder ein, welcher Knopf jetzt welchen Effekt hätte und wohl am Besten einzusetzen wäre. Eine schnelle Reaktion bleibt zwar noch Sache des Spielers, aber die Schwierigkeit des außerdem enttäuschend linearen Spiels leidet doch sehr darunter. Auch gibt es nie die Möglichkeit zur Auswahl, wie einer Gruppe von Schlägern begegnet werden kann: Entweder stehen sie breit in dem Gang, durch den Batman jetzt durch muss und erfordern eine geradlinige Prügelei, oder es gibt Gargylen und andere Verstecke, und sie sind auch ohnehin viel zu stark bewaffnet, um sie im direkten Kampf bezwingen zu können. Wenn das Spiel nicht will, dass man an dieser Stelle klettert, dann gibt es einfach keine Kletter-Hotspots im dennoch ausführlich gestalteten Dachgebälk. Damit verkommt "Arkham Asylum" an vielen Stellen zu einer Suche nach diesen Hotspots, anstatt es dem Spieler zu überlassen, die Umgebung tatsächlich zu analysieren.

"Batman: Arkham Asylum" ist ein Hybrid verschiedenster Genres: Während es Actionszenen mit nur etwas zu leichten Puzzles abwechselt (und die Abwechslung dabei dem Spieler leider stets vorschreibt), ist es in erster Linie bemerkenswert in seinem Szenario und seiner erzählerischen Strategie. Die Gefangenenrevolte in diesem "Asylum for the criminally insane" ist ein lokal begrenztes Event, und Arkham Island muss folglich zur ganzen Welt werden, samt eigener Mythologie. So befragt Batman über Funk immer wieder "Oracle", das ehemalige Batgirl, die jetzt querschnittsgelähmt in der Batcave dem Helden mit Rat und Tat zur Seite steht. "There is a plant growing deep below Arkham", sagt Poison Ivy einmal zu Batman, als dieser sie nach einem möglichen Gegengift gegen die Droge des Jokers fragt, und diese Textzeile samt ihrer epischen Formulierung macht deutlich, wie abgeschlossen dieses Irrenhaus ist, und wie gut die ebenfalls mystische Figur des Protagonisten hierher passt. Arkham, ohnehin eine Referenz auf H.P. Lovecraft, wird so zum Schauplatz eines Spiels, das den Wahnsinn der Insassen spürbar und den Spieler selbst zum Insassen machen will. Batman, das betont Joker immer wieder, und diese Idee leitet schon Grant Morrison zu seinem eingangs erwähnten Comic an, gehört viel eher hierher als in die Welt da draußen. Hier ist er unter seinesgleichen. Der Spieler aber ist eigentlich nur Zuschauer. Der Blick hinter die Spiegel aber gelingt so intensiv, wie es kaum ein anderes Spiel je schaffte. "Batman: Arkham Asylum" mag spielmechanische Schwächen haben. Die Erzählung und Präsentation aber ist ein Meisterstück.