Das System ist die Katastrophe

Seite 3: Illusionen der "schöpferischen Zerstörung"

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Mit einem immer höheren Produktivitätsniveau stiegen auch die gesellschaftlichen wie unternehmerischen Investitionen, die zu Aufrechterhaltung der Warenproduktion notwendig werden, während deren Beschäftigungseffekte immer geringer ausfallen. An diesen Tendenzen werden auch alle Illusionen zerbrechen, die unter impliziten Rückgriff auf das von Joseph Schumpeter ersonnene Theorem der "schöpferischen Zerstörung" einen konjunkturellen Neuanfang des Kapitalismus herbeisehnen.

Demnach würden die Unternehmen der regenerativen Energieerzeugung zu den "Krisengewinnlern" und "Profiteuren" des Nuklearbebens in Japan gehören. Auch die kurz nach dem Erdbeben in Japan rasant steigenden Aktienkurse von Unternehmen aus der regenerativen Energiewirtschaft könnten den Eindruck erwecken, dass hier ein neuer wirtschaftlicher Leitsektor am Entstehen ist, der die Transformation der energetischen Basis der Industriegesellschaften bewerkstelligen und der Kapitalverwertung neue Märkte erschließen könnte. Der Kapitalismus würde diesen Vorstellungen zufolge phönixgleich aus der verstrahlten Asche rund um Fukushima auferstehen.

Die gesamtgesellschaftliche Durchsetzung des Automobils, die "Automobilmachung" der führenden Industriegesellschaften (Das Ende des "Goldenen Zeitalters" des Kapitalismus und der Aufstieg des Neoliberalismus), brachte zuletzt solch eine umfassende Umgestaltung des gesamten Kapitalismus mit sich, die jauch zu einem ungeheuren konjunkturellen Aufschwung führte, der erst in den 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts erlahmte. Neue Produkte, die mit arbeitsintensiven, neuartigen Produktionsmethoden einhergingen, eröffneten der Kapitalverwertung neue Märkte, und sie ließen in vielen Industriestaaten Vollbeschäftigung – ja Arbeitskräftemangel – entstehen. Den Staaten flossen hierdurch die Steuermittel zu, mit denen die notwendige Verkehrsinfrastruktur geschaffen wurde, deren Aufbau nicht im Rahmen von Marktprozessen bewerkstelligt werden kann.

Doch genau solch ein notwendiger, grundlegender Umbau der energetischen Basis der Gesellschaft scheitert an den oben genannten Krisentendenzen: Bei dem heutigen Produktivitätsniveau kann die Produktion von Solarzellen oder Windkraftwerken keine vergleichbaren Beschäftigungseffekte zeitigen; und eine Anpassung der Energieinfrastruktur an den Bedarf der erneuerbaren Energien dürfte an den staatlichen Schuldenbergen scheitern.

Allein ein Atomausstieg würde, vorsichtigen Schätzungen zufolge, an die 200 Milliarden Euro kosten. Die Kosten für einen Umbau der energetischen Infrastruktur, der bei einer Durchsetzung der regenerativen Energieträger unerlässlich wäre, würden sich ebenfalls allein in der BRD auf hunderte von Milliarden Euro summieren. Das auf zentralisierte Energieerzeugung ausgelegte Stromnetz müsste eine totale Umstrukturierung erfahren:

Eine Stromwirtschaft mit Erneuerbaren als tragende Säule ist zudem ein technisch extrem anspruchsvolles Gebilde. Ihr Aufbau kommt einer technologischen Revolution gleich. Heute wird in jeder Sekunde so viel Strom produziert, wie gerade benötigt wird. Dieses System schafft es, die Schwankungen von Wind- und Sonnenenergie auszugleichen. Übernehmen sie die Führungsrolle, so gelten plötzlich ganz andere Grundsätze. Die Stromnachfrage muss sich dann danach richten, was gerade produziert wird. Dazu braucht man Stromspeicher, schlaue Geräte, die auf Preissignale reagieren, und intelligente Netze, die Strom in beide Richtungen schleusen können statt nur von Kraftwerk A zu Verbraucher B.

Financial Times Deutschland

Die hoch verschuldeten Staaten, die in der Krise mit "Abwrackprämien" die Automobilindustrie stützten und milliardenschwere Rettungspakete für die Finanzmärkte schürten, werden diesen finanziellen Kraftakt kaum schultern können. Eine zusätzliche Belastung der Konsumenten mit Steuern oder höheren Strompreisen kommt einer Senkung der Massennachfrage gleich.