Das Tagebuch des Universums

Seite 2: Von der dunklen Epoche bis zur kosmischen Aufklärung

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In der Geschichte des Universums gibt es die sogenannten "dark ages", nämlich die Zeit bevor die Sterne das Universum mit sichtbaren Licht beleuchtet haben.1

Dies muss ich etwas präziser erläutern: Die Hintergrundstrahlung stammt aus der Zeit, in der das Universum eine Temperatur von 3000 Kelvin hatte und 1100-mal kleiner war. Bei dieser Temperatur wurden die Elektronen in Atomen zum ersten Mal so gebunden, dass der "Elektronennebel" sich lichtete (das ist die Zeit der sogenannten "Rekombination"). Das Licht konnte nun an den Atomen vorbeifliegen und ist seitdem unterwegs - teilweise zu uns.

Allerdings können wir die Photonen der Hintergrundstrahlung nicht mit den Augen sehen, weil ihre Wellenlänge im Bereich von Mikrowellen liegt (wie oben erklärt). Es ist deswegen erstaunlich zu erfahren, dass die meisten Photonen im Universum trotzdem nicht von den Sternen stammen, sondern von der Hintergrundstrahlung! Wir sehen sie nicht, aber es gibt davon 413 in jedem Kubikzentimeter des Universums - viel mehr als sichtbare Photonen. Das Rauschen der Radiogeräte wäre Rauschen der Netzhaut, wenn die Hintergrundstrahlung noch im sichtbaren Bereich läge.

Allerdings verschob sich das Spektrum der Hintergrundstrahlung wegen der graduellen Expansion des Raumes, zunächst in den Infrarotbereich. Relativ kurz nach der Rekombination wurde das Universum dunkel (für unsere Teleskope im sichtbaren Bereich) und es dauerte Millionen Jahre bis sich die ersten Sterne bildeten und deren Licht das Universum wieder "aufklärte". Diese Zeitspanne bildet die "dunkle Periode" und ist besonders interessant, weil damals die ersten Galaxien entstanden sind. Aber gerade diese Epoche hat für die Astronomen wenige Photonen hinterlassen.

Problematisch für die Beobachtung jenes Zeitalters ist, dass das frühe Universum vor allem aus Wasserstoffwolken bestand. Heute würden wir gern die Verdichtung der damaligen Wasserstoffwolken sehen wollen, um die Entstehung der Galaxien zu verfolgen. Leider konnte mit der wenigen vorhandenen Strahlungsenergie Wasserstoff nicht zum Leuchten angeregt werden. Die Wasserstoffatome konnten Energie nur durch Kollisionen untereinander und durch Interaktion mit der Hintergrundstrahlung aufnehmen, aber das reichte nicht, um die kalten Wasserstoffwolken ausreichend zu "erwärmen".

Mit einer Ausnahme: Die vorhandene Energie reichte aus, um das einzige Elektron in einen erregten Spin-Zustand zu versetzen. Das Proton und das Elektron in einem Wasserstoffatom haben im energetischen Grundzustand umgekehrte Spins (die man als eine Art Ausrichtung der Elementarteilchen im Raum verstehen kann). Hintergrundstrahlung oder Kollisionen mit Atomen waren energetisch genug, um den Spin des Elektrons umzudrehen - beim Zurückfallen in den Grundzustand wird dann ein Photon mit einer Wellenlänge von 21 Zentimetern ausgestrahlt. Diese Photonen bilden heute das sogenannte "21cm-Spektrum". Freilich haben sich die 21 Zentimeter seitdem auf Grund der Rotverschiebung in Radiowellen verwandelt.

Wir können uns das Universum während des dunklen Zeitalters als vom Hintergrund beleuchtet vorstellen (in unsichtbaren Wellenlängenbereich). Die Wasserstoffwolken fallen dann als Netto-Aufnehmer von 21cm-Photonen, d.h. als Schatten in diesem Frequenzbereich, auf. Solche Signale von der viel stärkeren Strahlung der Milchstraße zu trennen, ist ein experimentelles Kunststück. Nach und nach haben aber die Wasserstoffatome mehr Energie aus Kollisionen und aus den in Entstehung begriffenen Sternen gewonnen. Die Wasserstoffwolken überstrahlten dann die Hintergrundstrahlung im 21cm-Spektrum. D.h. je nach Epoche gravieren die Wasserstoffwolken Schatten bzw. überbeleuchtete Stellen in die Hintergrundstrahlung ein.2

Im Laufe der Zeit hat sich der Schleier aus Wasserstoffatomen nach und nach gelichtet, weil diese Atome durch von Sternen ausgestrahlte Energie ionisiert wurden: Der Wasserstoffkern (ein Proton) hat sein Elektron verloren. Die resultierenden Protonen- und Elektronennebel (oder besser gesagt das Plasma) waren weniger effektiv, darin Licht zu streuen, als vor der Rekombination, weil sich das Universum inzwischen weiter ausgedehnt hatte. Das Universum wurde wieder einmal durchlässig für Photonen im sichtbaren Bereich: Diese Periode wird "Reionisierung" genannt und streckt sich bis auf tausend Millionen Jahre nach dem Urknall. Abb. 2 zeigt die Aufeinanderfolge des Urknalls, Rekombination, dunkles Zeitalter und das Zeitalter der Reionisierung.

Abb. 2: Der Urknall, gefolgt von der Rekombination (bei 380.000 Jahren) und Reionisierung (400 bis 1000 Millionen Jahren). Bild: NASA (Auf Deutsch übersetzt von FireSoulHC).

Das 21 cm-Spektrum

Die Kartierung der Absorptionslinie des Wasserstoffes im Bereich der Wellenlänge von 21cm (bei der Ausstrahlung) ist deswegen interessant, weil je besser das 21cm-Spektrum kartiert werden kann, desto besser können wir die Verdichtung der Wasserstoffwolken "im Dunkeln" verfolgen. So können wir z.B. überprüfen, ob das Verdichtungsmuster in der Hintergrundstrahlung wirklich die Blaupause für die Entstehung der Sterne geliefert hat. Mit anderen Worten: Mit dem 21cm-Spektrum können wir durch den Vorhang der dunklen Periode hindurchschauen und die Geschichte der Kindheit des Universums vervollständigen. Einige sehen in der Aufdeckung des 21cm-Spektrums den nächsten wichtigen Schritt in der Astronomie, jetzt wo die Hintergrundstrahlung sehr intensiv dokumentiert worden ist. Astronomen wetteifern heute um den Nachweis der Entstehung der ältesten Galaxien und Sterne in jener dunklen Periode.

Vor wenigen Tagen wurden die Ergebnisse der neuesten Analysen des 21cm-Spektrums bekanntgegeben.3 Die "Signatur" der Absorption durch Wasserstoff von Photonen mit 21cm Wellenlänge ist deutlich zu erkennen und deckt die Periode zwischen einer Rotverschiebung von 15 und 20 (als das Universum 16-mal bzw. 21-mal kleiner war als heute) ab. Seitdem hat sich die 21-Zentimeter-Wellenlänge in den Meter-Bereich, d.h. Radiowellen, gestreckt. Für die Messungen wurden Radioantennen in Australien verwendet, um Radiowellen aus der Erde möglichst zu umgehen.

Die Überraschung der Messung war, dass die ermittelte Temperatur der Wasserstoffwolken (die das 21cm-Spektrum erzeugt) niedriger als erwartet war. Die nun von Astronomen vorgeschlagene Erklärung ist, dass dies ein Nachweis für Verdichtungen von "Dunkler Materie" ist. Die Dunkle Materie scheint den Samen für die Entstehung von Sternen zu liefern, da Wasserstoff durch Gravitation konzentriert, aber gleichzeitig ausreichend abgekühlt werden muss. Da Dunkle Materie ausschließlich durch Gravitation mit normaler Materie mitwirkt, liefert sie ideale Verdichtungsstellen für neue Sterne. Aus der Rotationsperiode der Sterne in Galaxien wissen wir auch, dass dort mehr Materie als sichtbare Materie konzentriert ist. Der fehlende Teil in der Berechnung wäre die Dunkle Materie, wie sie schon vor Jahrzehnten vorgeschlagen worden ist.

Rennan Barkana hat gleichzeitig mit der Ankündigung der Messungen mit der Antenne in Australien eine Simulation der Verteilung des Wasserstoffs in einem Würfel von 384 Megaparsec vorgelegt.4 Seine Simulation erklärt die niedrigere Temperatur des Wasserstoffs unter der Annahme einer Einbettung der Baryonen (üblicher Materie) in Dunkler Materie. Allerdings ging das Bild als Messung durch die Presse, ist aber eine "seminumerische" Computersimulation. Es gibt jedoch Astronomen, die die niedrige Temperatur des Wasserstoffs mit der Interaktion der Materie mit Schwarzen Löchern erklären. Es ist noch zu früh, um diese Fragen zu klären.

Die "dunkle Seite" des Universums zu beleuchten, das ist die aktuelle Herausforderung für die Astronomie. Gewaltige Anlagen werden derzeit geplant, wie z.B. das "Square Kilometer Array", mit einer Sammelfläche von einem Quadratkilometer insgesamt, verteilt auf hunderte Parabolantennen. Im Jahr 2023 soll das SKA in Betrieb gehen.

Galileo schrieb über das Buch der Natur, das das Werk in der Sprache der Mathematik geschrieben sei. Das Tagebuch der Natur liegt aber für alle sichtbar am Himmel, offen für uns enträtselt zu werden.