Das Verdummen der Macht

Bild: © Lucasfilm Ltd. / The Walt Disney Company

Jedi für Jeden: "Star Wars: Die letzten Jedi" ächzt unter der Last, es allen recht zu machen

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"Star Wars: Die letzten Jedi" ist der achte Teil des von George Lucas begründeten Filmepos, und der zweite, seit Lucas die "Marke" "Star Wars" für vier Milliarden Dollars an den Disney-Konzern verkaufte. Regie führte der eher unbekannte Rian Johnson. Zum Team und zur Darstellerriege gehören neben vielen neuen Gesichtern auch alte Bekannte wie Mark Hamill ("Luke Skywalker") und die im Dezember 2016 verstorbene Carrie Fisher, deren Auftritt als Prinzessin Leia Organa ihre letzte Filmrolle war.

"Unwissenheit ist auch ein Recht", behauptete ein Filmverbraucherberater anlässlich des vorherigen "Star Wars"-Films, Teil VII. Was würde wohl Han Solo, lebte er noch, zu dieser Floskel und endgültiger Kapitulation der Filmkritik vor den Wünschen des PR-Apparats und "filmförderindustriellen Komplexes" (Harun Farocki) sagen?

Den Film zu entschlüsseln, nicht die kritische Reflexion zu codieren, ist Aufgabe jeder Kritik, die sich selbst achtet. Das Prinzip: Alle Jahre wieder: Laserschwert-Kämpfe, X-Flügel-Jäger, zerberstende Raumschiffe und Dialoge, die bedeutungsvoll von "der Macht" raunen - auch der neueste "Star Wars"-Film, der jetzt pünktlich zur Adventszeit ins Kino kommt, bietet all das, was zur Standardausstattung dieses Kino-Epos gehört.

Der neue Film, bei dem der nicht grundlos eher unbekannte Regisseur Rian - "Ich bin ein Fan, seit ich vier bin" - Johnson die Inszenierung übernahm, knüpft direkt an die Geschichte von "Star Wars VII: Das Erwachen der Macht" (2015) an und versucht, ähnlich wie der Vorgänger, die Bedürfnisse der Nostalgiker, die seit 1977 Lucas-Jünger sind, mit den Seherfahrungen einer neuen Generation zu verbinden, die härtere Bilder, schnelleres Erzählen und knalligere Effekte verlangen.

Das Verdummen der Macht (30 Bilder)

Bild: © Lucasfilm Ltd. / The Walt Disney Company

Das narrative Muster: Samplen, Springen, Driften, nie da bleiben wo man ist, immer an die Nebenhandlungen denken, verhäkeln, verknäulen, dann wieder auseinander, eins rechts, eins links, eins in die Mitte und dort den fünften Ball in der Luft nicht fallen lassen, puh! Mannomann. Die Handlung: "Zehn kleine Negerlein" - einer nach dem anderen. Raumschiffe explodieren, Komplikationen implodieren. Mein Gott, das dauert! Das ist ja zu fassen!!

Die Story vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen dem totalitären "Imperium", das sich nunmehr "Erste Ordnung" (oder "Erster Orden", englisch: "First Order") nennt, und den Rebellen, deren kurzzeitig errichtete Republik längst wieder zerbrochen ist, wird auf mehreren Ebenen erzählt, in diversen Parallelhandlungen, die selten bis gar nicht zusammengeführt werden.

Bereits die ersten Szenen zeigen die Evakuierung eines Rebellen-Planeten, gefolgt von einer gigantischen Sternenschlacht, die einen an "Dunkirk" denken lässt, und bei der es den Rebellen nur gelingt, sich durch Helden wie Poe (Oscar Isaac) und den Kamikaze-Selbstmordangriff einer asiatischen Pilotin zu behaupten. Kommandiert von Prinzessin Leia Organa (früh gealtert und wenn man's nicht wüsste, kaum wiederzuerkennen: Carrie Fisher) sind die Rebellen nun auf der Flucht.

Parallel dazu verfolgen wir den Versuch des zweiten Helden Finn (John Boyega), auf einem Waffenhändlerplaneten einen wichtigen Codeknacker zu finden und mit dessen Hilfe das Überwachungssystem der Bösen auszuschalten.

Jedi-Azubine

Der dritte Erzählstrang handelt von der Anrufung des Helden und der eigentlichen Hauptfigur, der jungen Rey (Daisy Ridley), die offensichtlich eine besonders innige Beziehung zur "Macht", dem alle Elemente pantheistisch verbindenden Fluidum des "Star Wars"-Universums pflegt. Im Auftrag der Rebellen hat sie Luke Skywalker ausfindig gemacht - die Älteren erinnern sich: Dies war die Messias-Figur der ersten drei "Star Wars" Teile (1977-1983), ein planetarischer John Boy Walton, der auf ewig im Schatten des charismatischen Han Solo stur seine öde Mission verfolgte. Der mittlerweile alt und grau gewordene Luke hat sich einen Vollbart wachsen lassen und auf eine karge Insel in mönchische Einsamkeit zurückgezogen.

Rey hat auch einen persönlichen Grund für ihren Insel-Trip: Sie fühlt etwas Diffuses in sich - "Something inside me has always been there. when I was awake, when I need help." -. das wir natürlich sofort als "die Macht" identifizieren, und will zur Jedi-Azubine werden.

Sie ist eine unsichere Figur, die sich selbst erst noch finden muss. Ein gespenstisches, surreales Spiegelbild-Erlebnis a la "Lady from Shanghai". Und die dann erklärt: "Galaxy may need a legend. I need someone to show me my place in all this." Ach echt?

Zunächst weigert Luke sich, Rey zur Jedi-Ritterin auszubilden, doch als er deren Talent erkennt, gibt er ein paar Kurse: "Breath! Breath, now reach out. What do you see?" - "Light, Darkness, a Balance."

Rey, die auf einem Müllplaneten in der Peripherie der Milchstraßen bei Pflegeeltern aufwuchs, sucht zudem mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Die Frage wird in diesem Film vertagt, doch man ahnt bereits, dass es sich womöglich um Han Solos Tochter handeln könnte.

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Der vierte zentrale Erzählstrang ist der von Ben Solo (Adam Driver), dem Sohn von Han und Leia, der im letzten Film zum Vatermörder wurde, und ein neuer Darth Vader werden will. Doch das ist nicht so leicht, denn auch das Gute schlummert noch in irgendeinem Kerker seiner geschundenen Seele. Daher verschont er diesmal im entscheidenden Moment seine Mutter, und hilft auch Rey, als sie schließlich Snoke, dem Kommandeur der Bösen gegenübersteht.

Das Dunkel der Macht wird diesmal außer durch Weiß-Schwarz-Kontraste auch noch durch knalliges Rot markiert, wodurch das Farbinventar des Faschismus komplett ist.

Disneyfizierung pur: Angst vor Experimenten

So hastet der Film pflichtschuldig dahin, sampelt all jene parallelen Schauplätze, die selten bis gar nicht zusammengeführt werden, neue und alte Figuren - Chewbacca, R2D2, C3PO, sogar Yoda - und Schauspieler aller Hautfarben und Generationen: Benicio del Toro hat einen Gastauftritt, Laura Dern ebenfalls, und Andy Serkis ist unter der Maske wie immer nicht zu erkennen.

Dazu kommen technologischer Fetischismus und die bekannten Eso-Dialoge - man könnte das alles ironisch nehmen, aber der Jedi-Kult um die "Macht" mit ihren hellen und dunklen Facetten ist für manche eine bierernste Weltanschauung. Die alten zentralen Musikthemen von John Williams tun ein Übriges, um das Publikum in andauernder Sicherheit über die Bedeutung der jeweiligen Szene zu halten.

So belastet die schwere Aufgabe der Erfüllung all der kaum zu vereinbarenden Zuschauerwünsche den Film. Manchmal ächzt er unter der Last der Anforderungen. Auch wenn die meisten der einzelnen Figuren für sich genommen interessant sind, unberechenbar sind sie nie.

Es handelt sich um lauter Verschnitte: Rey ist wie auch Jyn in "Rogue One" ein Princess-Leia-Verschnitt: Ein Girl, Ende Zwanzig mit braunem Haar, weil das auf der weißen Uniform besser aussieht als blond, das nach hinten zu Zöpfen gebunden ist. Poe ein Han Solo Verschnitt - nur leider zu brav, trotz schlechter Rasur. Und Ben ("Benjamin"?) Solo ein Darth Vader Verschnitt und wie dieser ein Schurke mit Narbe im Gesicht. Auch BB-8 ist nur ein rollender R2D2. Aus derlei Nachgeäffe kann nichts Klassisches draus werden.

Das ist Disneyfizierung pur: Vor Experimenten hat der Konzern seit jeher Angst, darum spürt man das Motto "Zurückhaltung um jeden Preis" und "Sicherheit zuerst" überdeutlich. Allemal wirkt er angespannt, die Pflicht erstickt jede Kür, es fehlen Leichtigkeit und Entspannung - nicht nur wenn die Handlung unverhohlen einer Opfertod-Bereitschaft der Helden das Wort redet - mehr Krieg und Pathos als Fantasy.

Die Macht ist mit den Familienbanden

Wie bei der Artus-Sage, bei Tokien, ist das, was altdeutsch: Blut, neudeutsch: die Gene, postmodern verschwallt: Körpergedächtnis heißt, wichtiger als alle Erfahrung, Erziehung, Bildung, der Kopf.

Bild: © Lucasfilm Ltd. / The Walt Disney Company

Wir haben es bei Star War mit einer Variante von "Dynastie" zu tun, mit der Geschichte ein paar weniger elitärer Sippen. Nicht jeder kann Jedi und Weltretter werden, sondern nur die Kinder und Kindeskinder der alten Schachteln und Säcke. Da spiegelt das "Star Wars"-Universum das amerikanische, das Land der Bushs und Clintons, und des Trump-Prinzips: Die Macht ist nicht mit Dir und mir, sondern mit den Familienbanden - wie in der Renaissance.

Auch sonst gibt es kaum Handlungsfreiheit: Die Figuren können allenfalls wollen, was sie müssen, die Geschichte ist unausweichlich vorbestimmt - aus "Star Wars" wird "Der Herr der Ringe", statt Fortschritt droht in der Geschichte die ewige Wiederkehr des Gleichen: Ein bemerkenswertes Pop-Phänomen, das eine Zeit spiegelt, in der der Westen den Glauben an Fortschritt und unendliche Selbstverbesserung verloren hat, in der die Menschen sich "von unüberschaubaren politischen und wirtschaftlichen Dynamiken - und zum Teil auch bereits von undurchschaubaren 'Mächten' bestimmt sehen. Wie im Naturalismus oder in der antiken Tragödie kann man jetzt auch im "Star Wars"-Universum seiner Bestimmung, seinen Deformationen nicht mehr entkommen." (SZ)

Die Zukunft?

Die Ambivalenz der Figuren ist somit nur behauptet. Ein Problem ist zudem, dass dem arg vorhersehbaren Film genaugenommen jede Spannung fehlt. Man weiß nicht nur, wie es ausgeht, sondern auch was auf dem Weg dahin passiert. Nur zwei, drei Überraschungen peppen das letzte Drittel etwas auf, ansonsten Fehlanzeige.

Vielleicht ist es ja wirklich so, wie die etwas unsachliche, narzisstische und Dietmar-Dath-haft verpeilte, aber ganz hervorragend zu lesende Autorin der "Süddeutschen" schreibt, dass dem aktuellen Science-Fiction "irgendwie die Zukunft abhanden gekommen ist". Wobei natürlich "Star Wars" noch nie etwas mit Science-Fiction zu tun hatte, noch weniger als "Star Trek". Mit Zukunft aber natürlich schon.

So ist "Star Wars: Die letzten Jedi" ein aseptischer Film, allzu kalkuliert in dem Bemühen, es allen recht zu machen. Formatisiertes Fortsetzungskino, das vielleicht in der Gegenwart noch Geld machen kann - die Zukunft des Kinos wird der Film nicht prägen.

"It's time for the Jedi to end."

Von wegen! Spätestens in zwei Jahren soll Teil 9 ins Kino kommen.