Das Vorbild Jugoslawien – von der Krajina zu Donezk und Lugansk
Seite 3: Jugoslawien und die Ukraine
In der westlichen Haltung gegenüber dem heutigen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine findet man all das wieder. Nachdem die Ukraine 2014 durch den Putsch auf dem Kiewer Maidan politisch aus dem Gleichgewicht zwischen West und Ost gebracht worden war, begann sich die russischsprachige Minderheit gegen die nun einsetzende politische und kulturelle Unterdrückung zu wehren.
Im Süden und Osten des Landes kam es zu Protesten, die bürgerkriegsähnliche Ausmaße annahmen. Im April 2014 gründeten sich die an Russland anlehnenden Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Die Parallelen mit der Serbischen autonomen Republik Krajina in Kroatien und der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina sind offensichtlich.
So wie die beiden Gebiete in Jugoslawien nur von Serbien unterstützt wurden, so wurden die beiden Volksrepubliken nur von Russland anerkannt. Die Gründe, die zu ihrer Entstehung geführt hatten, die politische und gesellschaftliche Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung, interessierten im Westen jedoch kaum jemanden.
Versuche Deutschlands und Frankreichs im sogenannten Normandie-Format zu vermitteln, blieben erfolglos. Die Regierung in Kiew erfüllte die von ihr im Minsker-Abkommen abgegebenen Verpflichtungen nicht, sie weigerte sich sowohl diesen Gebieten eine gewisse Autonomie zuzugestehen, noch ließ sie dort Wahlen zu. Sie setzte stattdessen auf Rückeroberung.
Die ihr seit 2014 von den USA, aber auch von den Staaten der EU gelieferten Waffen ließ sie darauf vertrauen, die abtrünnigen Gebiete bald wieder eingliedern zu können. Es begann ein überaus blutiger Abnutzungskrieg der Ukraine gegen die beiden abtrünnigen Gebiete mit bisher mehr als 14.000 Toten.
So wie der Westen in den jugoslawischen Bürgerkriegen nie ein Problem darin sah, mit kroatischen, bosnisch-muslimischen und albanischen Ultranationalisten und Rechtsradikalen zu kooperieren, so hält er es heute mit solchen Kräften in der Ukraine.
Die Rolle des offen mit faschistischer Symbolik für sich werbenden Bataillons Asow bei der Verfolgung und Tötung Russischsprachiger wird verharmlost oder gleich ganz geleugnet. Ignoriert wird, dass der in Russland, aber auch in Polen und in Israel als Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher geltende Stepan Bandera in der Ukraine ganz offiziell zum Nationalhelden erklärt wurde. Viele Straßen, Plätze und Gebäude sind nach ihm benannt, und die ukrainische Post ehrte ihn mit der Herausgabe einer Briefmarke mit seinem Konterfei.
Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine ist jetzt allerdings ungewiss geworden, ob der Konflikt in der Ukraine auf ähnliche Weise zugunsten des Westens gelöst werden kann, wie es ihm seinerzeit in Jugoslawien gelang. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat diesen Unterschied am 8. März 2022 in einem Kommentar in aller Offenheit benannt:
Serbien fiel man in den Arm, weil das ohne größere eigene Verluste möglich war. Das Land ließ sich vergleichsweise risikolos bombardieren. Mit Blick auf Russland liegt der Fall anders. Der Westen will durch Nichteinschreiten größere (eigene) Opfer vermeiden.
Selten wurde so offen das Kalkül des Westens offengelegt.
Andreas Wehr ist Mitbegründer des Marx-Engels-Zentrums Berlin (MEZ). Er veröffentlicht regelmäßig Artikel, Interviews und Rezensionen auf seiner Seite.