Das Zweiklassensystem des Pentagon

Verteidigungsminister Rumsfeld rechtfertigt die Verhörmethoden und das Gulag-System für die rechtlosen "feindlichen Kämpfer"

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Das Pentagon hat hinter geschlossenen Türen Kongressabgeordneten weitere Bilder von Misshandlungen in irakischen Gefängnissen gezeigt. Sie haben bei den Abgeordneten Abscheu ausgelöst. Angeblich würde Verteidigungsminister die Fotos auch der Öffentlichkeit übergeben, um den Skandal schneller hinter sich zu bringen, doch aufgrund des Rats der Pentagon-Juristen werden sie weiterhin verschlossen gehalten. Eine Veröffentlichung könne die strafrechtliche Verfolgung von Schuldigen erschweren und die Genfer Konventionen verletzen. Nach diesen sei es verboten, Bilder von Gefangenen zu veröffentlichen, die deren Würde verletzen. Das ist freilich schon ein eigenartiges Argument, um die Bilder unter Verschluss zu halten.

Nach den Genfer Konventionen muss die Würde der Gefangenen etwa vor der "öffentlichen Neugierde" geschützt werden. Damit war aber wohl gemeint, dass die Partei, die für Kriegsgefangene verantwortlich ist, diese nicht durch Veröffentlichung von Bilder demütigen oder sich über diese lustig machen darf. Intendiert war wohl aber nicht, dass damit eine Aufklärung über die Misshandlung von Gefangenen verhindert wird, die zudem Schlimmerem ausgesetzt waren. Nach den Genfer Konventionen ist nicht nur jeder Zwang bei der Befragung von Gefangenen verboten, sondern auch das Gefangennehmen von Geiseln. Offenbar wurde dies nach Aussagen von den US-Truppen öfter gemacht, um aus ohne Grund Festgenommenen Informationen über Nachbarn, Aufständische etc. zu erhalten. 90 Prozent der Gefangenen sollen nicht einmal verdächtigte Aufständische gewesen sein.

Rumsfeld wies bei einem Überraschungsbesuch im Irak, bei dem er auch das Abu Ghraib-Gefängnis aufsuchte, jeden Verdacht weit von sich, dass man im Pentagon versuchen würde, etwas zu verdecken und der Öffentlichkeit Informationen vorzuenthalten. Sicherheitshalber warnte er schon einmal, dass noch Schlimmeres bekannt werden würde, wohl auch wissend, dass sich der Skandal weiter ausweiten wird und die Pentagon-Führung das nicht vollständig kontrollieren kann. So wurde gerade von italienischen Militärs erklärt, dass von den USA ausgebildete irakische Polizei in einem Gefängnis in der Nähe von Nasiriya Gefangene schwer misshandelt hätten.

Gleichzeitig mit der Verteidigung der Pentagon-Strategie nutzte Rumsfeld die Gelegenheit, die arabischen Medien allgemein und besonders die Satellitensender al-Dschasira und al-Arabiya erneut anzugreifen. Sie hätten ein Jahr lang nur Lügen über die amerikanische Besatzung berichtet:

We have been lied about, day after day, week after week, month after month for the last 12 months in the Arab press.

Während im Irak nur Einzelne über die Stränge geschlagen haben sollen, habe es nach Vizeadmiral Albert Church, den Rumsfeld nach Guantanamo geschickte hatte, auch dort keine größeren Probleme gegeben. So weit man feststellen konnte, seien die "Anordnungen des Verteidigungsministers in Bezug auf die menschliche Behandlung der Gefangenen und die Befragungstechniken" eingehalten worden. Man habe nur einige "kleine Verfehlungen" gefunden. Sicherheitshalber fügte er aber hinzu, dass er dies nicht hundertprozentig sicher sagen könne und dass dies nur für die Gegenwart, also nicht die Vergangenheit, gilt.

Der Pentagon-Gulag

Vor dem Senate Armed Services Committee hatte Rumsfeld gestern zwischen der Behandlung von al-Qaida-Mitgliedern und irakischen Gefangenen einen Unterschied gezogen. Damit bestätigte er, was der ehemalige Lagerchef von Guantanamo, Generalmajor Georffrey Miller, der nun zum Leiter von Abu Ghraib wurde, aber vermutlich letzten Sommer mit die Bedingungen für die Misshandlung der irakischen Gefangenen legte, erklärte: In Abu Ghraib sei nun der Einsatz von Schlafentzug, Kapuzen oder schmerzhaften Stellungen zum Weichklopfen verboten worden, das aber treffe nicht für die Gefangenenlager in Kuba, Afghanistan und anderswo zu.

Tausende von Menschen sind in dem weltweiten Netz an Gefangenenlagern ohne alle Rechte und der Willkür ausgeliefert eingesperrt. Sie werden als feindliche Kämpfer bezeichnet, die al-Qaida oder den Taliban angehört haben. Da sie auf Anweisung des Präsidenten, wie Rumsfeld schon am 7. Mai dem Senatsausschuss gegenüber wieder sagte nicht als Kriegsgefangene gelten. Nach der New York Times wurden von Bush schon kurz nach dem 11.9. vor allem für die CIA harte Methoden bei Verhören von mutmaßlichen Terroristen zugelassen (Lizenz zum Töten). Viele der angeblichen hohen al-Qaida-Mitglieder werden an geheimen Orten gefangengehalten oder in andere Länder überstellt, in denen Folter gang und gäbe ist (Etwas Foltern lassen bei Freunden). Von der CIA würden die Gefangenen unter Zwang verhört. So soll beispielsweise bei Khalid Shaikh Mohammed das "water boarding" angewandt worden sein, bei dem der Kopf des Opfers unter das Wasser bis kurz vor dem Ersticken getaucht wird. Ansonsten wird das übliche Arsenal von Schlafentzug durch Aussetzung mit hellem Licht und/oder lauter Musik, Entzug von Trinken, Eingabe von Medikamenten, Kapuzen, schmerzhafte Positionen etc. eingesetzt.

Offenbar gibt es nun auch Sorge in der CIA, dass diese Methoden ans Licht kommen und einen weiteren Skandal auslösen könnten. Man kann vermuten, dass ähnlich wie in Guantanamo viele der Tausenden von Gefangenen gar keine al-Qaida-Mitglieder sind, gleichwohl aber jahrelang gefangen gehalten werden und nur nach willkürlichen Entscheidungen wieder frei kommen. Die Lager außerhalb der USA wurden auch deswegen gewählt, um der amerikanischen Jurisdiktion zu entgehen. Dabei scheint mittlerweile Guantanamo, weil es so lange im Blickwinkel der Öffentlichkeit stand, harmloser als andere Lager zu sein - und wahrscheinlich wurden irakische Gefangene auch härter als die Guantanamo-Häftlinge behandelt.

Wie sich in der letzten Anhörung vor dem Senate Armed Services Committee herausstellte, soll Rumsfeld "harte" Verhörtechniken für Guantanamo genehmigt haben, u.a. Schlafentzug, Zwangspositionen oder die Gefangenen nackt zu halten. Im Irak sei von den dortigen Kommandeuren, so Stephen Cambone, Staatsstekretaär im Verteidigungsministerium für die Geheimdienste, auch der Einsatz von Hunden zur Ängstigung der Gefangenen erlaubt worden.

Die Verhörrichtlinien des Pentagon

Rumsfeld verteidigte - abgesehen von den durch die Bilder an die Öffentlichkeit gedrungenen Misshandlungen und Folterungen - direkt die Verhörmethoden, die im Irak eingesetzt wurden. Sie seien rechtlich von Pentagon-Anwälten geprüft worden, nach denen sie mit den Genfer Konventionen überinstimmen. Das Verteidigungsministerium hat dem Ausschuss auch ein Blatt mit "Verhörrichtlinien" übergeben. Diese Richtlinien hätten auch die Soldaten und Kommandeure im Irak für die Verhöre ausgehändigt erhalten. Darin enthalten sind für alle Häftlinge genehmigte Methoden, darunter Belohnungen und Entzug von Belohnungen, Zeigen von emotionaler Zuneigung oder Hass, Furcht erzeugen oder Stolz und Ego ansprechen. Das soll alles "stets menschlich und legal" sein, Häftlinge dürfen niemals auf "bösartige oder unerwünschte Weise" berührt werden. Und es sollen die Genfer Konventionen gelten.

Zur Erlangung irgendwelcher Auskünfte dürfen die Kriegsgefangenen weder körperlichen noch seelischen Folterungen ausgesetzt, noch darf irgendein Zwang auf sie ausgeübt werden. Die Kriegsgefangenen, die eine Auskunft verweigern, dürfen weder bedroht noch beleidigt noch Unannehmlichkeiten oder Nachteilen irgendwelcher Art ausgesetzt werden.

Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen, Artikel 17

Das sind sicherlich auch Regeln, die näherer Auslegung und vor allem Kontrolle bedürfen. Wie Beschuldigte sagen, wurden sie nicht unterrichtet, welchen Inhalt die Genfer Konventionen haben, und ihnen wurde von Vorgesetzten befohlen, die Gefangenen für die Verhöre weich zu machen. Zudem gibt es noch Richtlinien für Zwangsmaßnahmen, die ganz eindeutig den Genfer Konventionen widersprechen, aber statthaft sind, wenn der Oberkommandierende dies schriftlich bestätigt - aber in Kriegs- und Kampfzeiten werden womöglich solche Verfahrensfragen laxer gehandhabt. Dann dürfen Militärhunde zur Einflößung von Angst eingesetzt werden, dürfen Nahrung oder der Aufenthaltsraum "manipuliert" werden, Schlafentzug ist 3, Isolationshaft 30 oder Sinnesentzug 3 Tage erlaubt, schmerzhafte Positionen können 45 Minuten erzwungen werden. Für Rumsfeld haben die bekannt gewordenen Misshandlungen mit diesen Richtlinien nichts zu tun.

Schon alleine die Einführung von solchen Unterscheidungen wie der zwischen "feindlichen Kämpfern" und "Kriegsgefangenen" oder zwischen unterschiedlichen Verhörtechniken, die auch direkt die Genfer Konventionen verletzen, legt den Grundstein für Misshandlungen und Folter (Das Recht auf Willkür im Krieg). Das nach dem 11.9. eingerichtete Lagersystem außerhalb jeder Rechtsprechung, das sich auch außerhalb jeder Überprüfung von außen oder durch den Gesetzgeber befinden, ist ein Verstoß gegen Menschenrechte. Und es ist dieses vom Weißen Haus eingerichtete Unrechtssystem, in dem Menschen für immer verschwinden können, das hinter den bekannt gewordenen Folterungen und Demütigungen steht, auch wenn Rumsfeld wiederholt, dass die Gefangenen auf Anordnung von Bush entsprechend den Genfer Konventionen behandelt würden.

Das aber kann man spätestens nach den Vorfällen in Abu Ghraib und Informationen von anderen Menschenrechtsverletzungen nicht mehr glauben, zumal Rumsfeld auch bekräftigt, dass das normale Vorgehen in Ordnung gewesen sei und die Einstufung von manchen Menschen als rechtlose "feindliche Kämpfer" weiter vorgenommen werde: Sie dürfen so behandelt werden, weil sie sich selbst außerhalb des Gesetzes stellen: "Terrorists don't comply with the laws of war. They go around killing innocent civilians." Aber ein Rechtsstaat zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es einen solchen außerrechtlichen Zustand einer nicht kontrollierten Willkürjustiz nicht zulassen kann.

Forget Abu Ghraib

Die Bestätigung, dass grundsätzlich nichts geändert werden braucht, hat die Bush-Regierung just von den mutmaßlichen irakischen al-Qaida-Anhängern erhalten, die den jungen amerikanischen Zivilisten vor der Kamera hingerichtet haben. Das sei durch nichts zu rechtfertigen, sagte Bush, und leitet davon wie das Pentagon gleichzeitig das Recht ab, wieder hart gegen die Aufständischen vorzugehen. Wie das vermutlich gemeint ist, kann man aus den Aufrufen von rechter Seite ableiten, die wie im britischen Telegraph oder in einem Artikel in der New York Post fordern, gegen diese "Wilden" mit aller Entschlossenheit vorzugehen und das Kapitel mit den Misshandlungen, begangen von einer "Handvoll von Soldaten", abzuschließen.

Now it's time to ratchet up the response to this war. Forget Abu Ghraib.

Diese grausame Exekution, dieses Video soll demonstrieren, dass al-Qaida nicht auf Übergriffe von US-Soldaten reagiert, sondern die Grausamkeit der Terroristen zeigt und damit den weltweiten Krieg gegen sie - auch im Irak - noch einmal rechtfertigt. Eine Art des totalen Kriegs, der eben an kein Recht mehr gebunden ist:

Some people - some Americans - have forgotten about 9/11. That attack should have been enough to justify all-out war. But the hand-wringing over the war in Iraq - and over even the modest steps America took to defend itself, like the Patriot Act - suggests that folks truly have lost sight of what the war is about. Yesterday they got a shocking reminder. And now they know: This war cannot be waged with half-measures. It can end only with the total annihilation of those who practice butchery and barbarism. Those who have set as their goal the destruction of America. There is no negotiating with such people. There can be no compromise with those who mean to destroy us.