Das Recht auf Willkür im Krieg
Das US-Justizministerium definiert das Recht der Rechtlosigkeit der vom Militär zu "feindlichen Kämpfern" erklärten Gefangenen und verlangt einen rechtsfreien Raum für das Militär
Seit den Anschlägen vom 11.9. hat die US-Regierung unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie großzügig mit Grundrechten umzugehen gedenkt und internationale Regelungen höchstens freiwillig einhält. Die Regierung sieht sich im Krieg, und der scheint vieles zu rechtfertigen, wenn es der Sache dient. Im Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei, des Guten gegen das Böse oder der Freiheit gegen eine totalitäre Herrschaft dürfen wie einst zur Zeit des Kalten Krieges beliebige Koalitionen im Krieg gegen den Terrorismus eingegangen werden, im Ausnahmezustand ist viel erlaubt - und bislang ist der US-Regierung kaum substanzielle Kritik aus dem eigenen Land, aber auch nicht von den anderen demokratischen Regierungen entgegen gebracht worden, die eher selbst nach dem Erfolgsrezept von Bush für die nationale Sicherheit Grundrechte einschränkten.
Schon kurz nach dem 11.9. wurden in den USA willkürlich Tausende von arabischen Männern unter fadenscheinigen Gründen teilweise monatelang festgenommen. Noch heute sitzen ohne wirkliche Anklage Hunderte im Gefängnis - in dem Land, das sich als Führer der freien Welt und als Bollwerk gegen Unrechtsstaaten darstellt. Schlimmer steht es noch bei den Gefangenen, die im Ausland im "Krieg gegen den Terrorismus" gemacht werden. Wie weit US-Soldaten an dem Massaker der Gefangenen von Kundus beteiligt waren, wird sich möglicherweise ebenso wenig aufklären lassen wie manche andere Vorfälle, beispielsweise die Ursache des Aufstands in der Festung von Dostum, bei dem einige Hundert Gefangene getötet wurden (Das Massaker, das nicht sein darf).
Dass das Pentagon sich an keine verpflichtenden Regeln im Umgang mit den Gefangenen im selbsterklärten Krieg, der aber dann doch keiner soll, zu halten gedenken, hat die Diskussion über den rechtlichen Status der Gefangenen von Guantanamo gezeigt (Taliban-Kämpfer in Kuba sollen wie Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention behandelt werden). Relativ gleichgültig zeigte sich die US-Regierung auch gegenüber der Behandlung der (Kriegs)Gefangenen durch ihre einstigen Verbündeten in Afghanistan (Die vergessenen Kriegsgefangenen). Dass man gerne einmal mögliche al-Qaida-Mitglieder in Ländern belässt, die nicht wegen der Einhaltung der Menschenrechte bekannt sind, ist nicht erst seit Mohammed Haydar Zammar bekannt, der in Syrien auch von US-Beamten verhört wird, wobei hier möglicherweise auch Folter zum Einsatz kommen könnte (Etwas Foltern lassen bei Freunden). Auch beim in Pakistan einsitzenden Abu Zubaydah, der eifrig alles Mögliche erzählt und immer wieder einmal als Quelle von Warnungen dient, könnte Folter zum Einsatz kommen. Erstaunlich ist zumindest, dass das Pentagon keinen großen Wert auf eine Auslieferung legt.
Der letzte Fall war der medienwirksam von Justizminister Ashcroft in Szene gesetzte Festnahme von Jose Padilla, einem zum Islam konvertierten US-Bürger, der angeblich - so soll dies eben Zubaydah erzählt haben - einen Anschlag mit einer "schmutzigen Bombe" geplant haben soll (Endlich ein Erfolg für US-Justizministerium, CIA und FBI). Ziemlich schnell hatte sich herausgestellt, dass es praktisch keine wirklichen Hinweise gab und es sich um einen politischen Schachzug handelte (Über dreckige Bomben und Saubermänner), dafür wurde Padilla aber als "feindlicher Kämpfer" in ein Militärgefängnis gesteckt. Man habe gar kein Interesse, ihn anzuklagen, sagte US-Verteidigungsminister Rumsfeld, sondern wolle von ihm vor allem Informationen. Dafür ist der US-Bürger Padilla seiner Grundrechte beraubt worden und kann zumindest bis zum Ende des Konflikts, womöglich auch unbegrenzt festgehalten werden, selbst wenn ihm keine Schuld nachgewiesen werden kann (was man eben perfiderweise auch gar nicht machen will). Das Ende des Konflikts beim "Krieg gegen den Terrorismus" dürfte unschwer beliebig auslegbar sein.
Das Militär legt fest, wer feindlicher Kämpfer ist
Bei einem anderen Fall versucht nun das Justizministerium die rechtlose rechtliche Lage von "feindlichen Kämpfern", auch wenn sie US-Bürger sind, zu "klären", also aus den rechtsstaatlichen Kontrollmöglichkeiten mit einer unabhängigen Jurisdiktion herauszunehmen. Der im November in Afghanistan gefangen genommene und jetzt in einem Militärgefängnis in den USA sitzende Yaser Esam Hamdi soll nach dem Willen des Justizministeriums keinen Rechtsbeistand erhalten. Nachdem aber am 29. Mai ein Bundesgericht einem Gesuch des Pflichtverteidigers Frank Dunham nach einem Besuch von Hamdi ohne Anwesenheit von Militärpersonal stattgegeben hatte, weil dies ein von der Verfassung garantiertes Recht sei, übergab Staatsanwalt Paul Clement einen 46-seitigen Einspruch an das zuständige Berufungsgericht, in dem es vornehmlich um den rechtlichen Status eines "feindlichen Kämpfers in der Obhut des US-Militärs" geht.
Das Justizministerium sieht Hamdi als Präzedenzfall an, da er das Vorgehen des US-Militärs im Rahmen der "nationalen Sicherheit und Verteidigung" durch Festnahme und Verwahrung von "feindlichen Kämpfern in Kriegszeiten" gefährden könne. In Frage stünde auch die Ausübung die vom Kongress an den Präsidenten übertragenen Kriegsrechte sowie die nationalen Sicherheitsinteressen bei der Verteidigung des Landes gegen einen "unkonventionellen und wilden Feind". Das Gericht habe dies falsch gesehen und eine "nicht nur bislang einmalige, sondern auch völlig unbegründete" Anordnung getroffen und einem Anwalt das Recht auf einen "privaten und unüberwachten Zugang zu einem gefangenen feindlichen Kämpfer" gewährt.
Gerichte haben sich aus militärischen Angelegenheiten herauszuhalten
Der Kongress habe nach den Anschlägen dem US-Präsidenten die Macht übertragen, als oberster Befehlshaber des Militärs "Akte des internationalen Terrorismus gegen die USA zu zerschlagen und zu verhindern". Dazu haben die militärischen Aktionen in Afghanistan gehört, im Zuge derer Hamdi mit seiner Taliban-Einheit als "feindlicher Kämpfer mit einem potenziellen Informationswert" in Gefangenschaft geriet. Das US-Militär habe das Recht, Menschen als feindliche Kämpfer bei "Feindseligkeiten", an denen das Land beteiligt ist, einzusperren, auch wenn es sich um solche handelt, die beanspruchen, US-Bürger zu sein. Eine richterliche Prüfung komme dann an ihr Ende, wenn "das Militär seinerseits gezeigt hat, dass es entschieden hat, dass der Festgenommene ein feindlicher Kämpfer ist". Das Gericht habe kein Recht, eine solche Entscheidung zu hinterfragen, sondern könne bestenfalls verlangen, einige Belege für die Entscheidung vorzulegen.
Letztlich heißt das, dass das US-Militär selbst beliebig festlegen kann, wie es Gefangene behandelt, ohne dabei zur Rechenschaft gezogen werden zu können oder sich an die Verfassung halten zu müssen. Das Justizministerium verstärkt dies noch durch das Argument, dass der Zugang eines Verteidigers zu feindlichen Kämpfern die Aufgabe unterminieren würde, an Informationen zu gelangen, die "die amerikanischen Interessen und das Leben von Amerikaners im Krieg schützen und die Heimat vor weiteren Angriffen bewahren können." Gefährden würde ein Verteidiger dies dadurch, weil er "die Beziehung der Abhängigkeit, auf der eine ergebnisreiche Befragung beruht, zerstört". Überdies habe der Feind seine Kämpfer trainiert, geheime Botschaften durch Vermittler weiter zu reichen, die davon keine Kenntnis haben. Die Rechte eines Gefangenen spielen angesichts der Größe der militärischen Aufgabe für das Justizministerium keine Rolle. Bei "sensiblen Angelegenheiten wie der Außenpolitik oder der nationalen Sicherheit", aber auch bei zahlreichen militärischen Angelegenheiten hätten nämlich Gerichte keine Befugnisse.
Begründet wird das Recht des Militärs, im Gegensatz zu "rechtmäßigen Kämpfern", die als Kriegsgefangene behandelt werden müssen, feindliche Kämpfer im Ausland festzunehmen und ohne Rechtsbeistand auf unbegrenzte Zeit einzusperren, durch Urteile aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch im Golf-, Vietnam- oder Koreakrieg habe man feindliche Kämpfer eingesperrt. Allerdings müssten auch feindliche Kämpfer vor Schaden bewahrt, medizinisch betreut und menschlich behandelt werden können, zudem können sie vom Roten Kreuz besucht werden.
Für den Pflichtverteidiger Dunham sind die vom Justizministerium vorgebrachten Argumente angsteinflößender als die schmutzige Bombe: "Jetzt kann die Regierung eine beliebige Person beliebig bezeichnen und dann den Schlüssel für immer wegwerfen .... Die Vorstellung, dass ein Gericht die Haftbedingungen nicht prüfen darf, um zu entscheiden, ob sie einsichtig sind oder nicht, ist für mich wirklich erschreckend."
Auch beim jüngsten Vorstoß beim Sicherheitsrat der UN bemüht sich die US-Regierung, ein Ausnahmerecht zu erhalten, nämlich eine Immunität der US-Soldaten vor dem Internationalen Gerichtshof. Präsident Bush hat in einem bislang einmaligen Vorgang sogar die noch von Clinton geleistete Unterzeichung des Statuts von Rom wieder zurückgezogen und lehnt ansonsten eine internationale Gerichtsbarkeit und damit auch den ICC ab. Um nun auch die Immunität von US-Bürgern sicher zu stellen, will die Regierung eine Entscheidung des Sicherheitsrats erzwingen, indem ansonsten eine weitere Beteiligung an Friedensmissionen in Frage gestellt wird.
Der stellvertretende US-Botschafter Richard Williamson erklärte, dass die USA wie jedes andere Land die Verpflichtung hätten, ihre nationalen Interessen zu verfolgen. Man habe die Bedenken gegenüber dem ICC schon lange dargelegt. Der im Statut von Rom festgelegte Schutz sei nicht ausreichend, weswegen die US-Regierung eine UN-Resolution fordere, die bei allen vom Sicherheitsrat beauftragten Missionen für alle Personen und Staaten, die daran beteiligt sind, in allen Mitgliedsstaaten außer dem Staat, aus dem die Personen stammen, Immunität für alle im Rahmen der Mission ausgeführten Handlungen garantiert.