Das ewige Leben des "Zombies der Netzpolitik"

Seite 2: Vorratsdatenspeicherung: Eine schwierige Geburt

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Jahre lang drängten CDU und CSU erfolglos auf eine gesetzliche Verankerung der Vorratsdatenspeicherung. Nachdem endlich eine EU-Richtlinie alle Mitgliedsstaaten verpflichtet hatte, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, erklärte das Bundesverfassungsgericht 2010 das zuvor erlassene deutsche Gesetz für verfassungswidrig und nichtig. Noch im Frühjahr 2014 musste die Große Koalition Pläne für eine Vorratsdatenspeicherung einfrieren.

Der Europäische Gerichtshof erklärte die EU-Richtlinie für ungültig, da sie mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar sei. Dort erklären die Artikel 7 und 8: "Jede Person hat das Recht auf die Achtung ihrer Kommunikation" sowie "Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten."

Erst nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" im Januar 2015 gelang ein erneuter Anlauf im Schnelldurchgang. Verschiedene Eilanträge gegen die Vorratsdatenspeicherung wurden in diesem Sommer abgelehnt. In Karlsruhe sind jedoch noch mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig.

Es gibt immer einen guten Grund

Bereits einen Tag nach dem Anschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015, als die Brüder Kouachi noch auf der Flucht in Nordfrankreich waren und das Land den Atem anhielt, forderte die CSU unter anderem die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Ihr Innenpolitiker Stephan Meyer bezeichnete sie als "wichtiger denn je". Bundesinnenminister Thomas de Maizière schloss sich an: "Der Anschlag von Paris unterstreicht hier die Dringlichkeit." Wenige Tage später wünschte auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel eine zügige Planung der neuen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.

Offenbar bedarf es eines guten Grundes für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Dem Aktivismus führender Politiker war aber entgangen, dass die hochgelobte Vorratsdatenspeicherung bereits seit 2006 in Frankreich existiert. Sie hat also offensichtlich nicht die Anschläge verhindert, so dass es schlicht ein absurdes Argument ist, dieser Anschlag beweise die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung.

Die mutmaßlichen Täter der Pariser Anschläge vom Januar 2015, die den Ausgangspunkt für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland bilden, waren schon lange zuvor auf dem Radar der Geheimdienste. Dieser Fall ist damit ein gutes Beispiel für die Feststellung des US-Journalist Matthias Schwartz: "In den letzten fünfzehn Jahren wurde beinahe jeder größere terroristische Angriff auf den Westen von Leuten ausgeführt, die den Behörden längst bekannt waren." Auch zur Aufklärung der Pariser Anschläge hat die Vorratsdatenspeicherung nichts beigetragen.

Noch befremdlicher wird es, dass der Reflex, die Vorratsdatenspeicherung als Allheilmittel immer wieder zurück ins Rennen zu schicken, nach fast jedem durchgeführten oder verhinderten Anschlag zu erkennen ist. Zu den Anschlägen in Norwegen 2011 betonte Vizekanzler Sigmar Gabriel: "Wenn Sie an Norwegen denken, durch die dortige Vorratsdatenspeicherung, wusste man sehr schnell wer in Oslo der Mörder war, ob er Leute dabei hatte. Das hat sehr geholfen." Allerdings hatte Norwegen zu dem Zeitpunkt der Anschläge zwar im Parlament für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt, diese war jedoch noch nicht umgesetzt. Zudem wäre der Einsatz der Vorratsdatenspeicherung zur Identifizierung von Anders Breivik gar nicht notwendig gewesen, da dieser sich widerstandslos am Tatort festnehmen ließ.

Im Hinblick auf die sogenannte NSU erklärte der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich, hier zeige es sich, dass die Vorratsdatenspeicherung "ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Terroristen und Schwerverbrecher" sei. Und Sigmar Gabriel war sich sicher: "wenn es damals die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gegeben hätte, hätten wir weitere NSU-Morde vermutlich verhindern können". Geflissentlich wird hier außer Acht gelassen, dass die mutmaßliche Terrorzelle unter intensiver Beobachtung des Verfassungsschutzes stand, bis hin zu der Tatsache, dass bei einem Mord sogar ein V-Mann zur Tatzeit am Tatort war. Auch ein Blick in die geschredderten Akten des Verfassungsschutzes hätte vermutlich mehr Informationen zutage gefördert als jegliche Vorratsdatenspeicherung. Der Blog netzpolitik.org hatte eine ganze Reihe weiterer Fälle aufgeführt, in denen Politiker nach Anschlägen mit Verve sich für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung stark machten.

Unterschlagen wird in der Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung auch immer wieder, dass die Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung (TKÜV) es Polizei und Geheimdiensten bereits seit 2002 ermöglicht, eine vollständige Kopie der Telekommunikation bei Verdacht auf schwere Straftaten einzuholen. Allein im Jahr 2013 gab es in Deutschland 22.917 TKÜV-Anordnungen.