Das fehlende Spiegelbild

Neuer Hinweis auf den Ursprung der Asymmetrie in der Natur

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Das Phänomen ist seit langem bekannt: viele der wichtigsten Moleküle im Körper von Lebewesen besitzen kein Spiegelbild. Neue Ergebnisse einer Forschergruppe aus San Diego, die heute in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurden, bieten eine mögliche Erklärung für diesen rätselhaften Symmetriebruch.

Die DNA besitzt eine rechtsgängige, doppelhelikale Struktur. Das entsprechende Spiegelbild - eine linksgängige Helix - wird unter physiologischen Bedingungen nur sehr selten beobachtet. Eine Analyse von Peptiden liefert ein ähnliches Ergebnis: sämtliche Baueinheiten dieser Biopolymere, die Aminosäuren, liegen in der sogenannten L-Form vor. Die spiegelbildlichen D-Formen sucht man vergebens. Das ist so bemerkenswert, weil bei der chemischen Synthese von Aminosäuren im Reagenzglas unweigerlich D- und L-Aminosäuren im Verhältnis eins zu eins entstehen. Aus diesem Grund liegt die Vermutung nahe, dass bei der präbiotischen Synthese von Aminosäuren ebenfalls Gemische entstanden sein müssen. Damit stellt sich die Frage, welchen Vorteil Peptide mit einer einheitlichen Symmetrie bei der Evolution gehabt haben. Anders ausgedrückt: warum sind Peptide, die sowohl aus L- als auch aus D-Aminosäuren bestehen, "ausgestorben"?

Eine mögliche Antwort liefern neue Ergebnisse der Forschergruppe um Professor M. Reza Ghadiri am Scripps Research Institute in Kalifornien. Seit 1996 untersucht diese Gruppe selbst-replizierende Peptide, das heißt Peptide, die in der Lage sind, ihre eigene Bildung zu katalysieren. In der neuen Arbeit werden Experimente beschrieben, die zeigen, dass diese chemische Fortpflanzung nur möglich ist, wenn die Peptide ausschließlich aus D- oder L-Aminosäuren bestehen. Der Einbau von nur einer einzigen D-Aminosäure in ein L-Peptid führt zur "Unfruchtbarkeit".

Damit ist folgendes Szenario denkbar: aus einem Gemisch von D- und L-Aminosäuren entstehen Peptide, die statistisch gesehen beide Formen enthalten. Doch lediglich "nur-L" und "nur-D" Peptide können sich effizient replizieren und gehen dann als Sieger einer molekularen Evolution hervor. Diese Hypothese liefert einen Grund für das Aussterben von stereochemisch uneinheitlichen D-L-Peptiden. Autokatalytische Replikations-Prozesse könnten in der Folge auch zum Aussterben der "nur-D" Peptide geführt haben. Mathematische Modelle für diese Selektion wurden bereits entwickelt.